Ein dreifaches Hoch auf die segensreichen Wirkungen des Internets und die fleißigen Nerds, die es füttern! Zeigte sich die Datenlage bezüglich der Eurovisionsvorentscheidungen im seinerzeit noch vereinten Jugoslawien der Sechzigerjahre zu Beginn meiner Jugovizija-Recherchen noch als ziemlich bruchstückhaft, und klaffte im Jahre 1963 gar einst ein kratergroßes schwarzes Loch in der Kenntnislandschaft, so konnten mittlerweile dank der unermüdlichen Arbeit verschiedener Fanclubs und ehrenamtlicher Wikipedianer die meisten Wissenslücken geschlossen werden. Die bosnische Ausgabe des Internetlexikons benannte schon länger Majda Sepe, Sabahudin Kurt (ESC 1964) und Anica Zubović als Teilnehmer:innen dieses Jahrgangs, bei dem sich erstmals alle acht Landessender des damaligen – je nach politischer Sichtweise – Staatenbundes oder Bundesstaates Jugoslawien mit jeweils einem Beitrag beteiligten. Mit am Start war auch der Serbe Đorđe Marjanović. Der hatte derselben Quelle zufolge 1961 bei einem Musikfestival in Belgrad für Aufruhr gesorgt, weil ihn die Jury bei der Verteilung der Auszeichnungen überging, was das Publikum derart in Rage versetzte, dass die TV-Übertragung “aufgrund technischer Störungen” abgebrochen wurde.
Die serbischen Village People: Đorđe und die Jungs von 4M (YU 1969) in einem Schlagerfilm (Repertoirebeispiel).
Was wiederum einige tausend Zuschauer:innen in der Hauptstadt veranlasste, selbst bei der Austragungshalle vorbeizuschauen, was da los sei, und den geschassten Publikumsliebling frenetisch zu feiern. Auch in der Sowjetunion tourte Đorđe in den Sechzigern vor ausverkauften Häusern. 1990 erlitt er während eines Gastauftritts auf der Bühne einen Schlaganfall, woraufhin er seine Karriere beendete. Bei der Jugovizija 1963 landete er, wie wir nun mittlerweile wissen, auf dem vorletzten Platz, nur noch gefolgt vom kurzlebigen, possierlichen Damen-Duo Hani (Zdenka Kovačiček und Nada Žitnik), die vor allem mit Coverversionen internationaler Swing-Schlager Erfolg hatten. Ljiljana Petrović, die Premierenvertreterin des Landes, machte heuer mit einem (leider wie alle diesjährigen Jugovizija-Beiträge bis auf den Siegertitel nicht im Netz auffindbaren) Song über eine der schädlichsten und in ihrer Wirkung nutzlosesten, erstaunlicherweise aber immer noch legalen Droge, nämlich den ‘Tabak’, die Bronzemedaille klar.
Zdenka Kovačiček (im Bild rechts) legte ab den Siebzigern eine Solokarriere als Jazz-Interpretin und Schauspielerin hin (Repertoirebeispiel).
Es siegte der Mittzwanziger Vice Vukov. Der schmachtete in seiner Ballade ‘Brodovi’ mit sichtbarem Kloß im Hals die Schiffe an, welche für das Küstenland Kroatien, aus dem er stammte, von besonderer Bedeutung seien. Im Hinblick auf die subtile sexuelle Konnotation des Themas (vgl. “Das Schiff sticht in See heute Nacht”, DK 1957 oder “Mein Schiff ist aus Hoffnung gemacht, es sucht Deinen Hafen”, TR 2012) lässt sich seine leidenschaftliche Liebeserklärung an die phallischen Seebepflüger aber natürlich auch erotisch deuten, wenn man will. Vukov jedenfalls, der sich stets für die Unabhängigkeit seiner Republik einsetzte und daher zu Zeiten des Tito-Regimes in Ungnade fiel, floh 1972 zeitweilig ins Exil nach Paris und unterlag daraufhin bis zur Abspaltung seines Landes zu Hause einem Auftrittsverbot und steinharten Radioboykott. Sein späterer Wechsel in die Politik sollte ihm nur bedingt Glück bringen: zwar konnte er sich nach mehreren Anläufen im Jahre 2003 als Vertreter der Sozialdemokraten einen Sitz im Parlament sichern. Wo er sich allerdings nur zwei Jahre später bei einem Treppensturz so schwere Kopfverletzungen zuzog, dass er sich nicht mehr davon erholte und schließlich 2008 nach längerem Koma verstarb.
“Die liebsten Spielzeuge der bösesten Jungs” seien die Schiffe, so Vice. Was Du nicht sagst!
Vorentscheid YU 1963
Jugovizija. Samstag, 1. Februar 1963, aus Belgrad (heutiges Serbien). Acht Teilnehmer:innen.Interpret:in | Titel | Jury | Platz |
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Vice Vukov | Brodovi | 19 | 01 |
Majda Sepe | Najlepši časi | 18 | 02 |
Ljiljana Petrović | Tabakera | 13 | 03 |
Anica Zubović | Trinaest dana do… | 11 | 04 |
Sabahudin Kurt | Sretno ljeto | 07 | 05 |
Lola Novaković | Kada dođe zima | 06 | 06 |
Đorđe Marjanović | Velika Ljubav | 04 | 07 |
Duo Hani | Ne verujem majčice više | 02 | 08 |
Zuletzt aktualisiert: 21.10.2020