A Song for Euro­pe 1963: Der Tag am Meer

Wie der Autor Gor­don Rox­burgh in sei­nem Buch Songs for Euro­pe berich­tet, nahm sich der sei­ner­zei­ti­ge Euro­vi­si­ons­ver­ant­wort­li­che der BBC, der TV-Unter­hal­tungs­chef Tom Slo­an, die Zuschauer:innenkritik über das als schlecht emp­fun­de­ne Niveau der direkt durch die Indus­trie kom­mis­sio­nier­ten Bei­trä­ge im bri­ti­schen Vor­ent­scheid von 1962 sehr zu Her­zen. In einem Inter­view mit der Pro­gramm­zeit­schrift Radio Times leg­te er zwei drän­gen­de Pro­ble­me offen: “Ich den­ke, das Wett­be­werbs­ele­ment hält vie­le Musik­ver­le­ger davon ab, ihr bes­tes Mate­ri­al ein­zu­rei­chen, weil die Gefahr besteht, dass es in der natio­na­len Abstim­mung ver­liert. Außer­dem kon­zen­trie­ren sich die Plat­ten­fir­men natür­lich vor allem auf Songs, die auf das kauf­kräf­ti­ge jugend­li­che Publi­kum zie­len, und weni­ger auf sol­che, die den natio­na­len Jurys in den teil­neh­men­den Län­dern gefal­len könn­ten”. Damit bezog er sich auf den auch vom BBC-Publi­kum bemän­gel­ten Zustand, dass das Feld im Vor­jahr haupt­säch­lich aus schnel­le­ren, tanz­ba­ren Titeln bestand und die von den kon­ser­va­ti­ven, meist aus älte­ren Wür­den­trä­gern bestehen­den Euro­vi­si­ons-Jurys klar bevor­zug­ten Bal­la­den eher Man­gel­wa­re waren. Daher bat Slo­an dies­mal nicht die Labels um Bei­trä­ge, son­dern bestell­te die Lie­der direkt bei füh­ren­den, hand­ver­le­se­nen Kom­po­nis­ten. Das ging kom­plett nach hin­ten los: die ein­ge­reich­ten Songs fie­len noch schwach­brüs­ti­ger aus als im Vor­jahr. Fol­ge­rich­tig lie­ßen sich kaum eta­blier­te Interpret:innen hier­für finden.

Einen Hauch bal­la­den­las­ti­ger, ins­ge­samt jedoch musi­ka­lisch unbe­frie­di­gend: die Bei­trä­ge des ASFE 1963 als Audio-Playlist.

Der letzt­jäh­ri­ge bri­ti­sche Euro­vi­si­ons­ver­tre­ter Ron­nie Car­roll, der es hier erneut ver­such­te, erzähl­te Rox­burgh, dass er per rei­nem Zufall zu sei­nem Wett­be­werbs­bei­trag ‘Say won­derful Things’ gekom­men sei, als er nach einem Auf­ritt hung­rig ein noch spät geöff­ne­tes Restau­rant auf­ge­sucht habe und dabei auf den dort an der Bar picheln­den Kom­po­nis­ten des Lie­des traf. Wie schon 1962 nahm der dem Glücks­spiel hol­de Sän­ger hin­ter den Kulis­sen der Show Wet­ten auf den Aus­gang des Wett­be­werbs an und ver­dien­te damit ein Zusatz­geld, rech­ne­te sich aber dies­mal im Ange­sicht der deut­lich schwä­che­ren Kon­kur­renz bes­se­re Chan­cen aus als im Vor­jahr. Er soll­te Recht behal­ten: sou­ve­rän sam­mel­te er in der Abstim­mung der regio­na­len Jurys die Höchst­wer­tun­gen für sei­nen zart schmal­zen­den Wal­zer ein, den der von einem weib­li­chen Begleit­chor umkränz­te Ron­nie mit dem ihm so eige­nen Dau­er­grin­sen zum Vor­tra­ge brach­te. So gewann er mit deut­li­chem Abstand vor dem ehe­ma­li­gen Kin­der­dar­stel­ler Bar­ry Bar­nett, der mit einer hin­ge­bungs­voll into­nier­ten, herz­zer­rei­ßen­den Tren­nungs­schmerz­bal­la­de so ganz nach dem Her­zen der Gene­ra­ti­on 50plus aufwartete.

Mana mana – dap di de dippi… Ron­nie und die Snouts beim Euro­vi­si­on Song Con­test 1963.

Ein inter­es­san­tes Pseud­onym hat­te sich der Lon­do­ner James Antho­ny Ber­nand Litt­le zuge­legt, der unter dem Mar­vel-Comic-kom­pa­ti­blen Namen Jim­my Jus­ti­ce (er singt für die Gerech­tig­keit!) auf­trat. Einer sei­ner Erfolgs­ti­tel auf der Insel war eine Cover­ver­si­on von ‘Spa­nish Har­lem’, und wie ein sehr, sehr, sehr blas­ser Auf­guss davon klang auch sein ASFE-Titel ‘Litt­le cra­cked Bell (of San Raquel)’. Auch die alt­ge­dien­te, weit jen­seits ihres pop­mu­si­ka­li­schen Min­dest­halt­bar­keits­da­tums ste­hen­de, sin­gen­de Trup­pen­be­treue­rin Anne Shel­don gab hier ein letz­tes Gast­spiel. Einen durch und durch bri­ti­schen Bei­trag lie­fer­te schließ­lich noch der bis Ende der Sech­zi­ger­jah­re haupt­säch­lich mit Cover­ver­sio­nen (unter ande­rem von Udo Jür­gens Sie­ger­ti­tel ‘Mer­ci Ché­rie’) erfolg­rei­che Sän­ger und spä­te­re TV-Show­mas­ter Vin­ce Hill ab, der im Vor­jahr den zweit­plat­zier­ten Song ‘Alo­ne too long’ geschrie­ben hat­te und heu­er den fremd­kom­po­nier­ten Titel ‘A Day at the Sea­si­de’ inter­pre­tier­te: eine gesang­lich wie lyrisch etwas gewöh­nungs­be­dürf­tig­te Num­mer über die Vor­zü­ge der Som­mer­fri­sche an den ver­reg­ne­ten Strän­den Groß­bri­tan­ni­ens, wo es stets “too damn cold for the deep blue Sea” ist, wie Hill selbst ein­räumt, der mit sei­ner Her­zens­da­me daher höchs­tens den gro­ßen Zeh in Was­ser dippt und sich ansons­ten an Land bei Fish & Chips und Tee ver­gnügt. Wer’s mag!

https://youtu.be/am5VNGSDpdI

Dann doch lie­ber mit Cliff Richard in die Som­mer­fe­ri­en! Mit die­ser deut­lich son­ni­ge­ren Num­mer hat­te der spä­te­re zwei­fa­che bri­ti­sche ESC-Ver­tre­ter 1963 einen Num­mer-Eins-Hit auf der Insel (Reper­toire­bei­spiel).

Die Aus­rich­tung auf den ver­mu­te­ten Geschmack der Euro­vi­si­ons­ju­rys sorg­te dafür, dass sich die ASFE-Bei­trä­ge weit, weit ent­fernt von den bri­ti­schen Charts hiel­ten, auf deren Spit­zen­po­si­ti­on sich 1963 die Beat­les, Cliff Richard und sei­ne Begleit­band The Shadows fast kon­kur­renz­los die Klin­ke in die Hand gaben. Mit einer Aus­nah­me: mit ‘Say won­derful Things’ knack­te Ron­nie Car­roll die hei­mi­schen sowie die iri­schen Top Ten. Es wur­de sein letz­ter Hit.

Vor­ent­scheid UK 1963

A Song for Euro­pe. Sams­tag, 23. Febru­ar 1963, aus dem TV-Stu­dio der BBC in Lon­don. Sie­ben Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: David Jacobs. 16 regio­na­le Jurys.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01Annie Shel­tonMy con­ti­nen­tal Love0904
02Ron­nie CarrollSay won­derful Things3301
03Bar­ry BarnettIf you ever lea­ve me2002
04John­ny TowersThis Kind of Love0506
05Mau­re­en EvansPick the Petals1703
06Vin­ce HillA Day at the Seaside0805
07Jim­my JusticeThe litt­le cra­cked Bell of San Raquel0407

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 03.10.2020

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