Was für ein Höhenrausch: die im Vorjahr erstmals umgesetzte Idee der San-Remo-Macher, sich internationale Stars zum europaweit bekannten ligurischen Musikfestival einzuladen, welche dort die Zweitvariante der von den heimischen Künstler:innen vorgestellten Lieder sangen, hatte nicht nur den ohnehin schon herausragenden Glamour-Faktor der Gala in ungeahnte Höhen getrieben, sondern auch das musikalische Niveau gestärkt. Und gleich bei der Première des neuen Konzepts für Italiens ersten Eurovisionssieg gesorgt! Kein Wunder, dass die Rai das neue Format auch 1965 beibehielt. Was allerdings unter dem landeseigenen Sangespersonal nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß: einige etablierte San-Remo-Stars wie Adriano Celentano boykottierten den Wettbewerb. Domenico Modugno und Claudio Villa blieben hingegen nicht aus Protest fern: ihre Einreichungen überlebten nicht die Vorauswahl. Dafür ging die Vorjahressiegerin und Grand-Prix-Gewinnerin Gigliola Cinquetti erneut an den Start. Die Ballade ‘Ho bisogno di vederti’ zählt allerdings trotz einer relativ früh platzierten Rückung und des enthusiastischen Einsatzes der Sängerin nicht zu ihren stärksten Titeln, auch wenn es für das Finale und zu einer Top-Ten-Platzierung in den heimischen Charts reichte.
Gigliola schmettert, was die Lungenflügel hergeben: erstaunlich, dass aus einer so zarten Person so starke Töne kommen können!
Die Zweitfassung ihrer Nummer sang übrigens niemand Geringeres als der US-Star Connie Francis, geboren als Concetta Rosa Maria Franconero in Newark, New Jersey, die bereits als Kind an im Lokalfernsehen übertragenen Gesangswettbewerben teilnahm und Ende der Fünfziger mit charakteristisch vorgeschluchzten Pop-Heulern wie ‘Stupid Cupid’ den internationalen Durchbruch schaffte. Das Multitalent nahm viele ihrer Lieder in unterschiedlichsten Sprachfassungen auf, ausgehend von der Erfahrung, dass das Publikum in Nationen wie Deutschland zu jener Zeit Musik am liebsten im heimischen Idiom hörte. Der Erfolg von ‘Everybody’s somebody’s Fool’, ihrem ersten Nummer-Eins-Hit in den USA aus dem Jahre 1960, gab ihr Recht: erst als die von Ralph Maria Siegel getextete und von Conny im Eilverfahren phonetisch eingenuschelte Eindeutschung ‘Die Liebe ist ein seltsames Spiel’ auf den Markt kam, rollte sie auch bei uns die Charts auf. Schicksalsschläge überschatteten ihr späteres Leben: eine Vergewaltigung, der zeitweilige Verlust der Stimme infolge einer Nasen-OP und die Ermordung ihres Bruders durch die Mafia stürzten sie in eine so tiefe Krise, dass sie sich mehrfach in die Psychiatrie begeben musste.
https://youtu.be/1ZpOMO55Vq0
Einer dieser Wackeldackel, wie sie zu jener Zeit gerne die Rückbänke von Autos bevölkerten, muss Pitney wohl zu seinem Auftritt inspiriert haben.
Von den internationalen Stargästen des Vorjahres fand sich lediglich Gene Pitney erneut auf der Teilnehmerliste. Paul Anka wäre dem Vernehmen nach wohl ebenfalls gerne wiedergekommen, allerdings boykottierte seine Plattenfirma RCA diesmal den Wettbewerb, aus Verärgerung darüber, dass sie, wie alle anderen Labels auch, maximal drei Lieder hätte schicken dürfen. Pitney teilte sich das hochdramatische ‘Amici miei’ mit dem italienischen Sänger und Schauspieler Michele Scommegna alias Nicola di Bari. Beide lieferten hervorragende Renditionen des Titels ab: Pitney überzeugte durch eine stringente Stimmführung und sein unverwechselbares Organ, der eher kleinwüchsige di Bari, der mit seiner kastenförmigen Sonnenbrille und dem braven Seitenscheitel aussah wie der uneheliche Sohn von Heino, überraschte hingegen durch expressionistische Hingabe an sein Canzone. Stellenweise musste man fürchten, der vor innerer Erregung schon wie unter Stromschlägen zitternde Interpret könnte jeden Augenblick vor laufender Kamera zerbersten. Erfreulicherweise überlebte der Apulier, dessen große Zeit beim San-Remo-Festival noch vor ihm liegen sollte, jedoch den Auftritt. Der Song erreichte anschließend völlig zu Recht in beiden Fassungen die Top 5 der heimischen Charts.
https://youtu.be/J5gP2sg5smw
Der Brillenschlumpf fängt an: Nicola di Bari gibt alles.
Als klein, aber oho erwiesen sich auch die Mitglieder des von der Insel Madagaskar stammenden Familiensextettes Les Surfs, lustigerweise einer der wenigen Acts, die sich an die (bei einem nationalen Vorentscheid freilich nicht bindende) Sechs-Personen-Regel hielten. Den Solokünstler:innen hingegen stellten die Organisatoren heuer gleich acht Chorsänger:innen hinten dran. Die vier Brüder und zwei (mittlerweile verstorbenen) Surf-Schwestern jedenfalls, die 1963 zum Start des zweiten Programms des französischen Fernsehens als Repräsentanten der erst kurz zuvor durch die Grande Nation in die Unabhängigkeit entlassenen ehemaligen Kolonie nach Paris geholt worden waren und dort mit originalgetreuen Coverversionen angelsächsischer Hits große Erfolge feierten, kamen allesamt nicht über 1,50 Meter Körpergröße hinaus. Als zwergenwüchsige Menschen mit schwarzer Hautfarbe kassierten sie im Minoritätenbingo so viele Sympathiepunkte, dass es trotz ihrer etwas holprigen Aussprache des Italienischen für eine Platzierung in den Charts reichte. Anders als beim Erstinterpreten des mittelprächtigen Beatschlagers, dem Sarden Vittorio Inzaina, welchem der Sieg beim Nachwuchswettbewerb von Castrocaro im Herbst 1964 zwar diesen San-Remo-Auftritt sicherte, darüber hinaus jedoch keine entscheidenden Karriereimpulse liefern konnte.
Synchrontanz können sie schon mal gut. Mit der italienischen Aussprache klappt’s vielleicht auch irgendwann: Les Surfs.
Noch nicht einmal der Eurovisionsbonus vermochte hingegen der österreichischen Grand-Prix-Legende Udo Jürgens zu einem Verkaufserfolg zu verhelfen. Der im Vorjahr das erste von drei Malen vom ORF zum Eurovision Song Contest entsandte Chansonnier trat beim San-Remo-Festival 1965 als internationaler Teampartner der herrlich herben heimischen Sängerin Ornella Vanoni und ihres mit großem Nachdruck herausgebellten Zärtlichkeitsbefehls ‘Abbracciami forte’ (‘Umarme mich mit aller Kraft’) an. Und obschon sich der galante Kärntner weder in Sachen Intonation noch Aussprache eine Blöße gab, hinterließ die erstmalig angetretene Mailänderin den nachhaltigeren Eindruck. Und zwar nicht nur aufgrund ihres einzigartigen, dunklen Timbres und ihrer außergewöhnlichen Gestik, sondern auch wegen ihres großen Mundes, in dem problemlos einer von den Surf-Geschwistern Unterschlupf gefunden hätte, vor allem aber wegen ihrer beachtlichen Flügelspannweite: weiter als sie warf niemand die Arme auseinander. Der frenetische Zwischenapplaus aus dem Saal ist Beleg für die langanhaltende Liebesbeziehung zwischen dem italienischen Publikum und der wunderbaren Vanoni, die in den Sechzigern und Siebzigern, wie auch mit diesem Titel, fortlaufend Hits in den Single-Charts platzierte und noch bis heute regelmäßig erfolgreiche Alben herausbringt.
Erst mal den Mikrofonständer von Hand hochschrauben: Jürgens folgte beim San-Remo-Auftritt offensichtlich direkt auf die Surfs.
https://youtu.be/om5yJXyvdTo
Das Frisurenvorbild für Peggy Bundy: die absolut hinreißende Ornella Vanoni.
Noch am Anfang ihrer Karriere stand die Britin Pauline Matthews alias Kiki Dee. Die veröffentliche zu diesem Zeitpunkt schwerpunktmäßig Coverversionen aktueller Soul-Hits, allerdings ohne nennenswerten kommerziellen Widerhall, und hielt sich vor allem als Backgroundsängerin für die deutlich erfolgreichere Petula Clark über Wasser, die sie nach Kräften förderte und der sie wohl auch ihren San-Remo-Auftritt verdankte. Zwar haderte die Dee dabei gelegentlich auf sehr charmante Weise mit der korrekten Aussprache ihres schmalztriefenden Kitschriemens ‘Aspetto domani’ (‘Erwarte Dich morgen’), der lediglich in der Originalfassung des heimischen Crooners Fred Bongusto die italienischen Top 20 touchierte. Dennoch fand sie am Herumexperimentieren mit fremden Sprachen so viel Gefallen, dass sie anschließend sogar eine noch hübschere, weil noch deutlicher radebrechende deutsche Fassung namens ‘Warte bis morgen’ auf den hieran jedoch reichlich desinteressierten Markt warf. Erst die künstlerische Zusammenarbeit mit Elton John, zu dessen Plattenfirma sie Anfang der Siebziger nach einer ebenfalls fruchtlosen Phase bei Motown wechselte, brachte ihr den kommerziellen Durchbruch: 1976 landete sie mit dem Duett ‘Don’t go breaking my Heart’ ihren größten Erfolg.
“Amowre… Aaamoowwreeee”: nur die Dee kann dieses schönste aller italienischen Wörter in einem derartig entzückend-schauderhaften englischen Slang aussprechen.
Kikis Fördererin, die bei ihrem eigenen San-Remo-Auftritt ein wenig mit dem Orchester zu kämpfen hatte, surfte hingegen zu diesem Zeitpunkt noch ganz frisch auf der gigantischen Scheitelwelle ihres Welthits und größten Erfolges ‘Downtown’. Das schützte sie indes nicht davor, trotz ordentlicher stimmlicher Leistung gelegentlich im Klangmeer der Instrumentalisten fast abzusaufen. Zum Finale ihres soulig arrangierten Schunkelwalzers ‘Invece no’ musste sie gar noch tapfer lächelnd etliche quietschend schiefe Trompetentöne über sich ergehen lassen. Wollte es ihr hier gar ein zurückgewiesener Verehrer aus den Reihen des Rai-Orchesters heimzahlen? Dennoch klang ihre Fassung deutlich überzeugender als die tantenhaft arrangierte Originalversion von Betty Curtis. Fanden wohl auch die Italiener:innen: in den Verkaufscharts des Landes konnte ausschließlich Petula reüssieren. Der ehemalige Kinderstar, deren Musikkarriere mehr als vier Jahrzehnte umspannte und mit den unterschiedlichsten Veröffentlichungen in mehreren Sprachen abwechselnd den heimischen, den US-amerikanischen, den französischen, den italienischen und den deutschen Markt bediente, wurde 1998 von Queen Elizabeth für ihre musikalischen Verdienste mit dem Ritterorden ausgezeichnet.
Vergleichen Sie selbst: Petula vs. Betty Curtis.
Ein bisschen kläglich nahm sich dagegen das deutsche Angebot aus. Wobei das im weniger strengen Sinne für die weithin unbekannte Mannheimerin Adrianna Medini gilt, Tochter einer Zirkusfamilie mit italienisch- und französischstämmigen Eltern, die unter dem Künstlerinnennamen Audrey Arno 1960 gemeinsam mit dem eidgenössischen Hazy-Osterwald-Sextett den infektiös rhythmischen ‘Paschanga’ in die Charts gebracht hatte. Allerdings bizarrerweise nicht in die heimischen, sondern in die US-amerikanischen Billboard-Hot 100. Sie versuchte es 1965 sowohl beim Schweizer Vorentscheid als auch beim San-Remo-Festival, und obschon sie ihre Sache hier ziemlich gut machte, was sich zumindest noch in einer Finalteilnahme niederschlug, war mit dem mittelmäßigen Beitrag ‘Prima o poi’ für sie schlicht kein Blumentopf zu gewinnen. Im Gegensatz zum italienischen Interpreten, der lustigerweise auf den Künstlernamen Remo Germani hörte und dessen Aufnahme es in die Top Ten der heimischen Charts schaffte.
Kann man hören, muss man aber nicht kaufen: Audrey Arno.
Zum Fremdschämen schauderhaft hingegen, was der damalige deutsche Backfischschwarm und spätere Immobilienmakler Bernd Spier (‘Das kannst Du mir nicht verbieten’), seines Zeichens die noch spießigere Variante des teutonischen “Rock’n’Rollers” und Vorjahres-San-Remo-Germanen Peter Kraus, dem Lied ‘Vieni con noi’ antat. Welches der vorschriftsmäßig elvisbetollte und schmachtäugige Tedesci nämlich in einen brav-biederen Brei verwandelte, während die großartige Milva, die sich mit der bereits erwähnten Ornella die gleiche Frisur teilte, das musikalisch in der Tat nicht besonders herausragende Canzone alleine schon durch die unglaubliche lässige, geradezu beiläufig dahingerotzte Eleganz ihres Vortrags in eine funkelnde Perle veredelte. Das Finale und ein fünfter Rang in den heimischen Single-Charts war ihr gerechter Lohn. Wie ihr Song im Teilnehmerfeld abschnitt, bleibt leider das Geheimnis der Veranstalter: vermutlich auf Druck der Plattenfirmen gab man, wie schon im Vorjahr, nur den durch Abfrage bei mehreren Jurys ermittelten Sieger bekannt und hielt die restlichen Ergebnisse unter Verschluss. Womit man letzten Endes gleich 23 von 24 Beiträgen zu Verlierern stempelte.
Milva gurrt, schmettert, schmeichelt, flüstert, raspelt und reibt – und holt mit unnachahmlicher Grandezza selbst aus dieser müden Songgurke alles heraus.
Den Verkäufen schadete dies nicht. Einen italienischen Nummer-Eins-Hit landete – neben dem Siegertitel dieses Vorentscheids – auch die in den frühen Sechzigern gegründete, zum Zeitpunkt der San-Remo-Teilnahme auf dem Karrierehöhepunkt stehende US-amerikanische Folkkappelle The New Christy Minstrels, die in stetig wechselnder Besetzung während dieses Jahrzehnts immense Erfolge feierte, so zum Beispiel mit einer Neueinspielung des von Woody Guthrie verfassten Lagerfeuergitarren-Evergreens ‘This Land is your Land’, und zu deren zeitweiligen Mitgliedern unter anderem die spätere Easy-Rider-Filmschauspieler Karen Black, der Country-Gigant Kenny Rogers und die Singer-Songwriterin Kim Carnes (ihr weltweiter Nummer-Eins-Hit aus dem Jahre 1981: die heiser gekrächzte Femmage ‘Bette Davis Eyes’) zählten. Und zwar mit ihrer Interpretation der harmlos-lieblichen Melodei ‘Le Colline sono in Fiore’ (‘Die Hügel stehen in Blüte’). Die Originalfassung des Geschmalzes aus dem Munde der späteren Gameshow-Assistentin Wilma Goich, die sich im gleichen Jahr erfolglos beim schweizerischen Vorentscheid bewarb, wollte jedoch auch von ihren Landsleuten niemand kaufen.
Folk-Soul-Fusion ja, Blackfacing nein: die Neuen Minstrels enthielten sich gottlob der rassistischen Tradition ihrer namensgebenden Unterhaltungsform.
Die Minstrels zweitbesangen auch den Siegertitel dieses Festivals, das von dem italienischen Teenie-Schwarm Roberto Satti unter seinem Künstlernamen Bobby Solo anschließend beim Eurovision Song Contest präsentierte ‘Se piangi, se ridi’, eine mit dem Elvis-Klassiker ‘Are you lonesome tonight?’ auffällig baugleiche Schmachtballade. Es gilt als unumstritten, dass die (paritätisch zur Hälfte mit unter 25jährigen besetzte) Jury Solo mit diesem Sieg für seine Disqualifikation im Vorjahr entschädigten wollte, wo er wegen einer Halsentzündung nur im Vollplaybackverfahren auftreten konnte und deshalb aus der Wertung genommen werden musste. Doch auch 1965 sorgte der Pasta-King für einen Skandal: trotz des seinerzeit bestehenden Vorveröffentlichungsverbotes warf seine geldgierige Plattenfirma den Titel direkt nach dem San-Remo-Festival auf den Markt. Bei buchstabengetreuer Auslegung der Regeln hätte die EBU Solo daher eigentlich für den internationalen Wettbewerb sperren müssen, da er sich nach der damaligen Logik auf diese Weise einen Bekanntheitsvorteil vor seinen Konkurrent:innen sicherte. Nun richtete die Rai bekanntlich 1965 die Show in Neapel aus: es herrschte bei den übrigen Sendern Einigkeit, dass es vermutlich weder bei der veranstaltenden TV-Station noch in der Presse gut ankäme, die Sendung ohne den heimischen Vertreter über den Äther gehen zu lassen. So drückte man in Genf alle verfügbaren Augen zu und ließ Solo gewähren. Und wie man sieht, ist die Welt von dem Regelverstoß nicht untergegangen.
Da schmalzt es nicht nur in Bobbys Haaren: auch aus dem Lautsprecher läuft das Olivenöl literweise (plus die Playlist mit allen Finaltiteln in beiden Fassungen).
Als eigentlicher Publikumsfavorit galt im übrigen ein anderer Titel: nämlich das vom Cantautore und seriellen San-Remo-Teilnehmer Pino Donaggio im Verbund mit der US-amerikanischen Countrysängerin Jody Miller (ihr erster Hit von 1963, ‘He walks like a Man’, bildete die Vorlage für die geniale und in keiner gutsortierten Musiksammlung fehlen dürfenden Divine-Single ‘Walk like a Man’) interpretierte ‘Io che non vivo (senza te)’ (‘Ich kann nicht leben [ohne Dich]’). Für die – dem Titel angemessen – musikalisch hochdramatische Trennungsschmerzballade reichte es in der Originalfassung für einen dritten Rang in den heimischen Charts. Hört man in die Nummer herein, fallen einem zwei Dinge auf. Zum einen offenbart sich Pino in dem aus damaliger Sicht sicherlich romantisch gemeinten Text, in welchem er seine scheidungswillige Liebste beschwört, doch bei ihm zu bleiben, weil er nicht eine Sekunde lang ohne sie zu leben vermag, aus heutiger Sicht als potentieller Frauenmörder mit toxisch maskulinem Besitzdenken. “Sei mia!” (“Du gehörst mir!”) skandiert er ganze sieben Mal in allerhöchster Eindringlichkeitsstufe: es stand zu befürchten, dass der Protagonist seine Partnerin meuchelt, sollte sie sich seinem Ansinnen widersetzen.
https://youtu.be/N3W7qlMZTXY
So seltsam vertraut: Pino Donaggios Patriarchats-Ode.
Doch, geben Sie es ruhig zu, bis zur Textexgese sind Sie erst gar nicht gekommen, weil Sie sich bei der akustischen Degustation die ganze Zeit über verzweifelt gefragt haben, woher zum Teufel noch mal sie diese Melodie bloß kennen? Keine Sorge, dafür haben Sie ja mich: die legendäre britische Musik-Ikone Mary Isabel O’Brien, besser bekannt unter ihrem Künstlerinnennamen Dusty Springfield, beim San-Remo-Festival 1965 selbst als internationale Interpretin des Gianni-Mascolo-Titels ‘Di fronta all’Amore’ im Einsatz, der es allerdings nicht ins Finale schaffte, nahm das Stück hinterher mit einem völlig gegenläufigen englischen Text unter der Überschrift ‘You don’t have to say you love me’ auf. Und landete damit sowohl ihre einzige Nummer Eins in den britschen Charts als auch ihren ersten Hit in Deutschland. Für die offen lesbische Sängerin, die aufgrund ihrer einzigartigen Stimme den Ehrentitel “White Queen of Soul” zugesprochen bekam und bis zu ihrem Krebstod im Jahre 1999 weltweite Erfolge und zahlreiche Comebacks feierte, hatte sich der Ausflug nach Italien damit besonders gelohnt. Und für Musiklieberhaber:innen in aller Welt erst recht.
Ich weiß, ich muss es nicht sagen, aber ich tue es doch: ich liebe Dich, Dusty!
Vorentscheid IT 1965
Festival della Canzone italiana di Sanremo. Samstag, 30. Februar 1965, aus dem Casinò Municipale in San Remo. 23 Teilnehmer:innen. Moderation: Mike Bongiorno und Maria Grazia Spina.Heimische:r Interpret:in | Internationale:r Interpret:in | Titel | Platz | Charts |
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Bobby Solo | New Christy Minstrels | Se piangi, se ridi | 01 | 01 | – |
Betty Curtis | Petula Clark | Invece no | – | – | 05 |
Bruno Filippini | Yukari Ito | L’Amore ha i tuoi Occhi | – | – | – |
Fred Bongusto | Kiki Dee | Aspetta domani | – | 15 | – |
Gigliola Cinquetti | Connie Francis | Ho bisogno di vederti | – | 07 | – |
Milva | Bernd Spier | Vieni con noi | – | 05 | – |
Nicola di Bari | Gene Pitney | Amici miei | – | 04 | 03 |
Ornella Vanoni | Udo Jürgens | Abbraciami forte | – | 04 | – |
Pino Donaggio | Jody Miller | Io che non vivo (senza te) | – | 03 | – |
Remo Germani | Audrey Arno | Prima o poi | – | 10 | – |
Vittorio Inzaina | Les Surfs | Si vedrà | – | – | 04 |
Wilma Goich | New Christy Minstrels | Le Colline sono in fiore | – | – | 01 |
Letzte Überarbeitung: 11.06.2021
Was für ein Leuchten über Italien! Musikalisch diesmal bis auf zwei Ausnahmen nicht so berauschend, aber diese Show!!
Die Udo-Jürgens-Interpretation von ‘Abbracciami forte’ ist mittlerweile bei Youtube nicht mehr gesperrt, er erhält dort sogar von einem italienischen Musikkenner Lob für seine melodische Umsetzung (im Vergleich zu Ornella).
Ehrlicherweise bleibt anzumerken, dass Bernd Spier die italienische Aussprache besser beherrscht als Udo Jürgens. Ansonsten spielt Udo natürlich in einer anderen musikalischen Liga.