Erstmalig schafften es die Schweden in diesem Jahr, die gewählte Siegerin des Melodifestivalen auch tatsächlich zum Eurovision Song Contest zu schicken und nicht unter irgendeinem Vorwand durch eine andere Künstlerin zu ersetzen. Rund lief es trotzdem nicht: eigentlich sollten beim Mello sieben Titel in die Schlacht ziehen, doch noch am Finalabend musste man den der Jazz-Interpretin Monica Zetterlund zugedachten Beitrag ‘Kärlek och Pepparrot’ (‘Liebe und Meerrettich’ – klingt nach einem pikanten, ähm, Rezept?!) disqualifizieren, weil die Comedy-Nummer vorschriftswidrig bereits im Radio gelaufen war. Weniger streng handhabte der Sender SVT das zu diesem Zeitpunkt noch bestehende Verbot von Hintergrundchören beim Eurovision Song Contest: beim Vorentscheid, wo jede TV-Anstalt bekanntlich machen kann, was sie will, stellte man den Solokünstler:innen erstmals einen vierköpfigen Begleitchor zur Verfügung.
Der disqualifizierte Beitrag, hier in einer späteren Interpretation von Lil Lindfors (SE 1966).
Wie zu dieser Zeit üblich, ließ man alle der nunmehr nur sechs Finalbeiträge gleich zwei Mal vortragen, von verschiedenen Sänger:innen sowie einmal mit großem und einmal mit kleinem Orchester. Daher konnte auch Frau Zetterlund zum Melodifestivalen antreten: als eine von zwei Interpretinnen sang sie das elegant-elegische, zweitplatzierte Freundschaftslied ‘När min Vän’. Den skandinavischen Geist der Freizügigkeit, der über diese Veranstaltung wehte, beschwor auch der der bereits vom DMGP bekannte dänische Jazz-Sänger Otto Brandenburg, der sich über eine ‘Lo-lo-Lolita’ ausließ: ohne des Schwedischen mächtig zu sein, unterstelle ich alleine aufgrund des Songtitels mal eine gewisse Frivolität des Beitrags. Der auf seine Art meerrettichscharf aussehende Interpret verlegte später seinen Tätigkeitsschwerpunkt in den schauspielerischen Bereich und wirkte Wikipedia zufolge neben zahlreichen B‑Movies auch in zwei expliziten Sexklamotten mit, darunter dem Genreklassiker Justine och Juliette. Anhängern des dänischen Dogma-Film-Regisseurs Lars von Trier ist Brandenburg vielleicht durch seine Nebenrolle als Krankenpfleger in der unter anderem auch auf arte ausgestrahlten Miniserie Hospital der Geister (Originaltitel: Riget) bekannt.
Von der jugendlichen Verführerin über fröhliche Hexen bis zum sonnigen Frühling: die Beiträge des Mello 1962 als Audio-Playlist.
Die ‘Lo-lo-Lolita’ wurde ebenfalls vom heimischen Östen Warnerbring besungen, der daneben noch den, ähm, interessanten Titel ‘Trollen ska trivas’ (‘Die Hexe hat Spaß’) beisteuerte. Man kann den Schweden also zumindest keine Angst vor ungewöhnlichen Liedthemen vorwerfen! Die per Postkarte organisierte Zuschauer:innenabstimmung fiel eindeutig aus: mit über 25.000 Zuschriften Vorsprung gewann der im Hinblick auf sein frohes Sujet angemessen flotte Song ‘Sol och Vår’ (‘Sonne und Frühling’), gleichermaßen peppig interpretiert von Lily Berglund und Inger Berggren, die den Titel dann auch beim Hauptwettbewerb in Luxemburg vortrug. Dort musste sie allerdings, den strengen EBU-Regeln folgend, gänzlich ohne Begleitchor auskommen, was dem Song ein wenig von seinem Schwung nahm. Diesen Nachteil versuchte die gute Inger durch zusätzliche, fröhlich krähende Gesangseinlagen während der Brücke zu kompensieren, was allerdings eher schräg wirkte.
Vermutlich zu viel Meerrettich intus: Inger Berggren in Luxemburg.
Vorentscheid SE 1962
Melodifestivalen. Dienstag, 13. Februar 1962, aus dem Cirkus in Stockholm. Acht Teilnehmer:innen. Moderation: Bent Feldreich.# | Interpret:in | Interpret:in | Songtitel | Postkarten | Platz |
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01 | Otto Brandenburg | Östen Warnerbring | Lolo Lolita | 011.858 | 4 |
02 | Östen Warnerbring | Mona Grain | Trollen ska trivas | 004.001 | 6 |
03 | Carli Tornehave | Otto Brandenburg | Anneli | 013.401 | 3 |
04 | Monica Zetterlund | Carli Tornehave | När min Vän | 074.077 | 2 |
05 | Lily Berglund | Inger Berggren | Sagans underbara Värld | 006.885 | 5 |
06 | Inger Berggren | Lily Berglund | Sol och Vår | 102.327 | 1 |
Letzte Aktualisierung: 29.09.2020