Fran­zö­si­scher Vor­ent­scheid 1968: Jedem sein Lied

65 Lie­der sol­len nach Recher­che des Web­ar­chivs ESC Histo­ry in die­sem Jahr auf der inter­nen Aus­wahl­lis­te des fran­zö­si­schen Sen­ders ORTF gestan­den haben, und nur die wenigs­ten von ihnen las­sen sich Interpret:innen zuord­nen. Mit gleich drei Bei­trä­gen ver­such­te es das Schla­ger­pär­chen Line & Wil­ly (bür­ger­lich: Line Van Menen und Clau­de Boil­lod), und nach­dem sie im Hei­mat­land nicht zum Zuge kamen, reich­ten sie ihr gefäl­lig-harm­lo­ses ‘A chachun son Chan­son’ eben an die Steu­er­oa­se Mona­co wei­ter, den win­zi­gen Stadt­staat an der fran­zö­si­schen Rivie­ra, dem Zeit sei­ner Grand-Prix-Lauf­bahn mehr oder min­der die Posi­ti­on der Res­te­ram­pe für gal­li­sche Künstler:innen zufiel. Das Glei­che galt für das Fürs­ten­tum Luxem­burg, das bei­spiels­wei­se 1964 beim ver­schol­le­nen Con­test von Kopen­ha­gen den in einem Pari­ser Vor­ort gebo­re­nen Sin­ger-Song­wri­ter Hugues Auf­ray Unter­schlupf gewähr­te. Der Auto­di­dakt, der als Kind lan­ge Jah­re von der Schu­le aus­ge­schlos­sen blieb, weil er unter Dys­le­xie litt, schaff­te es auf­grund sei­ner erzäh­le­ri­schen Fähig­kei­ten und sei­nes unver­wech­sel­ba­ren, herb-melan­cho­li­schen Tim­bres den­noch, sich einen Namen zu machen. Sein selbst getex­te­tes, nun wie­der fürs Vater­land vor­ge­schla­ge­ne ‘Je veux viv­re avec toi’ zähl­te nicht sei­nen bekann­tes­ten Titeln, bezau­ber­te aber durch eine gera­de­zu zärt­li­che Schwermut.

Die Play­list: sie­ben Chan­sons lie­ßen sich fin­den, und für Jeden ist eins dabei.

Nicht sehr viel lässt sich über Mar­ti­ne Bajoud berich­ten, die zwi­schen 1967 und 1975 ein Album und eine Rei­he von Sin­gles ver­öf­fent­lich­te. Eine davon beinhal­te­te ihre bei­den Grand-Prix-Vor­schlä­ge ‘Avec des Mots’ und das wie­der zurück­ge­zo­ge­ne ‘Un Diman­che après la Fin du Mon­de’. Bajoud, die noch im glei­chen Jahr am renom­mier­ten Lie­der­fes­ti­val in Rio teil­nahm, ver­starb bereits 1990 im Alter von nur 41 Jah­ren. Ihren Spitz­na­men Stone hat­te die Sän­ge­rin Annie Gau­trat als Jugend­li­che von Freun­den erhal­ten, weil ihre Fri­sur an die des Rol­ling-Stones-Mit­glieds Bri­an Jones erin­ner­te. Ihr Yéyé­haf­tes und leicht schrä­ges ‘Bon­jour la Vie’, frag­los der fröh­lichs­te und aktu­ells­te aller heu­te noch bekann­ten Vor­auswahl­ti­tel, brach­te sie in Jahr dar­auf als Sin­gle auf den Markt. 1972 form­te sie mit ihrem Mann Éric Char­den, den sie bei einem Talent­wett­be­werb ken­nen­ge­lernt hat­te, bei dem sie sich bewarb und er in der Jury saß, das Duo Stone & Char­den, für des­sen Bei­trag zum gal­li­schen Kul­tur­schaf­fen sie 2012 den Orden der Ehren­le­gi­on erhielten.

In die eige­ne Ehe­frau ver­liebt zu sein, schien in den Sieb­zi­ger­jah­ren außer­ge­wöhn­lich genug, um sich dafür selbst in einem Song zu fei­ern: Richard Antho­ny (Reper­toire­bei­spiel).

Sehr viel kon­ven­tio­nel­ler klang die Bal­la­de ‘Peti­te Angli­se’, und das, obwohl ihr Inter­pret Richard Antho­ny (gebo­ren als Richard Btesh in Kai­ro) laut Wiki­pe­dia zu den Vor­rei­tern des Rock’n’Roll in Frank­reich zähl­te und bis bzw. auch kurz nach sei­nem Tod im Jah­re 2015 geschätz­te 50 Mil­lio­nen Plat­ten ver­kauft haben soll, fast alles davon fran­ko­phi­le Ein­spie­lun­gen inter­na­tio­na­ler Hits: Antho­ny cover­te alles, was bei drei nicht auf den Bäu­men war. Auch in Deutsch­land lan­de­te er zwei mal in den Charts: 1964 mit dem Trink­lied ‘Cin Cin’ und 1975 mit dem Schla­ger ‘Ver­liebt in die eige­ne Frau’. In eine deut­lich düs­te­re­re Rich­tung ging das von der Sen­der­ju­ry letzt­lich zum Grand Prix dele­gier­te Chan­son ‘La Source’. Das befand sich bereits 1967 auf der Aus­wahl­lis­te, da aller­dings gesun­gen von sei­nem Kom­po­nis­ten Guy Bon­net. Dies­mal schlug Guy Isa­bel­le Aubret vor, die das Land bereits 1962 mit ‘Un pre­mier Amour’ zum Sieg geführt hat­te. Sie erschien wohl als die geschmack­lich ange­mes­se­ne­re Inter­pre­tin des melo­disch recht lieb­lich dahin­plät­schern­den Lie­des über eine bru­ta­le Grup­pen­ver­ge­wal­ti­gung mit anschlie­ßen­dem Femi­zid als der stets einen Ticken zu bie­der und damit cree­py wir­ken­de Bonnet.

Die Genick­star­re war ihr sicher: die halb unter einer Kel­ler­trep­pe ein­ge­klemm­te Isa­bel­le Aubret muss­te drei Minu­ten lang zum Kame­ra­mann auf­schau­en. Ganz so, wie es dem Patri­ar­chat gefiel.

Vor­ent­scheid FR 1968

Haus­in­ter­ne Sen­der­aus­wahl aus einer Vor­schlag­lis­te mit 65 Titeln.

Zuletzt über­ar­bei­tet: 01.03.2021

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