Bereits in den frühen Sechzigerjahren verlief kein Jahrgang wie der andere beim deutschen Grand-Prix-Vorentscheid: eine Tradition, die sich bis heute gehalten hat. Nach den glamourösen Deutschen Schlagerfestspielen von 1962, deren aktuelle Siegerin Siw Malmkvist mit ihrem dortigen Wettbewerbsbeitrag ‘Liebeskummer lohnt sich nicht’ die deutschsprachige Hitsingle des Jahres lieferte, und der in Sachen Einschaltquote extrem erfolgreichen One-Women-Show mit Heidi Brühl in Jahre 1963 fand diesmal im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main wieder eine klassische öffentliche Vorentscheidung mit mehreren Interpret:innen statt. Diese stand erstmals unter dem dann für ein knappes Vierteljahrhundert gültigen Rubrum “Ein Lied für…” (ELF), gefolgt vom Namen des Austragungsortes des europäischen Hauptwettbewerbs. In diesem Fall also: Ein Lied für Kopenhagen. Denn in der pittoresken dänischen Metropole, heutzutage ein weltweites Vorbild in Sachen Verkehrswende, fand der Eurovision Song Contest nach dem geschobenen Sieg der ‘Dansevise’ beim letztjährigen Wettbewerb von London statt.
Wie so viele Topstars mied auch die schwedische Schlagerkönigin Siw den deutschen Vorentscheid. Bei den Deutschen Schlagerfestspielen siegte sie jedoch mit dem Superhit ‘Liebeskummer lohnt sich nicht’, hier in der schwedischen Version. Und für den ganz vorne rechts nähme ich etwas Kärlekstrubbel gerne in Kauf!
Das aus damaliger Sicht unbefriedigende Abschneiden der beiden kommerziell überaus erfolgreichen deutschen Superstars Conny Froboess und Heidi Brühl bei den internationalen Grand-Prix-Juroren hatte das Image des Contests in der deutschen Pop-Szene allerdings nachhaltig beschädigt. Etablierte, zeitgemäße Namen bleiben dem Vorentscheid fern, lediglich vier altgediente Schlagersänger:innen, die ihren Zenit schon lange überschritten hatten, ließen sich für die Sendung zusammentreiben. Sowie ein No-Name und eine Newcomerin: die in der bulgarischen Hauptstadt Sofia geborene Ahinora Kumanova kam anno 1960 nach Berlin und konnte hier sogleich einen Plattenvertrag ergattern. Ende 1962 landete sie mit der fabelhaften Schlagerweisheit ‘Männer gibt’s wie Sand am Meer’ ihren einzigen Hit und knackte damit die Top 20. Auch die B‑Seite der Single, das ausgesprochen lustige Hörspiel ‘Nora (Telefon aus St. Tropez)’, gehört zu den erlesenen Schlagerperlen der Wirtschaftswunderzeit. A propos B‑Seite: sechzehn Jahre nach ihrer Eurovisionsteilnahme verliehen die Helden der Neuen Deutschen Welle, Ideal, Nora Nova (so ihr schlichtweg auf die jeweils letzten vier Buchstaben ihres Namens eingekürztes Pseudonym) den künstlerischen Coolness-Ritterschlag, in dem sie ‘Männer gibt’s wie Sand am Meer’ coverten und auf die Rückseite ihrer legendären Erstlingssingle ‘Berlin’ packten.
Cover gibt’s wie Sand am Meer: 2009 spielte die Kapelle Wirtschaftswunder die wohl lahmste Fassung von Nora Novas einzigem Hit ein (Repertoirebeispiel).
Und obgleich sich die Nova beim Vorentscheid 1964 selbst nur als Außenseiterin sah, wie sie später in einem hr-Special erzählte, und ihrem im “slawischen Rhythmus” gehaltenen Song wenig Chancen einräumte: gegen ihre hinreißende, wasserstoffperoxydgebleichte Bienenkorbfrisur und ihre an die Ausstrahlung einer Domina gemahnende “kalte Vamphaftigkeit” (Jan Feddersen) vermochten die älteren Herren der Konkurrenz keinen Stich zu landen und wurden ‘Wie vom Wind verweht’, wie der als Favorit gesetzte Tenor René Kollo verwundert bilanzieren musste. Kollo (größter Hit: ‘Hello, Mary Lou’), der im Jahr darauf nach einer weiteren erfolglosen Grand-Prix-Bewerbung ins Opernfach wechselte, befand sich zu diesem Zeitpunkt allerdings ebenso bereits im Winter seiner Schlagerkarriere wie seine Kolleg:innen Gerhard Wendland (‘Tanze mit mir in den Morgen’), Fred Bertelmann (‘Der lachende Vagabund’) und Gitta Lind (‘My Happiness’). Die beiden Letztgenannten verlegten ihren Wirkungskreis nach dem Ausbleiben weiterer Hits auf die Nachwuchsförderung: 1972 gründeten sie gemeinsam in München eine Show-Schule, an welcher sie ihre Erfahrungen gegen Kursgebühr an jüngere Menschen vermittelten.
Die Playlist mit den verfügbaren Titeln dieses Vorentscheids, allesamt leider nur als Audio.
Für den in Schwäbisch Hall geborenen Musiker, Produzenten und Sänger Peter Kirsten, der zuvor in diversen Bigbands, Chören und Orchestern gearbeitet hatte, blieb sein Vorentscheidungsauftritt mit dem lieblichen ‘Regenbogen, Regenbogen’ (zu schwul?) hingegen der einzige Ausflug in die Schlagerwelt. Dennoch hielt auch er dem Musikbusiness die Treue: nachdem sein Solo-Versuch scheiterte, gründete er Ende 1966, ebenfalls in München, den Global Musikverlag und 1970 die Plattenfirma Global Records & Tapes, bei der unter anderem die deutschen Eurovisionsvertreter:innen Joy Fleming, Hoffmann & Hoffmann sowie Gitte Hænning zeitweilig unter Vertrag standen. Die rollten immerhin die Charts auf, was den Teilnehmer:innen am deutschen Vorentscheid 1964 allesamt nicht vergönnt sein sollte. Auch nicht der ELF-Siegerin: nach dem folgenden Debakel beim internationalen Wettbewerb – mit dem sowohl musikalisch als auch inhaltlich zwar durchaus goutierbaren, womöglich aber doch etwas zu frostig vorgetragenen Gemeinplatz ‘Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne’ ersang sie das erste Null-Punkte-Resultat für Deutschland – verschwand Nora Nova sehr zügig wieder in der Versenkung. Einen Verkaufserfolg konnte sie mit dem durch sein (unfaires) Ergebnis in Kopenhagen toxisch belasteten Titel leider nicht erzielen, und so heiratete sie stattdessen noch im gleichen Jahr einen Nachtclubbesitzer und führte mit ihm im Ruhrgebiet eine Reihe von Kneipen.
Leider nur im Standbild: die Super-Nova.
In den Achtzigern betrieb sie eine Zeit lang noch eine Herrenboutique in Wuppertal Modeboutique in München, dann brach sie ihre Zelte in Deutschland ab: 1989 kehrte sie in ihre alte Heimat zurück und wandte sich, wie Wikipedia weiß, dort der Politik zu. Eine Berufung, die erstaunlich viele ehemalige Eurovisionskünstler:innen ereilt. 2001 fungierte sie als eine der Mitbegründerinnen der liberal-monarchistischen Nationalen Bewegung Simeon der Zweite um den bis dahin im Exil lebenden früheren bulgarischen Zaren Simeon von Sachsen-Coburg, die bei den damaligen Parlamentswahlen die Hälfte der Mandate errang, nur zwei Legislaturperioden später jedoch an der 4%-Hürde scheitern sollte. Was krass klingt, jedoch gar nicht so ungewöhnlich ist für bulgarische Verhältnisse, wo sich nach dem Ende des Sozialismus die Parteien schneller gründen, zersplittern und auflösen, als man ‘Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne’ sagen kann. Immerhin vermochte Nora Nova zu Hause noch etwas späten Ruhm aus ihrer Grand-Prix-Teilnahme zu ziehen. Nachdem das bitterarme Land 2005 erstmalig beim Eurovision Song Contest an den Start ging, tauchte sie im Oktober 2007, mittlerweile etwas fülliger um die Hüften, völlig überraschend als Talkgast bei der bulgarischen Vorentscheidung auf, wo sie sich von ihren komplett ahnungslosen Landsleuten abfeiern ließ, als habe sie 1964 die ganze Chose gewonnen! Doch es sei ihr von Herzen gegönnt. Immerhin kann die Nova für sich den längsten Grand-Prix-Songtitel aller Zeiten und den originellsten deutschen Künstlernamen in Anspruch nehmen. Eine Rolle in der Sechzigerjahre-Kultserie ‘Raumpatrouille’ (zum Beispiel als böse Stiefschwester von Tamara Jagellovsk) hätte ihr eigentlich zum Dank gebührt!
Ein Kultschätzchen: das ‘Telefon aus St. Tropez’ (Repertoirebeispiel).
Vorentscheid DE 1964
Ein Lied für Kopenhagen. Samstag, 11. Januar 1964, aus dem Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main. Moderation: Hilde Nocker. Sechs Teilnehmer:innen. Jury.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz | Charts |
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01 | Fred Bertelmann | Das macht Dein Lächeln, Mona Lisa | 19 | 03 | - |
02 | Peter Kirsten | Regenbogen, Regenbogen | n.b. | n.b. | - |
03 | René Kollo | Wie vom Wind verweht | n.b. | n.b. | - |
04 | Gitta Lind | Ein Chanson in der Nacht | 27 | 02 | - |
05 | Nora Nova | Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne | 30 | 01 | - |
06 | Gerhard Wendland | Wohin ist der Sommer | n.b. | n.b. | - |
Letzte Aktualisierung: 24.09.2022
Für mich eines der besten deutschen Lieder. Ich mag den Rhythmus des Songs. Mit 0 Punkten sträflich unterbewertet!
eurovision 1964 Das ist am besten deutsche lied bei eurovision ich verstehe nicht warum war sie die letze sie soll mindesten in top 5 sein ich weiss was ich schreibe ich habe alle lied von ihre eurovison (1964)gehóren sie hat gleistad mit italien Deutschland rock !!