Sie war eigentlich nicht die erste Wahl des Komponisten Nuno Nazareth Fernandes, die heutige portugiesische Eurovisionslegende Simone de Oliveira, die sich exakt diesen Ruf jedoch mit exakt diesem Lied erarbeitete. Mit ‘Desfolhada portuguesa’ nämlich, der ‘Portugiesischen Entblätterung’, dem ersten von noch vielen folgenden patriotischen Grand-Prix-Beiträgen der iberischen Nation, der mittlerweile so etwas wie einen Status als zweite Nationalhymne besitzt. Die erst wenige Tage vor dem Festival da Canção mit der Interpretation beauftragte Simone besingt darin die blonden Weizenfelder, den Königsmais, die Rindernelke, die grüne Kiefer, den blauen Himmel, das Meer, die aufsteigende Sonne, die alles verbrennende Hitze, den “dich küssenden” Wind, den “Mondschein im August” und vergleicht die Liebe zu ihrem Land gar mit dem Gebären eines Kindes. Der Text spricht aber auch von Schmerz und Durst, vom Unglück und nennt Portugal eine “hilflose Nussschale”, was einen schönen Gegenpunkt zu den ausufernden landwirtschaftlichen Lobpreisungen setzt, zu Zeiten der damals noch bestehenden Rechtsdiktatur unter Salazar aber auch als mutige, wenngleich geschickt getarnte Kritik an den bestehenden Verhältnissen gelten kann. Selbst das enttäuschende Ergebnis mit dem vorletzten Platz beim Eurovision Song Contest und das damalige strikte Versammlungsverbot hielt Simones Landsleute nicht davon ab, ihr bei der Rückkehr aus Madrid am Bahnhof zu Tausenden einen triumphalen Empfang zu bereiten.
Gibt dem Lied mit der für sie typischen, kontrollierten Hingabe alles: Simone de Oliveira (plus Playlist mit allen zehn Vorentcheidungstiteln).
Es wehte ohnehin ein moderat frischer Wind bei diesem FdC, das erstmalig vor Saalpublikum stattfand und mit einer gigantischen, modernistischen Studiodekoration aufwartete, vor welcher die zehn Interpret:innen auf ihrem handtuchbreiten Bühnenstreifen teils jedoch etwas verloren wirkten. Neben den bekannten Größen wie dem (mit weitem Abstand) zweitplatzierten, populären angolanischen Duo Ouro Negro, Fernando Tordo, Madalena Iglésias und dem wie immer zur verräterischen großen Geste und zum verzickten Gesichtsausdruck neigenden Artur Garcia konnte der Sender weitere seinerzeit angesagte Künstler:innen gewinnen, wie die ebenfalls aus der afrikanischen Kolonie Angola stammende Lilly Tchiumba (bürgerlich: Maria Olívia), die im Vorjahr mit dem Schwarzes-Gold-Duo in einem von RTP produzierten Musical mitgewirkt hatte. Valério Silva war ursprünglich Mitglied der Beatkapelle The Dynamics, was man seiner schwelgerischen Ballade ‘Sol da Manhã’ allerdings nicht anhörte, die jedoch dankenswerterweise in deutlich unter drei Minuten zum Ende kam, wie fast alle der zehn Titel im Wettbewerb. Mitte der Siebziger ging Silva für vier Jahre nach Brasilien, nach seiner Rückkehr ins Heimatland hängte der die Musikkarriere an den Nagel und ging in die Werbung.
Putzig, wie er gleich am Anfang verstohlen seinen Frack aufknöpft, weil er weiß, dass in den nächsten Minuten noch seine Arme ausbreiten wird: Artur Garcia, eine fünf auf der Haldor-Lægreid-Skala.
Maria da Conceição Costa Marques Refachinho Gordo oder kürzer Maria da Fé soll verschiedenen Quellen zufolge (mir persönlich geht da jegliche musikalische Fachkenntnis ab) die erste Fado-Sängerin gewesen sein, die je am FdC teilnahm. Ihr mit hochgradig dramatischen Trompeten, schwelgerischen Geigenteppichen und einem engagierten dreiköpfigen Männerchor operierendes ‘Vento do Norte’, für das es in der Wertung zu einem vierten Rang reichte, muss dann wohl allerdings zum Genre des von der Interpretin ebenfalls bedienen, unter Purist:innen umstrittenen Pop-Fados zählen, da ihm die namensgebende Fadheit dieser noch weit vor amerikanischem Softrock wohl langweiligsten Musikgattung der Welt größtenteils abgeht. Am Tabellenende landete, nicht ganz zu Unrecht, die nur einmalig beim FdC angetretene Sängerin Tereza Paula Brito (†2003), zu deren Verdiensten die Veröffentlichung des in der Presse als “erstes portugiesisches feministisches Album” gewürdigten Stückes ‘Mulheres Guerrilharas’ im Jahre 1974 zählt. ‘Desfolhada portuguesa’ hingegen entwickelte sich zur Hitsingle des Jahres und zum identitätsstiftenden Evergreen, den auch heute noch jede:r Portgies:in im Schlaf mitsingen kann.
Kommt der Wind aus Norden, werd’ ich dich ermorden: Maria da Fé.
Aus Protest gegen das Auszählungsverfahren beim ESC 1969 beteiligte sich der Sender RTP im folgenden Jahr am von den skandinavischen Ländern angeführten Grand-Prix-Boykott. Vonseiten des Publikums, welches Europa noch wegen der sträflichen Missachtung Simones grollte, gab es hiergegen keinen Protest. Ein Festival da Canção fand dennoch statt, wenngleich erst im Mai, nach dem Contest.
Vorentscheid PT 1969
Festival da Canção. Montag, 24. Februar 1969, aus dem Teatro São Luiz in Lissabon. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Lourdes Norberto.# | Interpret:in | Titel | Jury | Platz |
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01 | Simone de Oliveira | Desfolhada | 94 | 01 |
02 | Daniel | Os Fios da Esperança | 09 | 08 |
03 | Teresa Paula Brito | Buscando um Horizonte | 06 | 10 |
04 | Lilly Tchiumba | Flor bailarina | 07 | 09 |
05 | Valério Silva | Sol da Manhã | 33 | 03 |
06 | Madalena Iglésias | Canção para um Poeta | 11 | 06 |
07 | Artur Garcia | Sombras de ninguém | 11 | 06 |
08 | Duo Ouro Negro | Tenho Amor para amar | 49 | 02 |
09 | Fernando Tordo | Cantiga | 23 | 05 |
10 | Maria de Fé | Vendo do Norte | 27 | 04 |
Letzte Aktualisierung: 16.06.2021
Festival da Canção 1970 >