Er erwies sich mal wieder als große Wundertüte aus gewesenen, kommenden und nie so richtig stattfindenden Stars, der Schweizer Vorentscheid 1968. Immerhin, seinen Rhythmus hatte der Concours Eurovision zwischenzeitlich gefunden: wie schon in den letzten fünf Jahren bestand auch diese Ausgabe aus sechs verschiedenen Künstler:innen mit jeweils einem Song; zu Gehör kamen – streng paritätisch – jeweils zwei französische Chansons, zwei italienische Canzone und zwei deutsche Lieder. Den gallischen Part besorgten die nur kurzzeitig in Erscheinung getretene Sängerin Irène Berthier und der vor allem als Textdichter bekannte Franzose Charles Level. Ende der Fünfziger noch selbst als Frontmann einer Cover-Band unterwegs, verlegte er sich dann auf das Schreiben von Schlagertexten beispielsweise für Dalida oder Mireille Mathieu. Einnahmen bescherte ihm auch das Ersinnen französischer Übersetzungen für die Titelmusiken von TV-Serien und Spielfilmen. 1984 trat er noch einmal beim Grand Prix in Erscheinung, da als Autor des wenig ansprechenden gallischen Eurovisionsbeitrags von Annick Thoumazeau.
Ihre allererste Plattenaufnahme: die Schweizer Schlagerlegende Paola sollte ab jetzt ‘Für alle Zeiten’ am heimischen Vorentscheid teilnehmen.
‘Gefährlich, gefährlich’ nannte sich das Lied von Bea Abrecht, eine der beiden deutschsprachigen Interpretinnen. Ob das stimmte, entzieht sich unserer Kenntnis: wie die meisten Vorentscheidungsbeiträge findet es sich nicht im Netz. Es stammte aus der Feder ihres Entdeckers Werner Schmid, bei dem sie bereits als Elfjährige täglich auf der Bühne seines Etablissements stand. Ein ansonsten recht freundlich gestimmtes SRF-Portrait über Beas Lebenswerk wirft ihr indes investigativ-kritisch vor, “als Jodlerin allerdings umstritten” gewesen zu sein, weil sie “höher und schneller gejodelt [hat] als alle Anderen, das brachte ihr nicht nur Freunde ein”. Man sieht, der leichtfertige Umgang mit diesem hehren nationalen Kulturgut ist in der Schweiz ganz augenscheinlich ‘gefährlich, gefährlich’! Nach einem Karrierehoch in den Siebzigern mit gemeinsamen Auftritten mit Größen des Showgeschäfts wie Udo Jürgens machte Abrecht Ende der Achtziger noch einen Abstecher in die Niederungen des Volkstümlichen Schlagers, bevor ein Verkehrsunfall ihre Laufbahn beendete.
Eine dauergewellte Blondine in Pumps, die zu Klängen aus der völkischen Schlagerhölle was einer lateinamerikanischen Sause faselt und dazu merkbar angewidert den Putzlappen schwingt: bei Bea passt so überhaupt nichts zusammen (Repertoirebeispiel)!
Noch ganz am Beginn ihrer mehrere Dekaden umspannenden Schlagerkarriere stand die damals Achtzehnjährige Paola del Medico, TV-Zuschauer:innen im DACH-Raum auch bekannt als die ehelich angetraute Komoderatorin von Kurt “Verstehen Sie Spaß?” Felix. Dem Grand Prix war Paola stets eng verbunden: Wikipedia zufolge hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt im Jahre 1964 beim Concorso Musicale per Dilettanti (!) im Kongresshaus St. Gallen mit dem Titel ‘Non ho l’eta’ von Gigliola Cinquetti. Hier in Lugano sang sie das unglaublich zähe ‘Für alle Zeiten’, womit sie den zweiten Platz belegte. Den gleichen Titel präsentierte sie einige Wochen später nochmals beim sozialistischen Intervisions-Festival im tschechischen Karlsbad, wo es für Rang 4 reichte. Sie veröffentlichte den Titel daraufhin nur als B‑Seite ihrer ersten Single ‘Er kam mit einem roten Rosenstrauß’, die allerdings floppte. Im Jahr darauf bestimmte sie das Schweizer Fernsehen in einer internen Auswahl mit dem Gassenhauer ‘Bonjour, Bonjour’ zur Grand-Prix-Vertreterin der Eidgenossenschaft. Das brachte ihr den nötigen Kickstart und ihren ersten heimischen Hit (#7 CH), dem noch etliche internationale folgen sollten.
Schon deutlich flotter: Paolas ‘Roter Rosenstrauß’ (Repertoirebeispiel).
Die große Zeit des in der Lombardei geborenen Riccardo Sanna alias Ricky Gianco lag bereits Ende der Fünfziger, wo er zu den Wegbereitern des italienischen Rock’n’Roll zählte. Seine Zusammenarbeit mit dem Celentano-Clan blieb nicht ohne Reibereien: 1962 soll er auf Weisung des Meisters in eine Umkleidekabine gesperrt worden sein, um seinen Auftritt bei einem Musikfestival zu verhindern. Nach seiner Teilnahme am Concours Eurovision klafft in seinem Veröffentlichungskatalog eine siebenjährige Lücke, erst Mitte der Siebziger kehrte er unter Pseudonym ins Musikgeschäft zurück. Auch für Gianni Mascolo endete hier die Karriere: der ehemalige Chorknabe an der Mailänder Scala schaffte es nach einer Teilnahme am San-Remo-Festival 1965 nun via Schweiz zum Eurovision Song Contest. Allerdings kam der verhältnismäßig kleinwüchsige Sänger in London mit dem wunderbar sämigen, mit adorierenswerter Hingabe hinausgeschmetterten Schmachtschlager ‘Guardando il Sole’ nicht über einen schäbigen 13. Rang hinaus. Diese brüske Zurückweisung nahm er sich scheinbar zu Herzen: nach einer letzten, ebenfalls erfolglosen Nachfolgesingle beendete er 1969 sein musikalisches Wirken. Mascolo verstarb 2016 im Alter von 76 Jahren.
Hatte auf der Londoner ESC-Bühne die Zeit seines Lebens: Gianni Mascolo.
Vorentscheid CH 1968
Concours Eurovision. Samstag, 27. Januar 1968, aus den TSI-Studios in Lugano. Sechs Teilnehmer:innen. Moderation: Mascia Cantoni.# | Interpreten | Songtitel | Platz |
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01 | Charles Level | Il n’ya a pas 36 Façons | n.b. |
02 | Paola | Für alle Zeiten | 02 |
03 | Gianni Mascolo | Guardando il Sole | 01 |
04 | Irène Berthier | Le Bonheur connais plus | n.b. |
05 | Bea Abrecht | Gefährlich, gefährlich | n.b. |
06 | Ricky Gianco | Passo di Danza | n.b. |
Letzte Aktualisierung: 27.02.2021