Mit einem aufwendigen optischen Gimmick, der im Verlaufe des Abends noch eine wichtige Rolle spielen sollte, eröffnete das portugiesische Fernsehen RTP das fünfte Festival da Canção aus den Tóbis-Studios in der Hauptstadt Lissabon. Nämlich mit einer Art doppelwandiger, gigantischer goldenen Tasse, die sich mit Schwung öffnete und dabei den Blick freigab auf die gewissermaßen im Inneren des Trinkgefäßes eingeschlossene erste Sängerin dieses aus zehn Beiträgen bestehenden Vorentscheids, Mirene Cardinalli. Die Siegerin eines Liederfestivals in der südafrikanischen Kolonie Angola im Jahre 1966 lieferte passend zu diesem verhältnismäßig dramatischen Auftakt mit ‘Vento, não vou contigo’ (‘Wind, ich folge dir nicht’) ein moderat dramatisches Chanson, kam damit bei den Jurys aber nicht besonders gut an und wurde nur Achte im Ranking. Es sollte Mirenes einziger FdC-Auftritt bleiben: nur anderthalb Jahre später verlor sie bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zu einem Benefiz-Konzert gemeinsam mit ihrem Ehemann das Leben.
Die Gefahr lauert auf der Straße: Mirene Cardinalli (plus Playlist mit allen FdC-Beiträgen).
Auf mehrfache Teilnahmen am portugiesischen Liederfestival brachte es hingegen die stets nur unter ihrem Nachnamen auftretende FdC-Newcomerin Antónia de Jesus Montes Tonicha Viegas, die hier gleich zwei Songs beisteuern durfte und mit einem davon die Silbermedaille erreichte. Ebenfalls zwei Lieder brachte die FdC-Legende und zweifache ESC-Repräsentantin Simone de Oliveira zu Gehör, und zwar im Doppelpack direkt hintereinander weg. Damit überforderte sich die stets zu großer Ausdrucksstärke neigende Interpretin jedoch ein wenig: lieferte sie das für heimische Verhältnisse recht schwungvolle ‘Dentro de outro Mundo’ (‘In einer anderen Welt’) noch mit Aplomb ab, so war ihr beim das Wettbewerbsfeld abschließenden ‘Canção ao meu Piano velho’ (‘Lied auf meinem alten Klavier’) die Erschöpfung anzumerken: hörbar außer Puste kämpfte sie sich durch die zähe Ballade, stellenweise ging sie gar zum Sprechgesang über. Wie die Tageszeitung Diario de Lisboa am nächsten Tag berichtete, kollabierte de Oliveira direkt nach der letzten Note und musste, von einem starken Bühnenarbeiter über die Schulter geworfen, zur Notaufnahme geschleppt werden, wo man sie medizinisch versorgte und wieder aufpäppelte.
Mit letzter Kraft dahingehaucht: noch in der Bühnentasse klappte Simone zusammen.
Dass die TV-Zuschauer:innen hiervon nichts mitbekamen, lag am eingangs erwähnten Bühnengimmick: schien dessen Drehmechanismus nach der Präsentation der ersten Künstlerin des Abends dauerhaft außer Betrieb zu sein, so kam er zum Abschluss des Beitragsfeldes doch noch einmal zum Einsatz. Noch während sich die spätere zweifache Eurovisionsvertreterin die letzten Töne aus dem Leib presste, schnappte der Goldbecher wieder zu und kapselte die so vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützte Sängerin in sich ein. Dennoch fand ein hinter den Kulissen geschossenes Foto ihres Abtransportes seinen Weg in die Presse. Den Vorentscheid gewann der damals Zwanzigjährige Carlos Mendes, Gründer der im Lande populären Beatgruppe Sheiks, die er im Vorjahr verlassen hatte, um eine Solokarriere zu verwirklichen. Die musikalische Vorgeschichte hörte man seinem Beitrag ‘Verão’ (‘Sommer’) an, bei dem sich sehr moderat psychedelische Sounds mit der landestypischen Tristesse vermischten und es klang, als habe man deutlich zu viele Joints gekifft und spiele eine alte Beatles-Single auf 33 Umdrehungen ab, während man sich mehltaubestäubte Zuckerwatte in die Gehörgänge stopft.
Schaut ein bisschen verunsichert drein, wo denn bloß Ringo, Paul und der andere bleiben: Carlos Mendes.
Beim europäischen Wettbewerb in London, der Welthauptstadt des Beats, reichte es damit für einen hinteren Mittelfeldplatz. Dennoch (oder deswegen?) musste er sich nach eigener Aussage nach seiner Rückkehr aufgrund seiner heimatlichen Popularität zeitweilig auf der Farm eines Freundes vor der Öffentlichkeit verstecken. Mendes nahm 1972 nochmals am Grand Prix teil, der zufälligerweise erneut in Großbritannien stattfand. Im Jahr darauf schloss er ein parallel zu seiner Gesangskarriere begonnenes Architekturstudium ab, arbeitete aber nur für wenige Monate in diesem Beruf, um sich doch wieder der Musik zu widmen. 1975 gründete er gemeinsam mit seinen Eurovisionskollegen Fernando Tordo und Paulo de Carvalho ein eigenes, unabhängiges Plattenlabel. Ab Ende der Siebziger trat er zeitweilig wieder gemeinsam mit den Sheiks auf, später folgten Abstecher ins Fernsehen als Serienschauspieler und TV-Moderator.
Hübsch melodramatisch: der Sänger, Schauspieler und spätere TV-Produzent João Nicolau de Melo Breyner Moreira Lopes (Rang 4).
Vorentscheid PT 1968
Festival da Canção. Samstag, 4. März 1968, aus den Estúdios da Tobis in Lissabon. Acht Teilnehmer:innen. Moderation: Maria Fernanda + Henrique Mendes.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | Mirene Cardinalli | Vento não vou contigo | 11 | 08 |
02 | Tonicha | Fui ter com a Madrugada | 59 | 02 |
03 | Nicolau Breyner | Pauco mais | 33 | 04 |
04 | João Maria Tudela | Ao Vento e às Andorinhas | 24 | 05 |
05 | Carlos Mendes | Verão | 61 | 01 |
06 | José Cid | Balada para Dona Inês | 43 | 03 |
07 | António Calvário | O nosso Mundo | 02 | 10 |
08 | Tonicha | Calendário | 12 | 07 |
09 | Simone de Oliveira | Dentro do outro Mundo | 11 | 08 |
10 | Simone de Oliveira | Canção ao meu Piano velho | 14 | 06 |
Letzte Aktualisierung: 24.02.2021
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