Zwei Unverdrossene, ein Unbekannter und ein werdender Weltstar: das Line-up der helvetischen Eurovisionsvorentscheidung von 1963 hätte nicht diverser und irgendwie auch grotesker ausfallen können. So bewarben sich, erneut erfolglos, die beiden Dauerteilnehmer:innen Jo Roland und Anita Traversi, Letztere gar mit gleich drei Beiträgen. Doch nicht einmal das nach eigener Behauptung ‘Schönste Lied der Welt’ nutzte ihr hier etwas. Denn neben einer weiteren Randfigur mit dem im deutschsprachigen Raum anonymstmöglichen Künstlernamen Willy Schmid, der mit ‘Einmal in Mexico’ den Veranstaltungsort des diesjährigen Contests um mehrere Kontinente verfehlte, war es dem Schweizer Fernsehen gelungen, eine junge, vielseitig begabte Schauspielerin und Sängerin israelischer Herkunft anzuwerben, für welche sich hier die Türen zu einer internationalen Chansonkarriere weit öffnen sollten. Esther Ofarim, die in den beiden Vorjahren bei Gesangswettbewerben in ihrer Heimat und in Polen jeweils Gold geholt hatte, vermochte mit der zart-melancholischen, exzellent interpretierten Ballade ‘T’en vas pas’ aus der Feder des auch für den Siegertitel von 1956, ‘Refrain’, verantwortlichen Komponistengespanns die 27 Juroren zu überzeugen und gewann den eidgenössischen Vorentscheid.
Noch einen Zentimeter näher ran und es gibt einen Fettflecken auf der Linse: die ätherische Esther Ofarim beim Flirt mit der Kamera.
Ein Triumph, den sie beim Hauptwettbewerb in London beinahe wiederholen konnte, hätte ihr nicht die norwegische Jury in letzter Sekunde einen Strich durch die Rechnung gemacht und bei der unter äußerst dubiosen Umständen angesetzten Zweitauszählung der Stimmen an ihrer Stelle die Dänen zum Siegerpaar gekrönt. Esthers Karriere tat dies keinen Abbruch: mit der deutschen Fassung ‘Melodie einer Nacht’ gelang ihr ein respektabler Erfolg auf dem germanischen Markt (# DE 39). Im Folgejahr sollte sie mit einem Auftritt als Meerjungfrau dem niederländischen Showmaster und ESC-Teilnehmer von 1960, Rudi Carrell, mit zum internationalen Durchbruch verhelfen, der mit seiner TV-Produktion De Robinson Crusoë Show die Silberne Rose von Montreux gewann und damit das deutsche Fernsehen auf sich aufmerksam machte. Gemeinsam mit Ehemann Abi landete Frau Ofarim dann Hit auf Hit (‘Morning of my Life’; ‘Cinderella Rockefella’) und tourte um die ganze Welt sowie von TV-Show zu TV-Show. Sehr viele Jahre später, nämlich 1997, fragte Ralph Siegel sie als Stimme für seine pompöse Songgurke ‘Zeit’ an, wollte ihr aber kein Auftrittshonorar zahlen, wie er im Interview mit Jan Feddersen ausplauderte. Esther Ofarim verzichtete dankend. Und traf damit die richtige Entscheidung: so bleibt sie uns auf ewig als moralische Siegerin dieses Jahrgangs und würdevolle Interpretin einer der hochklassigsten Grand-Prix-Balladen aller Zeiten in unbefleckter Erinnerung.
Nein, das rechts ist nicht Esther Ofarim.
Vorentscheid CH 1963
Concours Eurovision. Samstag, 9. Februar 1963, aus den TSR-Fernsehstudios in Genf. Vier Teilnehmer:innen# | Interpret:in | Songtitel | Platz |
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01 | Anita Traversi | Komme mit mir | n.b. |
02 | Jo Roland | Mon petit Bolero | n.b. |
03 | Anita Traversi | Voglio vivere | n.b. |
04 | Esther Ofarim | T’en va pas | 01 |
05 | Anita Traversi | La più bella Canzone del Mondo | n.b. |
06 | Willy Schmid | Einmal in Mexico | n.b. |
Letzte Aktualisierung: 03.10.2020