Fes­ti­val da Can­ção 1969: Wer ein Kind macht, tut es zum Vergnügen

Sie war eigent­lich nicht die ers­te Wahl des Kom­po­nis­ten Nuno Naza­reth Fer­nan­des, die heu­ti­ge por­tu­gie­si­sche Euro­vi­si­ons­le­gen­de Simo­ne de Oli­vei­ra, die sich exakt die­sen Ruf jedoch mit exakt die­sem Lied erar­bei­te­te. Mit ‘Des­folha­da por­tu­gue­sa’ näm­lich, der ‘Por­tu­gie­si­schen Ent­blät­te­rung’, dem ers­ten von noch vie­len fol­gen­den patrio­ti­schen Grand-Prix-Bei­trä­gen der ibe­ri­schen Nati­on, der mitt­ler­wei­le so etwas wie einen Sta­tus als zwei­te Natio­nal­hym­ne besitzt. Die erst weni­ge Tage vor dem Fes­ti­val da Can­ção mit der Inter­pre­ta­ti­on beauf­trag­te Simo­ne besingt dar­in die blon­den Wei­zen­fel­der, den Königs­mais, die Rin­der­nel­ke, die grü­ne Kie­fer, den blau­en Him­mel, das Meer, die auf­stei­gen­de Son­ne, die alles ver­bren­nen­de Hit­ze, den “dich küs­sen­den” Wind, den “Mond­schein im August” und ver­gleicht die Lie­be zu ihrem Land gar mit dem Gebä­ren eines Kin­des. Der Text spricht aber auch von Schmerz und Durst, vom Unglück und nennt Por­tu­gal eine “hilf­lo­se Nuss­scha­le”, was einen schö­nen Gegen­punkt zu den aus­ufern­den land­wirt­schaft­li­chen Lob­prei­sun­gen setzt, zu Zei­ten der damals noch bestehen­den Rechts­dik­ta­tur unter Sala­zar aber auch als muti­ge, wenn­gleich geschickt getarn­te Kri­tik an den bestehen­den Ver­hält­nis­sen gel­ten kann. Selbst das ent­täu­schen­de Ergeb­nis mit dem vor­letz­ten Platz beim Euro­vi­si­on Song Con­test und das dama­li­ge strik­te Ver­samm­lungs­ver­bot hielt Simo­nes Lands­leu­te nicht davon ab, ihr bei der Rück­kehr aus Madrid am Bahn­hof zu Tau­sen­den einen tri­um­pha­len Emp­fang zu bereiten.

Gibt dem Lied mit der für sie typi­schen, kon­trol­lier­ten Hin­ga­be alles: Simo­ne de Oli­vei­ra (plus Play­list mit allen zehn Vorentcheidungstiteln).

Es weh­te ohne­hin ein mode­rat fri­scher Wind bei die­sem FdC, das erst­ma­lig vor Saal­pu­bli­kum statt­fand und mit einer gigan­ti­schen, moder­nis­ti­schen Stu­dio­de­ko­ra­ti­on auf­war­te­te, vor wel­cher die zehn Interpret:innen auf ihrem hand­tuch­brei­ten Büh­nen­strei­fen teils jedoch etwas ver­lo­ren wirk­ten. Neben den bekann­ten Grö­ßen wie dem (mit wei­tem Abstand) zweit­plat­zier­ten, popu­lä­ren ango­la­ni­schen Duo Ouro Negro, Fer­nan­do Tordo, Mada­le­na Iglé­si­as und dem wie immer zur ver­rä­te­ri­schen gro­ßen Ges­te und zum ver­zick­ten Gesichts­aus­druck nei­gen­den Artur Gar­cia konn­te der Sen­der wei­te­re sei­ner­zeit ange­sag­te Künstler:innen gewin­nen, wie die eben­falls aus der afri­ka­ni­schen Kolo­nie Ango­la stam­men­de Lil­ly Tchi­um­ba (bür­ger­lich: Maria Olí­via), die im Vor­jahr mit dem Schwar­zes-Gold-Duo in einem von RTP pro­du­zier­ten Musi­cal mit­ge­wirkt hat­te. Valé­rio Sil­va war ursprüng­lich Mit­glied der Beat­ka­pel­le The Dyna­mics, was man sei­ner schwel­ge­ri­schen Bal­la­de ‘Sol da Man­hã’ aller­dings nicht anhör­te, die jedoch dan­kens­wer­ter­wei­se in deut­lich unter drei Minu­ten zum Ende kam, wie fast alle der zehn Titel im Wett­be­werb. Mit­te der Sieb­zi­ger ging Sil­va für vier Jah­re nach Bra­si­li­en, nach sei­ner Rück­kehr ins Hei­mat­land häng­te der die Musik­kar­rie­re an den Nagel und ging in die Werbung.

Put­zig, wie er gleich am Anfang ver­stoh­len sei­nen Frack auf­knöpft, weil er weiß, dass in den nächs­ten Minu­ten noch sei­ne Arme aus­brei­ten wird: Artur Gar­cia, eine fünf auf der Haldor-Lægreid-Skala.

Maria da Con­ce­i­ção Cos­ta Mar­ques Refach­in­ho Gordo oder kür­zer Maria da Fé soll ver­schie­de­nen Quel­len zufol­ge (mir per­sön­lich geht da jeg­li­che musi­ka­li­sche Fach­kennt­nis ab) die ers­te Fado-Sän­ge­rin gewe­sen sein, die je am FdC teil­nahm. Ihr mit hoch­gra­dig dra­ma­ti­schen Trom­pe­ten, schwel­ge­ri­schen Gei­gen­tep­pi­chen und einem enga­gier­ten drei­köp­fi­gen Män­ner­chor ope­rie­ren­des ‘Ven­to do Nor­te’, für das es in der Wer­tung zu einem vier­ten Rang reich­te, muss dann wohl aller­dings zum Gen­re des von der Inter­pre­tin eben­falls bedie­nen, unter Purist:innen umstrit­te­nen Pop-Fados zäh­len, da ihm die namens­ge­ben­de Fad­heit die­ser noch weit vor ame­ri­ka­ni­schem Soft­rock wohl lang­wei­ligs­ten Musik­gat­tung der Welt größ­ten­teils abgeht. Am Tabel­len­en­de lan­de­te, nicht ganz zu Unrecht, die nur ein­ma­lig beim FdC ange­tre­te­ne Sän­ge­rin Tere­za Pau­la Bri­to (†2003), zu deren Ver­diens­ten die Ver­öf­fent­li­chung des in der Pres­se als “ers­tes por­tu­gie­si­sches femi­nis­ti­sches Album” gewür­dig­ten Stü­ckes ‘Mul­he­res Guer­ril­ha­ras’ im Jah­re 1974 zählt. ‘Des­folha­da por­tu­gue­sa’ hin­ge­gen ent­wi­ckel­te sich zur Hit­sin­gle des Jah­res und zum iden­ti­täts­stif­ten­den Ever­green, den auch heu­te noch jede:r Portgies:in im Schlaf mit­sin­gen kann.

Kommt der Wind aus Nor­den, werd’ ich dich ermor­den: Maria da Fé.

Aus Pro­test gegen das Aus­zäh­lungs­ver­fah­ren beim ESC 1969 betei­lig­te sich der Sen­der RTP im fol­gen­den Jahr am von den skan­di­na­vi­schen Län­dern ange­führ­ten Grand-Prix-Boy­kott. Von­sei­ten des Publi­kums, wel­ches Euro­pa noch wegen der sträf­li­chen Miss­ach­tung Simo­nes groll­te, gab es hier­ge­gen kei­nen Pro­test. Ein Fes­ti­val da Can­ção fand den­noch statt, wenn­gleich erst im Mai, nach dem Contest.

Vor­ent­scheid PT 1969

Fes­ti­val da Can­ção. Mon­tag, 24. Febru­ar 1969, aus dem Tea­t­ro São Luiz in Lis­sa­bon. Zehn Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Lour­des Norberto.
#Interpret:inTitelJuryPlatz
01Simo­ne de OliveiraDes­folha­da9401
02Dani­elOs Fios da Esperança0908
03Tere­sa Pau­la BritoBuscan­do um Horizonte0610
04Lil­ly TchiumbaFlor baila­ri­na0709
05Valé­rio SilvaSol da Manhã3303
06Mada­le­na IglésiasCan­ção para um Poeta1106
07Artur Gar­ciaSom­bras de ninguém1106
08Duo Ouro NegroTen­ho Amor para amar4902
09Fer­nan­do TordoCan­ti­ga2305
10Maria de FéVen­do do Norte2704

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