Hoch oben im Norden gelegen, gehört das Königreich Norwegen nicht unbedingt zu den sonnenverwöhntesten Ländern Europas, und die Düsternis der Umgebung schlägt sich natürlich aufs Gemüt seiner Bewohner:innen und in der Folge auch in den Songtexten der Grand-Prix-Beiträge der Halbinsel nieder. So zum Beispiel beim ‘Dukkemann’, dem Siegertitel des Melodi Grand Prix (MGP) 1967, vordergründig ein fröhlich klingendes Lied über eine Marionette, ein beim Eurovision Song Contest bekanntlich gerne genommenes Thema. Was Kirsti Sparboe da in einem Outfit darbot, das nur als Kreuzung aus angeglimmerten Sträflingsklamotten und Schlafanzug bezeichnet werden kann und bereits den befremdlichen Golden-Girls-Chic der späten Achtziger vorwegnahm, stand allerdings in Sachen Defätismus dem herben Vorjahresbeitrag ‘Intet et nytt under Solen’ in Nichts nach.
All Resistance is futile: Kirsti hat keine guten Nachrichten für freie Geister.
Die Uppsala-Schlagerette erzählte die Moritat eines freiheitsliebenden Pinocchios, der seine dummen Mitpuppen auslachte, die bereitwillig an ihren Fäden ziehen ließen und tanzten, wie es den Herrschenden gefiel. Nicht so er selbst, denn er war ja klüger als der Rest. Bis es seinem Puppenspieler zu bunt wurde und er die Lebenslinie des ‘Dukkemann’ einfach durchschnitt. “Sieh, wenn der Tanz weitergehen sollen, muss man springen wie alle Anderen auch,” so machte Kirsti alle Hoffnung auf ein autonomes Leben zunichte. Das kam bei den insgesamt 50 qua Job ja nun ebenfalls für Fremdbestimmung stehenden Juror:innen aus zehn Regionen Norwegens natürlich sehr gut an, insbesondere im Küstenstädtchen Ålesund, wo man alle verfügbaren Punkte nur an den ‘Dukkemann’ gab. Keine Chance somit für die quirlige Lautmalerei ‘Shake’, die den als Gastgeber durch die einstündige Show führenden Schauspieler Jan Voigt in seiner Abmoderation zu einer spontanen Tanzeinlage hinriss, welche den vorangegangenen Auftritt der Interpretin Laila Granum locker in den Schatten stellte. Wobei niemand an diesem Abend allen Anderen derart die Show stahl wie der hornbebrillte Tamburinspieler des Kjell-Karsens-Orchesters, das den ersten von zwei Lieddurchgängen musikalisch begleitete: keine der zehn auftretenden Acts, die sich insgesamt fünf Lieder teilen mussten, war mit einer derartig professionellen Lässigkeit gesegnet wie der Schellenbaum-Shaker.
“Trippe trippe tripp tripp”: da hatte Evelyn Künneke Laila Granum wohl von den närrischen Pilzen genascht! Rechts im Bild der coole Schellenmann.
Mit einem einzigen Trostpünktchen aus Trondheim auf dem letzten Rang landete eine Komposition des norwegischen Ralph Siegel, Arne Bendiksen. Lag es möglicherweise an den Interpret:innen? Die Zwillingsschwestern Randi und Torill Eriksen präsentierten das “ladi dam dam”-lastige Duett zur Mundharmonikabegleitung als mittelprächtigen Country-Schlager und starrten dabei mit einer derartig frappierenden Mischung aus mentaler Abwesen- und diabolischer Besessenheit in die Kamera, dass man unwillkürlich glaubte, die erwachsen gewordenen Alptraummädchen aus Stanley Kubriks Horrorklassiker Shining, die Grady Twins, vor sich zu sehen. Was den Gruselfaktor noch einmal erhöhte, denn der Film entstand erst 13 Jahre später. Ein subtiles Unbehagen ging auch von der Zweitbesetzung der Nummer aus, dem singenden Ehepaar Ivar & Kari Medaas, im Lande bekannt und erfolgreich als das Vestlandsduoen. Denn während der blonde, massiv schielende Ivar durch ein geradezu unangemessen sonniges Lächeln auffiel, schaute seine wie eine Säge singende Gemahlin arg sauertöpfisch drein und warf ihrem Gespons immer wieder mit Seitenblicke zu, in denen sich Sorge, Gereiztheit und Resignation mischten, so als sei sie es leid, seine Pflegerin zu spielen. Fun Fact am Rande: im Jahre 1981 verklagte Ivar die Satire-Band Prima Vera (prominentes Mitglied: Jahn Teigen) auf Schmerzensgeld, weil diese den Kim-Carnes-Hit ‘Betty Davis’ Eyes’ in behindertenverhöhnender Absicht als ‘Ivar Medaas’ Eyes’ parodierte.
Ist es noch Übermut oder schon offene Verzweiflung? Per “Yee-haw” Asplin channelt seinen inneren Cowboy.
Unbedingte Erwähnung verdient noch der fünffache MGP-Teilnehmer Per Asplin. Dem kam die arg undankbare Aufgabe zuteil, das über keinerlei erkennbare Struktur oder Melodie verfügende, kakophonische Folkstück ‘Veslefrikk’ (‘Kleine Frike’) zum Vortrage zu bringen. Der stets fröhliche Sänger und Schauspieler kniete sich mit völliger Hingabe hinein und versuchte mit übertrieben exaltierten, begeisterten Grimassen, Posen und entfesselten Jauchzern zu retten, was nicht zu retten war. Was seinem Auftritt jedoch einen extrem hohen, unfreiwilligen Comedy-Faktor verlieh. Half nix: der Song landete auf dem vorletzten Rang. Exakt so ging es in Wien auch der mit großen Hoffnungen zum internationalen Wettbewerb gereisten Kirsti. Unter die besten Sechs könne sie kommen, hatten ihr zu Hause noch die Experten versichert. Die Wiener Jurys zogen jedoch eine andere Nummer vor, die ebenfalls von einer am Faden hängenden Puppe handelte: Sandie Shaw ersparte Europa doppelbödig-deprimierende Betrachtungen über den freien Willen und degradierte sich in ‘Puppet on a String’ zum hilflosen (Sex-)Spielzeug. Das Patriarchat frohlockte und belohnte die Britin, die ihren Song selbst hasste, mit einem fulminanten Sieg und einem Monsterhit. Frau Sparboe nahm sich das Thema ihres eigenen Beitrags zu Herzen und versuchte es auch weiterhin unverdrossen beinahe jedes Jahr beim Melodi Grand Prix. Mit Jahn Teigen hält sie dem gemeinschaftlichen Rekord der meisten MGP-Siege, nämlich vier (wovon sie jedoch nur drei Mal zum Contest fahren durfte).
https://youtu.be/q4a6vEj_Wdk
Eine satte Stunde Vorentscheid, wovon jedoch jeweils ein Viertel der Sendezeit für einen albernen Magier und die sehr ausführliche Vorstellung aller 50 Jurymitglieder:innen (davon vier Frauen) draufging: der komplette MGP 1967.
Vorentscheid NO 1967
Melodi Grand Prix. Samstag, 25. Februar 1967, aus dem Centralteatret in Oslo. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Jan Voigt.# | Interpret:in | Interpret:in | Titel | Jury | Platz |
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01 | Laila Granum | Bente Aaseth | Shake | 14 | 02 |
02 | Kirsti Sparboe | Torill Ravnaas | Dukkeman | 24 | 01 |
03 | Randi + Torill Eriksen | Kari + Ivas Medaas | Jeg vet om en Gutt / Jente | 01 | 05 |
04 | Per Asplin | Karin Krog | Veslefrikk | 05 | 04 |
05 | Torill Støa | Solfrid Heier | Skitur | 06 | 03 |
Zuletzt aktualisiert: 21.10.20
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