Karrierezerstörende Null-Punkte-Resultate zu ersingen, darauf ließen sich Mitte der Sechzigerjahre die wenigsten deutschen Schlagerstars noch ein, und so hatte der Eurovisionsverantwortliche des Hessischen Rundfunks, Hans-Otto Grünefeld, langsam ernsthafte Probleme, noch Sänger:innen für den Grand Prix zu finden. Aber eine wollte – eine, die man bereits vor drei Jahren zugunsten von Heidi Brühl fallen gelassen hatte. Und auch diesmal, so kolportiert es Jan Feddersen in seiner Grand-Prix-Bibel ‘Ein Lied kann eine Brücke sein’, wollten die ARD-Oberen viel lieber die Niederländerin und dreifache Eurovisionssiegerin Corry Brokken importieren, in Deutschland zuletzt mit dem todtraurigen Tränenzieher ‘La Mamma’ sehr erfolgreich. Doch die erinnerte sich vermutlich noch mit Grauen an die rüden Umgangsformen der Frankfurter (nach ihrem Sieg beim ESC 1957 hatte ihr der damalige hr-Direktor zunächst eine Trophäe überreicht, nur um sie ihr kurz darauf wieder zu entreißen und an ihren Komponisten auszuhändigen, welcher der wirkliche Gewinner sei, wie man ihr auf Deutsch beschied) und sagte dankend ab.
Ach, wieviel reicher als beim Vorentscheid war der Tisch bei den Deutschen Schlagerfestspielen gedeckt! Hier die Siegerin Wencke Myhre mit ihrem praktisch ausschließlich aus dem Refrain bestehenden Nummer-Eins-Monsterhit ‘Beiß nicht gleich in jeden Apfel’. Die Copyrightklage von Apple ist schon in der Post!
So also durfte die bei offenen Vorentscheidungen stets gescheiterte Margot Eskens nun tatsächlich an den Start, und zwar ohne sich einer Konkurrenz stellen zu müssen. In einer strikt internen Jurywahl suchte man ihr hinter verschlossenen Sendertüren das bedächtige ‘Die Zeiger der Uhr’ aus, wiederum ein wirklich wunderschöner, melancholischer Erbauungsschlager über das unaufhaltsame Rinnen des Lebens, von Frisurenwunder Eskens stimmlich wohltimbriert vorgetragen. Mit dem kleinen, aber entscheidenden Schönheitsfehler, dass eben jener klassische deutsche Schlager im realen Leben schon längst im Leichenschauhaus lag: in den Verkaufscharts hatte der bewusst mit amerikanischem Akzent singende (“doch ich bleib Dir troy”) Drafi Deutscher mit seinen Beatsongs längst die alte Garde abgelöst, die beispielsweise in Person von Freddy Quinn und seinem lyrisch bewusst vage gehaltenen ‘100 Mann und ein Befehl’, einer sehr notdürftig als Antikriegslied kaschierten Wiederauferstehung gruseliger Landserromantik, noch die allerletzten Rückzugsschlachten schlug.
Auch die schwedische Eurovisionsvertreterin Lill Lindfors nahm an den deutschen Schlagerfestspielen 1966 teil (#24 in den deutschen Charts). In beiden Wettbewerben überzeugte sie mit einer hinreißend ironischen, beinahe schon ans Aufmüpfige grenzenden Lässigkeit.
Zu dieser alten Garde um Freddy oder Peter Alexander zählte auch die gelernte Zahnarzthelferin Eskens, in den Fünfzigern eine der erfolgreichsten deutschen Schlagerstars mit im Laufe ihrer Karriere insgesamt rund 40 Millionen verkaufter Tonträger, die 1957 mit ‘Tiritomba’ und ‘Cindy, oh Cindy’ gleich zwei Nummer-Eins-Hits in Folge platzieren konnte und daneben beim Publikum äußerst beliebte Duette mit allem aufnahm, was in Deutschland Rang und Namen hatte und bei drei nicht auf den Bäumen war. Doch mittlerweile neigte sich ihre Strähne dem Ende entgegen: nach einem Produzentenwechsel Anfang der Sechziger gelang ihr mit ihrem 1962er Vorentscheidungsbeitrag ‘Ein Herz, das kann man nicht kaufen’ zwar ein neuerlicher Hit, dem 1964 mit ‘Mama’ noch ein letzter Top-Ten-Titel folgte. Weitere Verkaufserfolge sollten ihr danach jedoch nicht mehr gelingen. Stattdessen wirkte die Eskens noch in ein paar Schlagerfilmen und zahlreichen TV-Shows mit; gerne lädt man sie auch heute noch zu schunkelseligen Retro-Galas ein, wo sie zu ihren alten Hits im Vollplayback mimen muss.
Bei den deutschen Schlagerfestspielen 1966 reichte es für Frau Eskens mit diesem schäbigen Nachzieher ihres Grand-Prix-Beitrags noch zu einen hinteren Rang, erst recht aber nicht mehr zu einem Hit. Ihre Zeit war einfach vorbei.
Dem beliebten TV-Moderator Hans-Joachim “Kuli” Kulenkampff blieb es 1966 vorbehalten, den heimlich ausgewählten Eurovisionsbeitrag in seiner Samstagabendshow EWG (das bewusst an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angelehnte Kürzel stand für Einer wird gewinnen) der Öffentlichkeit vorzustellen. Wobei er sich in einer seiner berüchtigten, gedankenwirren Anmoderationen dermaßen rettungslos in seinen Schachtelsätzen verhedderte, dass die bedauerliche, hinter den Kulissen atemlos wartende Sängerin beinahe ihren Einsatz verpasste. In Luxemburg lief es dann auch nicht besonders, und die Platte blieb ebenfalls wie Blei in den Regalen liegen. So zeigte sich Frau Eskens im Kurzinterview für eins der mittlerweile zahlreichen Grand-Prix-Specials des Hessischen Rundfunks dann auch im Nachhinein ein wenig verbittert über ihre Eurovisionserfahrung. Sie, so der still aus ihrem Gesichtsausdruck sprechende Vorwurf, hatte sich doch an alle Absprachen gehalten und immer brav alles getan, was man von ihr verlangte. Und dennoch blieb der dritte Karrierefrühling aus. Undank ist der Welten Lohn!
Eins, zwei, drei im Sauseschritt / eilt die Zeit, wir eilen mit: die Eskens mit ihrem Grand-Prix-Beitrag.
Deutsche Vorentscheidung 1966
Einer wird gewinnen. Samstag, 19. Februar 1966, aus dem Sendestudio des Hessischen Rundfunks, Frankfurt. Eine Teilnehmerin. Moderation: Hans-Joachim Kulenkampff (Songvorstellung im Rahmen der Sendung).
Letzte Aktualisierung: 17.10.20