“La, la, la”: diese drei so leicht und lustvoll zu singenden, simplen Silben sind die Quintessenz der Lautmalerei. Sowie der Titel des spanischen Eurovisionsbeitrags und Grand-Prix-Siegersongs von 1968, um den sich dermaßen viele Kontroversen, Verstrickungen, Legenden und Beschuldigungen drehen, dass es einem schwindelig davon werden kann. Der kraftvolle Ohrwurm entstammt der Feder von Manuel de la Calva und Ramón Arcusa, die sich Ende der Fünfziger bei der Erwerbsarbeit in einer Flugmotorenfabrik kennen gelernt und ihre gemeinsame Liebe zur Musik entdeckt hatten. Gemeinsam gründeten sie das Dúo Dinámico, mit dem sie die spanische Popszene der Sechziger aufmischten und bei sämtlichen Festivals im Lande abräumten. Das dynamische Duo reichte das Lied zum internen Vorentscheid beim Sender TVE ein, und es setzte sich dort gegen die Mitbewerber:innen Jaime Morey, Alberto Cortez und María Ostiz durch, deren Beiträge wir allerdings nicht kennen. Aber auch gegen das in diesem Jahr erst frisch gegründete, kurzlebige Konkurrenzduo Juan & Junior (Juan Pardo und Antonio Morales), das mit seinem Wettbewerbstitel ‘Nos falta fe’ sogar einen heimischen Nummer-Eins-Hit landen konnte.
Ein bisschen Beatles, ein bisschen Walker Brothers und ein abruptes Ende: Juan y Junior.
Aus irgendeinem Grunde wollten die Senderverantwortlichen jedoch nicht, dass das Dynamische Duo seinen Song selbst sänge. So legte dieses ihn stattdessen in die Hände des – wie die Beiden ebenfalls aus Barcelona stammenden und mit ihnen eng befreundeten – Liedermachers Joan Manuel Serrat, der mit ‘El Titiritero’ (‘Der Puppenspieler’) ursprünglich einen eigenen, nicht berücksichtigten Vorschlag bei TVE eingereicht hatte. Serrat, der bis dato Lieder sowohl in der katalanischen Sprache als auch auf Kastilisch veröffentlicht hatte, erklärte jedoch am 25. März 1968, nur zwei Wochen vor dem Song Contest in London, dass er ‘La La La’ dort nur zum Vortrage bringe, wenn er die Strophen des Liedes in seinem regionalen Heimatidiom singen dürfe. Der machthabende Diktator Franco jedoch unterdrückte sämtliche Regionalsprachen und hatte das Kastilische offiziell zum einzig zugelassenen Spanisch erklärt, wohl auch, um Abspaltungsbestrebungen innerhalb seines Reichs im Keim zu ersticken. Ob Serrat mit seiner Weigerung die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Sprachenstreit lenken oder ob er es sich nicht noch weiter mit den separatistischen Teilen seines katalanischen Stammpublikums verscherzen wollte, das sich aufgrund seines “Verrats” von ihm abwendete, in der Vergangenheit eben auch in der Sprache der von ihnen so empfundenen kulturellen Unterdrücker gesungen zu haben, muss der Spekulation anheim gestellt bleiben.
Der Puppenspieler von Mexiko: Joan Manuel Serrat.
Serrat zog jedenfalls in dem Pokerspiel gegen Franco und den Staatssender TVE den Kürzeren. Der ließ wenige Tage später die in Madrid gebürtige und sich gerade auf Tour in Mexiko befindliche María de los Ángeles Felisa Santamaría Espinosa alias Massiel einfliegen und beauftragte sie, einzuspringen. Massiel studierte das Lied in Windeseile ein, nahm es ebenfalls in einer etwas ruppig klingenden deutschen und einer absurden englischen Version auf und führte ‘La la la’ in London mit einem außergewöhnlich selbstbewussten, kraftstrotzenden Auftritt mit nur einem (hoch umstrittenen) Punkt Vorsprung gegen den haushohen Favoriten Cliff Richard zum Überraschungssieg. Serrat unterlag nach dieser Kapriole bis 1974 einem Auftrittsverbot im spanischen Fernsehen und verlegte seinen künstlerischen Schwerpunkt nach Lateinamerika. Aufgrund von Franco-kritischen Äußerungen musste er 1975 sogar zeitweilig ins Exil. Nach dem Tod des Diktators rehabilitiert, geriet der Unterstützer der sozialdemokratischen Regierung unter Zapatero (2004–2011) im Rahmen des Referendums zur Abspaltung Kataloniens im Jahre 2017 erneut zwischen die Fronten, als er sich für mehr Dialog zwischen den Parteien aussprach und dafür Boykottandrohungen durch aufgebrachte Separatisten erntete.
Wie man’s macht, ist es verkehrt: Serrat mit dem Präsentationsvideo, übrigens auf Kastilisch.
Die künstlerische Kollaborateurin Massiel, die mit ‘La la la’ einen europaweiten Hit generierte (#12 Deutschland, #8 in Österreich und der Schweiz, #35 UK), kehrte hingegen 1969 als Plakettenüberreicherin zum Eurovision Song Contest zurück, wobei sie außergewöhnlich viel zu tun hatte, denn es siegten in diesem Jahr gleich vier Interpretinnen punktgleich. Sie meisterte das hierdurch entstandene Chaos auf der Bühne jedoch sehr souverän. Massiel, die ihren Künstlerinnennamen ihrem Ballettlehrer und ihren Einstieg ins Musikgeschäft ihrem Vater verdankt, einem Musikmanager, der unter anderem Los Bravos und Karina unter Vertrag hatte, veröffentlichte bis in die Neunziger hinein Platten, mit unterschiedlichem Erfolg sowohl in Spanien als auch in Lateinamerika. Auch in Theaterproduktionen und Spielfilmen wirkte sie mit, unter anderem in einem Streifen namens Cantando à la Vida, in dem sie die Rolle der Maria spielte, die nach dem Sieg bei einem europäischen Musikwettbewerb plötzlich vom Erdboden verschwindet… 2001, so rapportiert es die Klatschpresse, soll sie beim Versuch, die Fensterläden ihrer Wohnung zu schließen (andere Stimmen sagen: aufgrund fortgesetzten Alkoholgenusses), aus dem ersten Stock gefallen sein und musste sich ins Krankenhaus begeben, aus dem sie aber kurze Zeit später wieder entlassen werden konnte.
Ein bisschen weihnachtlicher als Massiels Fassung: das Original des Dúos Dinámico.
Spanischer Vorentscheid 1968
Senderinterne Auswahl aus mindestens sechs eingereichten Vorschlägen.
Letzte Aktualisierung: 03.03.2021