Ein Jahr, nachdem die damalige Kolonialmacht Niederlande mit der von surinamischen Eltern abstammenden Milly Scott die erste schwarze Sängerin zum Eurovision Song Contest delegierte, dominierten Künstler aus der portugiesischen Kolonie Angola, welche wie das lateinamerikanische Surinam erst 1975 die Unabhängigkeit erlangte, das Festival da Canção 1967. Der portugiesischen Wikipedia zufolge soll dies gerüchtehalber einem Wunsch des ultrarechten Machthabers Salazar entsprochen haben, der damit die Anbindung des südafrikanischen Landes stärken wollte. Wohl aus diesem Grunde durften bei der regionalen Jury-Abstimmung diesmal auch ein paar Exil-Angolaner mitvoten, allerdings ohne, dass ihre Stimmen mit in die Auszählung flossen. Kulturelle Approbation ja, Mitbestimmung nein: eine deutliche Botschaft des Diktators. Der Sender RTP, der das Studio mit einem schlichten, seitlich beleuchteten und in einer kleinen, stoppschildförmigen Bühne mündenden Laufsteg sowie einem dezenten Lichtspiel schmückte, schaltete bei diesem FdC erstmalig zwei Semis mit jeweils sechs Beiträgen vor, von denen jeweils die Hälfte ins Finale kam.
Hier erkenne ich doch schon erste Vorläufer einer klassischen Grand-Prix-Choreografie: das Schwarze Gold aus Angola beim FdC (plus Playlist mit allen sechs Finaltiteln).
Dem angolanischen Duo Ouro Negro (“Schwarzes Gold”), bestehend aus den Jugendfreunden Raul Indipwo und Milo MacMahon, die an beiden Vorrunden teilnahmen, gelang es dabei, gleich beide Titel ins Finale durchzubringen. Dort belegte der deutlich schmissigere ihrer beiden Wettbewerbssongs, das mit einer synchronen kleinen Handchoreografie dargebotene, erfrischend kurze ‘Quando amanhecer’ den vierten Rang, während die entsetzlich altmodische und unglaublich langweilige Ballade ‘Livro sem Fim’ (‘Buch ohne Ende’) sogar die Silbermedaille zu erringen vermochte. Beide Beiträge hatten musikalisch nicht das Geringste mit ihrem heimatlichen Repertoire zu tun, das auf dem von der Querflöte geprägten, jazzigen Kwela-Sound basierte. Wobei das Duo Ouro Negro eben auch portugiesischen, nunja, Pop im Programm hatte und damit durch ganz Europa tourte. Mit dem Tod von Milo MacMahon Ende der Achtziger löste das Duo sich auf. Auf dem letzten Platz im FdC-Finale landete einer der später erfolgreichsten portugiesischen Schlagersänger, der als João Simão da Silva geborene Marco Paulo (vorher wohl nur die Inspiration für diesen Künstlernamen kam?). Dass Marco noch am Anfang seiner Jahrzehnte umspannenden Karriere stand, merkte man dem jungen Mann ein wenig an: mit deutlich wahrnehmbarem Kloß im Hals und Mut zur großen Geste schluchzte er sich durch seine ziemlich zähe Schnulze ‘Sou tão feliz’ und erntete dabei eine 4 auf der Haldor-Lægreid-Skala.
Ein junger Louis Armstrong: Eduardo beim FdC.
Sein Kollege Artur Garcia, der zwei Jahre zuvor beim FdC noch die Kameras beschlagen ließ, hielt sich diesmal hingegen deutlich zurück, sodass die Vermutung nahe liegt, mit seinem Songtitel ‘Porta secreta’ könne vielleicht die ‘geheime Tür’ zu seinem Schrank gemeint gewesen sein. Den sehr eindeutigen Sieg machte indes ein weiterer Angolaner klar: der in der dortigen Hauptstadt Luando geborene Eduardo Nascimento, Mitte der Sechziger mit seiner Beat-Kapelle Os Rocks nach Portugal gekommen, lieferte solo mit dem schwungvollen ‘O Ventu mudou’ (‘Wenn der Wind sich dreht’) nicht nur das einzige Lied des Abends ab, das auch nach internationalen Maßstäben im entferntesten Sinne als Popsong durchgehen konnte, sondern er überzeugte dabei mit einer sehr faszinierenden, leicht heiseren und dabei doch beeindruckenden Stimme. Sowie einer hinreißenden, selbstbewussten Lockerheit im Auftritt, wie man sie beim Eurovision Song Contest bis dahin nur von der Vorjahresschwedin Lill Lindfors kannte. Um so erstaunlicher, dass Nasciemento dann beim Wettbewerb in Wien ein wenig gehemmt wirkte: so verkrampft, wie er während seiner zweieinhalb Minuten den linken Arm an seinen Körper presste, während der rechte locker schwang, drängt sich der Verdacht einer Prellung oder gar eines Knochenbruchs auf. Das machte sich auch im Gesang bemerkbar: bei den so wichtigen Schlusstönen erdrosselte ihn das laut aufspielende Orchester. Es reichte lediglich für den zwölften Platz. Ein Jahr darauf beendete Eduardo seine musikalische Karriere und ging wieder zurück nach Angola. Er ging 2019 von uns.
Eduardo Nascimento bei seinem letzten Auftritt im Rahmenprogramm des FdC 2019, wenige Monate vor seinem Tod.
Vorentscheid PT 1967
Festival da Canção. Samstag, 25. Januar 1967, aus den Estúdios da Tobis in Lissabon. Fünf Teilnehmer:innen. Moderation: Isabel Wolmar + Henrique Mendes.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Duo Ouro Negro | Quando amanhecer | 028 | 04 |
02 | Eduardo Nascimento | O Vento mudo | 120 | 01 |
03 | Marco Paolo | Sou tão feliz | 005 | 06 |
04 | Duo Ouro Negro | Livro sem Fim | 078 | 02 |
05 | Maria de Lurdes Resente | Não quero o Mundo | 030 | 03 |
06 | Artur Garcia | Porta secreta | 009 | 05 |
Letzte Aktualisierung: 11.06.2021