Con­cours Euro­vi­si­on 1965: Ich bereue nichts

Sechs Lie­der ran­gen um das Ticket nach Nea­pel beim schwei­ze­ri­schen Vor­ent­scheid von 1965, dar­ge­bo­ten von fünf Sän­ge­rin­nen – jawohl, aus­schließ­lich Damen tra­ten an in Locar­no, und kei­ne ein­zi­ge von ihnen besaß hel­ve­ti­sche Wur­zeln. Was man, wenn man möch­te, so wer­ten könn­te, dass in Sachen Frau­en­quo­te und Inte­gra­ti­ons­be­reit­schaft schon damals den gesell­schaft­lich fort­schritt­li­chen Schweizer:innen kei­ner was vor­mach­te. Oder was man als neu­er­li­chen Beweis lesen kann, dass in der Eid­ge­nos­sen­schaft das musi­ka­li­sche Talent doch eher rar gesät ist. Die gebür­ti­ge Israe­lin Car­me­la Cor­ren, die gleich alle bei­de (im Netz lei­der nicht auf­find­ba­re) deutsch­spra­chi­ge Bei­trä­ge vor­trug, been­de­te hier jeden­falls ihre euro­vi­sio­nä­re Tour­nee durch die soge­nann­ten DACH-Natio­nen: nach der Teil­nah­me am deut­schen Vor­ent­scheid von 1962 und als Reprä­sen­tan­tin Öster­reichs beim Euro­vi­si­on Song Con­test von 1963 fehl­te ihr nur noch die Eid­ge­nos­sen­schaft zur Ver­voll­stän­di­gung ihrer Kollektion.

Zwei Ver­su­che, kein Glück: sowohl beim ita­lie­ni­schen als auch beim schwei­ze­ri­schen Vor­ent­scheid von 1965 konn­te sich Wil­ma Goich nicht durch­set­zen (Audio).

Car­me­la traf in Locar­no auf zwei rela­tiv unbe­kann­te ita­lie­ni­sche Kon­kur­ren­tin­nen, die beim glei­chen Plat­ten­ver­lag eines in Mai­land täti­gen Schwei­zer Unter­neh­mers unter Ver­trag stan­den und bei­de bereits erfolg­los am San-Remo-Fes­ti­val teil­ge­nom­men hat­ten, näm­lich Bru­na Lel­li (1962) und Wil­ma Goich (1965), wel­che in dem flot­ten ‘Un Bacio sul­la Dita’ (‘Ein Kuss auf den Fin­ger’) ver­mut­lich ent­we­der von einer Papst-Audi­enz berich­te­te oder von einer brenz­li­gen Begeg­nung mit dem ört­li­chen Mafia-Boss. Für die Roman­die ging zum einen die in Mann­heim als Adri­an­na Medi­ni gebo­re­ne Audrey Arno an den Start, die 1960 gemein­sam mit dem eid­ge­nös­si­schen Hazy-Oster­wald-Sex­tett den infek­ti­ös rhyth­mi­schen ‘Pachan­ga’ in die Charts gebracht hat­te – aller­dings bizar­rer­wei­se nicht in die hei­mi­schen, son­dern in die US-ame­ri­ka­ni­schen Bill­board-Hot 100. Oh, und am San-Remo-Fes­ti­val 1965 nahm sie eben­falls teil! In Frank­reich gelan­gen ihr klei­ne­re Erfol­ge vor allem mit Cover­ver­sio­nen inter­na­tio­na­ler Hits, wozu ihr schwei­ze­ri­scher Vor­ent­schei­dungs­bei­trag ‘Douce’ natür­lich nicht zähl­te. In den Sieb­zi­ger­jah­ren ver­schlug es Audrey nach Las Vegas, wo sie in der Moulin-Rouge-Revue auf­trat. Dort ver­starb sie 2012 nach einer län­ge­ren Alzheimer-Erkrankung.

So camp wie eine Rei­he Zel­te: Audreys 1960er Hit ‘Paschan­ga’ und sein schnitt­frei­er One-Take-Video­clip (Reper­toire­bei­spiel).

Die zwei­te Ver­tre­te­rin des fran­zö­sisch­spra­chi­gen Teils der Eid­ge­nos­sen­schaft gewann dann auch die Jury-Abstim­mung, was ange­sichts ihres sehr klas­si­schen fran­ko­phi­len Gefühls­sturms ‘Non, à jamais sans toi’ - gera­de­zu pro­to­ty­pi­sche, auf den Geschmack der inter­na­tio­na­len Juro­ren zie­len­de Grand-Prix-Ware – nicht wei­ter ver­wun­dert. Auch die­ses Lied sang eine Import-Inter­pre­tin: “Ioan­na Fas­sou Kal­pa­xi ist die Toch­ter des berühm­ten grie­chi­schen Malers Kos­tas Fas­sos,” wie uns ihr Wiki­pe­dia-Ein­trag ver­rät. Aha, den kann­te ich bis­lang nicht. Unter ihrem Künst­le­rin­nen­na­men Yovan­na hat­te die aus­ge­bil­de­te Ope­ret­ten­sän­ge­rin im Jah­re 1963 mit dem Schla­ger­lein ‘Tiri­tom­bab­a­lou’ einen Top-30-Hit in Deutsch­land. Die­sen kom­mer­zi­el­len Erfolg konn­te sie mit ihrem Euro­vi­si­ons­bei­trag nicht wie­der­ho­len, wozu ihre Per­for­mance in Nea­pel bei­getra­gen haben mag. Im Bemü­hen, auch die nicht des Fran­zö­si­schen mäch­ti­gen Zuschauer:innen an den ihrer Bal­la­de inne­woh­nen­den Gefühls­wal­lun­gen mimisch teil­ha­ben zu las­sen, ver­dreh­te Yovan­na beim Sin­gen der­art ver­zickt die Augen, dass man unwei­ger­lich den Exor­zis­ten rufen woll­te. Und so reich­te es für die etwas zähe Num­mer, die völ­lig ver­geb­lich ver­such­te, sich der ergrei­fen­den Dra­ma­tik ihres musi­ka­li­schen Vor­bil­des ‘Non, je ne reg­ret­te rien’ zu bedie­nen, nur für einen Mit­tel­feld­platz. Spä­ter ver­leg­te sich Frau Fas­sou dann auf das Schrei­ben von Roma­nen, womit sie zu Hau­se ihr Aus­kom­men fand.

Chan­nel­te ihre inne­re Edith Piaf nur so mit­tel­über­zeu­gend: Yovanna.

Vor­ent­scheid CH 1965

Con­cours Euro­vi­si­on. Sams­tag, 6. Febru­ar 1965, aus dem Kur­saal in Locar­no. Fünf Teilnehmer:innen.

#Interpret:inSong­ti­telErgeb­nis
01Car­me­la CorrenEines Tages
02Audrey ArnoDouce
03Bru­na LelliTu sei
04Yovan­naNon (à jamais sans toi)1
05Wil­ma GoichUn Bacio sul­le Dita
06Car­me­la CorrenAy ay lachen­de Sonne

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 11.10.2020

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