Sie sind schon ein Haufen chaotischer Leichtfüßler und Hallodris, diese Schweizer:innen, das muss man einmal klar und deutlich so sagen. Ordnung scheint ihnen völlig fremd zu sein, die eigene Geschichte unbedeutend, archivarische Verpflichtungen nichts als unnützer Ballast! Was sie ironischerweise mit den Dänen eint, deren geschobener Sieg im Vorjahr zur Folge hatte, dass der Eurovision Song Contest 1964 nicht in Lausanne oder Lugano stattfand, sondern in Kopenhagen. Und dass dieser Jahrgang heute nicht mehr existiert, weil der dänische Rundfunk die Aufzeichnung verschlampte. Ob das unter der Ägide des Schweizer Fernsehens anders gelaufen wäre? Vermutlich nicht, denn was den helvetischen Eurovisionsvorentscheid des Jahres 1964 angeht, war lange Zeit noch nicht einmal bekannt, wann dieser stattfand, geschweige denn wo. Nur dass er stattfand, das wissen wir, und dass darinnen sechs Lieder gegeneinander antraten, dargeboten von fünf Künstler:innen. Neben dem in dieser Ära geradezu unvermeidlichen Jo Roland spielte auch eine gewisse Ulla Rafael eine Rolle, die, wie das Memoryradio in Fleißarbeit recherchierte, Anfang der Sechzigerjahre mal eine Zeitlang bei dem Grand-Prix-Freunden nicht völlig unbekannten Münchener Plattenlabel Jupiter Records unter Vertrag stand, bei welchem damals noch Ralph Maria Siegel, der Senior, das Sagen hatte. Trotz eines TV-Auftrittes und einer Teilnahme am Knokke-Festival wollte Frau Rafael jedoch kein rechter Hit gelingen.
Intelligenz hatte noch nie etwas mit dem Alter zu tun: ein wirklich hübscher Beatschlager mit mantraartigem Refrain von Liane Covi (Repertoirebeispiel).
Ullas seinerzeitigen eidgenössischen Vorentscheidungsbeitrag, ein (leider verschollenes) Lied mit dem schönen Titel ‘Allround Cha-cha-cha’, nahm sie allerdings nicht auf Platte auf. Das tat an ihrer Stelle die trotz zahlreicher Label- und Produzentenwechsel ebenfalls Zeit ihrer Schlagerkarriere kommerziell erfolglos bleibende Schweizer Kollegin Liane Covi, die damit aber auch einen Flop landete. Liane, geboren als Eliane Jacqueline Maria Haus, sollte es 1972 mit ‘C’est la Vie’ selbst beim helvetischen Vorentscheid versuchen, aber ebenfalls nicht schaffen. Ihr damaliger Produzent Jack White packte das Lied daraufhin auf die B‑Seite ihrer zweitletzten Single ‘Wo die Sonne scheint’. White gab dieses Lied jedoch auch an Tina York, welche daraus einen kleinen Hit machte. Im Gegensatz zu Liane, die 1974 schließlich einen Arzt heiratete und sich aus dem Schlagergeschäft zurückzog. Doch zurück zum Schweizer Vorentscheid 1964: gleich zwei der nur sechs Beiträge durfte die Tessinerin Anita Traversi vortragen. Eines davon, nämlich das verträumt-verschnarchte ‘I miei Pensieri’ trug den Sieg davon, so dass die bereits 1960 zum ESC-Einsatz gekommene Traversi ein zweites Mal das Schweizerkreuz vertreten durfte.
Anitas Eurovisionsbeitrag, hier in der deutschen Coverversion – mit ausgesprochen internationaler Titelzeile. Macht es aber auch nicht besser.
Vorentscheid CH 1964
Concours Eurovision. Samstag, 8. Februar 1964. Fünf Teilnehmer:innen.# | Interpret:in | Songtitel | Platz |
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01 | Anita Traversi | Mandolino | n.b. |
02 | Georges Pilloud | Amore in Ticino | n.b. |
03 | Jean-Pierre + Nathalie | Le Temps d’aimer | n.b. |
04 | Ulla Rafael | Allround Cha-Cha-Cha | n.b. |
05 | Jo Roland | Rêverie | n.b. |
06 | Anita Traversi | I miei Pensieri | 1 |
Letzte Aktualisierung: 27.02.2021