Nach und nach füllen sich die archivarischen Lücken rund um den schweizerischen Concours Eurovision: so kennen wir dank der fleißigen Arbeit des Webarchivs von Eurovision World mittlerweile die Namen aller sechs mal wieder fast ausschließlich aus dem Ausland importierten Teilnehmer:innen am eidgenössischen Vorentscheid 1966. Wobei diese niemanden vom Sockel hauen: Joël Holmès war ein französischer Chansonnier im Spätherbst seiner bescheidenen Karriere, Brigitt Petry eine heute weitestgehend vergessene deutsche Schlagersängerin. Und als das Interessante am (wie fast alle Songs leider nicht im Netz auffindbaren) Titel ‘Die Straße voller Lichter’ erweist sich dessen Komponist, der eidgenössische Bandleader Hazy Osterwald. Dazu kam noch die italienische Gameshow-Assistentin und Sängerin Anna Identici, die im gleichen Jahr erstmals in ihrer Heimat beim San-Remo-Festival antrat und in der Schweiz der Einfachheit halber die B‑Seite ihres dortigen Wettbewerbsbeitrags ‘Una Rosa da Vienna’ präsentierte. Wie eine B‑Seite hörte sich ihr Titel auch an: nach klassischer Resteverwertung nämlich.
Für die Telefonwarteschleife reicht’s vielleicht: Annas müdes Klaviergeklimpere.
Aus Paris stammte hingegen die damals erst 17jährige Madeleine Pascal, in deren siegreichem Liedchen ‘Ne vois-tu pas?’ Menschen mit einem offensichtlich feineren Gehör als der Blogbetreiber eine gewisse musikalische und / oder inhaltliche Verwandtschaft zu dem furchtbaren französischen Vorjahresbeitrag ‘N’avoue jamais’ von Guy Mardel festgestellt haben wollen. Das kann ich nun beim besten Willen nicht nachvollziehen, es spielt aber auch keine Rolle: die mit keiner all zu großen Stimme ausgestattete Madeleine hauchte ihr grundegales Chansönchen in Luxemburg recht notdürftig dahin und rettete sich durch scheues Lächeln über die Runden. Als gebürtige Gallierin erhielt sie selbstredend dennoch reichlich Punkte von den frankophilen Jurys zugeschaufelt – genau so, wie es das verschlagene Schweizer Fernsehen wohl ursprünglich einkalkulierte bei ihrer Akklamation. Kaufen wollte den musikalischen Schrott anschließend natürlich niemand, und nach ein bis zwei ebenso erfolglosen Nachfolgesingles verschwand Madame Pascal dann auch rasch wieder in der Versenkung.
N’ecoute-tu pas? Madame Pascal chante en Luxembourg.
Eine dieser Singles darf ich aber meinen geschätzten Leser:innen dennoch unter keinen Umständen vorenthalten: das noch im gleichen Jahr auf den französischsprachigen Markt geworfene ‘J’aime les Oignons’ nämlich, eine Coverversion der US-amerikanischen Novelty-Nummer ‘I love Onions’, dem einzigen kleineren Hit einer Dame namens Susan Christie (nein, auch noch nie von ihr gehört). Madeleine hauchte auf ihrer Übersetzung noch fragiler als schon bei ihrem Eurovisionsauftritt, was der subtilen Doppeldeutigkeit des Textes sehr zupass kam. Um allerdings wirklich keinen Zweifel an der sexuellen Konnotation dieser feinen Trash-Perle zu lassen, erging sie sich während der musikalischen Brücke im Mittelteil des Songs, wo im amerikanischen Original ein Looney-Tunes-artig eingesprochener Erklärungstext zu den historischen Bezügen des Zwiebelanbaus stand, in orgiastischem Gequieke. Fast könnte man geneigt sein, anzunehmen, dass der alte Chanson-Pornograf Serge Gainsbourg (‘Poupée de Cire, Poupéé de Son’, LU 1965) hier seine schmutzigen Finger im Spiel hatte, aber dem war nicht so. Dennoch ein schönes Fundstück!
Muss ganz schön aus dem Mund riechen: Madame Pascal (Repertoirebeispiel).
Vorentscheid CH 1966
Concours Eurovision. Samstag, 5. Februar 1966 aus Genf. Sechs Teilnehmer:innen. Moderation: Heidi Arbel und Maschia Cantoni.# | Interpret:in | Songtitel | Ergebnis |
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01 | Madeleine Pascal | Ne vois-tu pas | 01 |
02 | Joël Holmès | Je revendrai, Sylvie | – |
03 | Anna Identici | Uno ha bisogno dell’altro | – |
04 | Gino | Impara a tacere | – |
05 | Peter & Alex | Die Straße voller Lichter | – |
06 | Brigitt Petry | Glücklich sein | – |
Letzte Aktualisierung: 27.02.2021