Fran­zö­si­scher Vor­ent­scheid 1967: The who­le World’s Pain

Sechs Jah­re war es nun her, dass das fran­zö­si­sche Fern­se­hen zuletzt eine öffent­li­che Vor­ent­schei­dung für den Grand Prix Euro­vi­si­on durch­ge­führt hat­te. Und wei­te­re drei Jah­re soll­te es dau­ern, bis es das erneut tat. 1967 hin­ge­gen zog man sich in Paris, wie die meis­te Zeit, auf eine haus­in­ter­ne Aus­wahl zurück. Bemer­kens­wert an die­sem Jahr­gang erscheint jedoch der Umfang der Vor­schlags­lis­te: sam­mel­ten sich sonst übli­cher­wei­se so um die 50 ein­ge­reich­te oder vom Sen­der gewünsch­te Titel in der Aus­wahl, so schwoll die­se heu­er auf das Dop­pel­te an. Und es fand sich auch der eine oder ande­re inter­na­tio­nal bekann­te Name dar­un­ter, wie bei­spiels­wei­se der “Spatz von Avi­gnon”, Mireil­le Mathieu. Die aus einer kin­der­rei­chen Groß­fa­mi­lie mit 13 Geschwis­tern stam­men­de Schul­ab­bre­che­rin, die im Lau­fe ihrer Kar­rie­re rund 190 Mil­lio­nen Ton­trä­ger ver­kauf­te, soll­te noch in die­sem Jahr mit einem Album mit fran­zö­si­schen Chan­sons den Durch­bruch auch auf dem deut­schen Markt schaf­fen, wo es ab 1969 mit von ihr pho­ne­tisch ein­ge­sun­ge­nen Schla­gern aus der Feder von Chris­ti­an Bruhn wie ‘Hin­ter den Kulis­sen von Paris’ oder ‘Akro­po­lis adieu’ so rich­tig steil durch die Decke ging.

https://www.youtube.com/watch?v=nxAl0fJd5Y8&list=PL6tlaAOHN9P82ezlJwMnEkmOiqhfyKm0L

Die Play­list: eine klei­ne, hand­ver­le­se­ne Selek­ti­on von der 98 Titel umfas­sen­den Aus­wahl­lis­te des fran­zö­si­schen Fern­se­hens für den Grand Prix 1967.

Mathieu hat­te bereits im Vor­jahr mit einer ihren bei­den Debüt­sin­gles, ‘C’est ton Nom’, auf der Wunsch­lis­te von ORTF gestan­den, und auch heu­er fand sie sich mit dem Hit ‘Ce Soir ils vont s’ai­mer’ dort wie­der. Sie zum Euro­vi­si­on Song Con­test zu ent­sen­den, dürf­te aller­dings als Wunsch­den­ken zu klas­si­fi­zie­ren sein: dazu hat­te die nur 1 Meter 50 gro­ße Sän­ge­rin zwi­schen aus­ge­dehn­ten Russ­land-Tour­neen, Auf­trit­ten in der US-ame­ri­ka­ni­schen Ed-Sul­li­van-Show und im Ost-Ber­li­ner Fried­rich­stadt­pa­last sowie Home­sto­rys für die Bra­vo über­haupt kei­ne Zeit. Schon eher hät­te wohl das fran­zö­si­sche Schla­ger­pär­chen Line & Wil­ly (bür­ger­lich: Line van Menen und Clau­de Boil­lod) zur Ver­fü­gung gestan­den, das sich heu­er – wie auch im Fol­ge­jahr – mit jeweils gleich drei Lie­dern bewarb. Nach­dem sie bei­de Male nicht zum Zuge kamen, reich­ten sie 1968 ihr ‘A Chacun sa Chan­son’ eben in das angren­zen­de Fürs­ten­tum Mona­co wei­ter, wo man sich ger­ne von den her­un­ter­ge­fal­le­nen Bro­sa­men von der Tafel des Mut­ter­lan­des ernähr­te. Neben über die Lan­des­gren­zen hin­aus bekann­ten ein­hei­mi­schen Sänger:innen lock­te Paris auch Interpret:innen aus dem fran­zö­sisch­spra­chi­gen Aus­land an, so zum Bei­spiel im Vor­jahr die Schwei­ze­rin Géral­di­ne Gau­lier, die es mit ihrem schwach­brüs­ti­gen Chan­son ‘Quel Cœur vas-tu bri­ser?’ aller­dings dort nicht schaff­te, und die nun damit in Wien statt­des­sen für ihr Hei­mat­land Nul Points erkreischte.

Von ORTF abge­lehnt, griff das Schwei­zer Fern­se­hen ger­ne zu: Géraldine.

Zu den Lied-Tou­ris­tin­nen zähl­te auch die in Deutsch­land leben­de Vicky Lean­dros, die mit dem knuf­fi­gen Schla­ger ‘Mes­ser, Gabel, Sche­re, Licht’ (1965) bereits einen Hit vor­zu­wei­sen hat­te, jedoch lie­ber fran­zö­si­sche Chan­sons sin­gen woll­te, weil sie die­se Spra­che – zutref­fen­der­wei­se – als fei­ner und wohl­klin­gen­der emp­fand. So bewarb sie sich mit ‘Les Amou­reux’ um das gal­li­sche Ticket nach Wien, kam jedoch nicht zum Zuge. Wovon sich die spä­te­re Frei­frau von Ruf­fin jedoch nicht ent­mu­ti­gen ließ, denn es gab ja noch die bei­den Fürs­ten­tü­mer zum Aus­wei­chen. Und so trat sie eben für Luxem­burg an, wo man ihr aus sechs Lied­vor­schlä­gen das iko­ni­sche ‘L’a­mour est bleu’ aus­such­te, ihren ers­ten in zahl­rei­chen Sprach­fas­sun­gen auf­ge­nom­me­nen Welt­hit. Etwas Ver­wir­rung herrscht bezüg­lich des Sie­ger­ti­tels der fran­zö­si­schen Aus­wahl von 1967: das Web­ar­chiv Euro­vi­si­on Histo­ry weist dem in Paris gebo­re­nen Sin­ger-Song­wri­ter Her­vé Vil­ard, der einst als Wai­sen­kind viel­fa­che schlim­me Miss­brauchs­er­fah­run­gen in staat­li­chen Hei­men über sich erge­hen las­sen muss­te, mit dem Titel ‘L’A­vi­on de nul­le part’ den Lor­beer­kranz zu. Nahm ihm der Sen­der das Ticket wie­der aus den Hän­den, weil er laut Wiki­pe­dia im sel­ben Jahr sein Coming-out hat­te? Oder han­delt es sich viel­mehr um einen schlich­ten Tabel­len­feh­ler? Denn nur eine Zei­le dar­un­ter steht die Inter­pre­tin, die das Land dann tat­säch­lich in Wien ver­trat: Noël­le Cor­dier.

Laut Euro­vi­si­on Histo­ry 1967 eben­falls in der luxem­bur­gi­schen Aus­wahl: das ganz leicht psy­che­de­li­sche ‘Le Sol­eil a quit­té ma Mai­son’, das Vicky aber erst zwei Jah­re spä­ter als Sin­gle veröffentlichte.

Ihr ver­träumt-depres­si­ves Chan­son ‘Il doit fai­re beau là-bas’ hin­ter­ließ beim Grand Prix aller­dings kei­nen nach­hal­ti­gen Ein­druck und flopp­te auch kom­mer­zi­ell. Frau Cor­dier soll­te erst 1975 ein ein­zi­ger, dafür um so grö­ße­rer Hit gelin­gen: das gemein­sam mit dem gal­li­schen Euro­vi­si­ons­ver­tre­ter von 1961, Alain Bar­riè­re, vor­ge­schmach­te­te, hoch­dra­ma­ti­sche Tren­nungs­schmerz-Duett ‘Tu t’en vas’ (Sin­gle­charts: Platz 2 DE, 1 AT, 2 CH). Inter­es­san­ter­wei­se fand sich auch der fran­zö­si­sche Euro­vi­si­ons­bei­trag des Jah­res 1968, das Ver­ge­wal­ti­gungs­dra­ma ‘La Source’, bereits auf der dies­jäh­ri­gen Aus­wahl­lis­te. Des­sen Text­au­tor Guy Bon­net, der sein Land in den Jah­ren 1970 und 1983 beim Grand Prix ver­trat, nahm die aus dem Mun­de eines Man­nes um so gru­se­li­ger daher­kom­men­de Num­mer über ein jun­ges Mäd­chen, das bei einem Wald­spa­zier­gang von gleich drei Unhol­den miss­braucht wird, näm­lich zunächst selbst auf. Nach­dem ihn der Sen­der jedoch nicht woll­te, leg­te er die Bal­la­de in die fein­füh­li­gen und fach­kom­pe­ten­ten Hän­de von Isa­bel­le Aubret, die damit den Bron­ze­platz beim Wett­be­werb in Lon­don holte.

In der Wort-für-Wort-Über­set­zung eine Ode an den Cun­ni­lin­gus: Noël­les ‘Man muss es schön machen da unten’.

Vor­ent­scheid FR 1967

Haus­in­ter­ne Aus­wahl aus einer Vor­schlags­lis­te mit 98 Titeln.

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 19.02.21

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