Einzig und alleine das Lied soll im Vordergrund stehen beim Eurovision Song Contest, nicht der Interpret – von diesem möglicherweise gut gemeinten, aber völlig fehlgeleiteten Mantra (denn nur im gelungenen Zusammenwirken von Mensch und Material ergibt beides eine ergreifende Einheit) waren die TV-Unterhaltungschefs der westeuropäischen Sender nicht abzubringen in den Gründungsjahren des Wettbewerbs. Und so griff auch das schwedische Fernsehen 1965 zum gleichen Mittel wie die Kollegen aus Großbritannien und Belgien und nominierte, um das vergnügungssüchtige und leicht von großen Namen zu beeindruckende Publikum auszutricksen, einen einzigen Sänger, sämtliche Titel des nationalen Vorentscheids vorzutragen. Da der Contest in diesem Jahr in Italien, dem Mutterland der Oper, stattfand, lag es wohl irgendwie nahe, einen an den internationalen Spielstätten der Hochkultur gefeierten Bariton zu engagieren: man erhoffte sich bei SVT von dem bereits in jungen Jahren follikal Herausgeforderten Ingvar Wixell (zotigen Namenswitz hier bitte selbst einfügen) eine würdige Vertretung.
Sechs teils gar nicht mal so schlechte Songs, wäre da nicht der Interpret, der es in die popkulturelle Hölle der Popera herabzieht: das komplette Mello 1965, leider nur als Audiomitschnitt.
Der 2011 verstorbene Träger des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland, der von 1967 an dreißig Jahre lang zum Ensemble der Deutschen Oper Berlin gehörte, lehnte zunächst einmal zwei der acht von senderseits angefragten Komponisten speziell für ihn geschriebenen Titel ab. Unter den restlichen sechs Liedern verteilten die erstmals beim Melodifestivalen zum Einsatz kommenden elf regionalen Jurys ihre Punkte ziemlich eindeutig: nur Mitleidszähler gab es für das seinen Titel offensichtlich Lügen strafende ‘Väldigt vacker’ (‘Sehr schön’) und das zweideutige ‘Varm i dej’ (‘Warm in Dir’). Um so eindeutiger gewann der mit beeindruckender Stimmkraft intonierte ‘Annorstädes Vals’ (‘Anderswo-Walzer’), eine zarte, melancholische Sehnsuchtsballade, mit welcher das skandinavische Land nicht weiter entfernt von seiner heutigen Rolle als eurovisionäres Powerhouse des Pop hätte sein können, und in welcher der triebgeplagte Ingvar seiner abwesenden Fernbeziehung etwas vom frühlingshaften Knospen seiner Lüste vorsülzte, für die er sich Erlösung hinter den Schlüsselblumen erhoffte. Diesen frivol-floralen Sex-Talk entschärfte er jedoch in Neapel, wo er den Beitrag in einer etwas unverfänglicheren englischen Fassung als ‘Absent Friend’ vortrug. Das Nichtbeachten der seinerzeit noch ungeschriebenen Sprachenregel sorgte indes dafür, dass die EBU eben jene ab 1966 schriftlich verbindlich fixierte. Es sollte noch ein knappes Jahrzehnt vergehen, ehe Schweden zu seiner Form und – mit einer weiteren Regelübertretung – zum ersten Sieg fand.
Wegen mir hätte Ingvar auch auf Suaheli singen können. Mehr verstanden hätte ich dennoch nicht.
Vorentscheid SE 1965
Melodifestivalen. Samstag, 13. Februar 1965, aus dem Djurgården in Stockholm. Ein Teilnehmer. Moderation: Birgitta Sandstedt.# | Interpret | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Ingvar Wixell | Stilla och Tyst | 28 | 2 |
02 | Ingvar Wixell | Kommer Vår | 05 | 4 |
03 | Ingvar Wixell | Varm i dej | 02 | 5 |
04 | Ingvar Wixell | Förtrollad Stad | 14 | 3 |
05 | Ingvar Wixell | Vältigt vacker | 01 | 6 |
06 | Ingvar Wixell | Annorstädes Vals | 50 | 1 |
Letzte Aktualisierung: 11.06.2021