Einen etablierten Star, einen großen Namen als Repräsentanten des Vereinigten Königreichs beim Eurovision Song Contest zu finden, das war Anfang der Sechzigerjahre das Ziel des seinerzeitigen BBC-Unterhaltungschefs Tom Sloan, wie der britische Buchautor Gordon Roxburgh in seiner Fibel ‘Songs for Europe, Volume One’ rapportiert. Und so ließ er sich vom deutschen Vorentscheid 1963 inspirieren und änderte das Format des im Jahre 1964 erstmals unter dem Rubrum A Song for Europe firmierenden Auswahlverfahrens: anstelle mehrerer Künstler:innen sollte nur noch ein:e einzige:r, vorab ausgewählte:r, Interpret:in sämtliche Titel vorstellen. Nebenbei wollte Sloan so den Fokus stärker auf den Song lenken: anstatt für den charmantesten oder bekanntesten Sänger, so die Hoffnung, sollten die regionalen Jurys für das beste Lied stimmen. Während man über Letzteres streiten mag, klappte das mit dem großen Namen schon mal sehr gut: Sloan zog den als Terrence Parsons geborenen Schnulzenkönig Matt Monro an Land, in Großbritannien in Anlehnung an seinen ehemaligen bürgerlichen Beruf auch bekannt als “Der singende Busfahrer”, der seit 1960 bereits acht Hits vorweisen konnte, zuletzt die Titelmelodie des aktuellen James-Bond-Streifens ‘From Russia with Love’ (deutscher Filmtitel: ‘Liebesgrüße aus Moskau’), und sich damit auf dem Höhepunkt seiner Popularität befand.
Abermillionen von Kinogänger:innen und TV-Zuschauer:innen weltweit vertraut: Monros Bond-Titellied (Repertoirebeispiel).
Monro durfte sich aus einer Vorschlagsliste der britischen Komponistenlobby sechs Songschreiber aussuchen, die ihm jeweils ein Lied für A Song for Europe auf den Leib schneiderten. Wenig überraschend fiel seine Wahl überwiegend auf bisherige Weggefährten, darunter den Filmmusikkomponisten Lionel Bart, aus dessen Feder ebendieser Bond-Titel stammte. Der augenscheinlich abergläubische Bart blieb als einziger beteiligter Liedautor der TV-Show aus Verärgerung ostentativ fern, weil seine leicht weihnachtlich angehauchte Ballade ‘Choose’ bei der Auslosung der Präsentationsreihenfolge die Startnummer 1 zugelost bekam: eine Position, so die unverrückbare Überzeugung des Komponisten, von der aus niemand gewinnen konnte und die für sein Lied das Aus bedeute. Womit er Recht behalten sollte: ‘Choose’ landete in der Juryabstimmung auf Rang vier. Stattdessen siegte das von einem Kritiker des New Musical Express als “schmissiges Stück mit einem brodelnden Samba-Beat, aber nicht all zu viel Substanz” abqualifizierte ‘I love the little Things’, dessen Schöpfer Tony Hatch (dem wir auch den Petula-Clark-Evergreen ‘Downtown’ verdanken) denn auch zugab, die Nummer ganz bewusst direkt mit dem Refrain eröffnet zu haben, auf dass sie sich sofort ins Gedächtnis brenne. Die Strategie ging auf: die ‘kleinen Dinge’ kassierten doppelt so viel Stimmen wie der (eigentlich deutlich bessere) zweitplatzierte Song ‘I’ve got the Moon on my Side’. Um diesen, nach einem irreführend balladesken Auftakt rasch in einem Feuerwerk südamerikanischer Rhythmen regelrecht explodierenden Beitrag, entspann sich im Anschluss eine kleine Kontroverse.
Kein echter Überflieger dabei, aber auch kein Griff ins Klo: Matts Wettbewerbsbeiträge als Audio-Playlist.
Denn bis dato war es üblich, die Nummer 2 der Abstimmung als B‑Seite auf der Single mit dem Siegersong zu veröffentlichen. Was für dessen Komponisten bedeutete, dass er einen Anteil aus den Tantiemen der Verkäufe erhielt. Die Plattenfirma EMI, bei der sich Monro unter Vertrag befand, entschied sich jedoch dazu, stattdessen den im Vorentscheid letztplatzierten (!) Titel ‘It’s funny how you know’ mit auf die Single zu packen. Was, rein spekulativ natürlich, damit zu tun gehabt haben könnte, dass dessen Ko-Autor Norman Newell als Produzent bei der EMI arbeitete und das Geld somit im Haus blieb. Sowohl der BBC-Mann Tom Sloan als auch Matt Monro selbst, der sich von dem Vorfall “abgestoßen” fühlte, kritisierten den Vorgang öffentlich. Für Newell zahlte er sich nicht aus: die erst zehn Tage nach der Sendung veröffentlichte Single blieb in den Läden wie Blei liegen, im Gegensatz zu einer ein paar Tage früher herausgebrachten EP mit allen sechs Liedern des Vorentscheids, die sich allerdings auch nur moderat verkaufte. Einen wesentlich größeren kommerziellen Erfolg erzielte Monro, der mit dem “brodelnden Samba-Beat” in Kopenhagen auf dem für Großbritannien so typischen zweiten Platz landete, mit einer Coverversion des österreichischen Grand-Prix-Beitrag ‘Warum nur, warum?’ von Udo Jürgens, den er als ‘Walk away’ auf der Insel zum Top-Ten-Hit machte. Auch mit ‘Without you’, seiner Anglifizierung der B‑Seite (!) von Udos 1965er Eurovisionsbeitrag (im Original ‘Du sollst die Welt für mich sein’), knackte er die britische Top 40. Monro blieb noch bis in die Siebziger hinein dick im Geschäft. 1985 starb er im Alter von nur 54 Jahren an Leberkrebs. Die BBC behielt das künstlerzentrierte Format beim Song for Europe übrigens mehr als ein Jahrzehnt lang bei, mit größtenteils sehr überzeugenden Ergebnissen…
‘Kecke Instrumentierung, starke Melodie und natürlich makelloser Gesang’ attestierte ein anderer britischer Kritiker Matt Monros ESC-Lied.
Vorentscheid UK 1964
A Song for Europe. Freitag, 7. Februar 1964, aus dem TV-Studio der BBC in London. Ein Teilnehmer (Songentscheid). Moderation: David Jacobs. 16 regionale Jurys.# | Interpret | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Matt Monro | Choose | 16 | 04 |
02 | Matt Monro | It’s funny how you know | 11 | 06 |
03 | Matt Monro | I love the little Things | 87 | 01 |
04 | Matt Monro | I’ve got the Moon on my Side | 43 | 02 |
05 | Matt Monro | Ten out of ten | 15 | 05 |
06 | Matt Monro | Beautiful, beautiful | 20 | 03 |
Letzte Aktualisierung: 06.10.2020