ESC-Fina­le 1969: Er mach­te Fröh­li­che melancholisch

Logo Eurovision Song Contest 1969
Das Jahr der vier Sieger

Es hät­te eine War­nung sein kön­nen: bereits im Jah­re 1968 erschien in Frank­reich die mit dem (gefak­ten) Wer­be­sti­cker “Offi­zi­el­les Lied Liech­ten­steins für den Euro­vi­si­on Song Con­test 1969” ver­se­he­ne Sin­gle ‘Un beau Matin’, eine pos­sier­li­che Par­odie auf den euro­päi­schen Gesangs­wett­be­werb, in der eine Sän­ge­rin namens Vichy mit hoher Stim­me über einen zuck­ri­gen Gei­gen­tep­pich Harm­lo­sig­kei­ten über dort teil­neh­men­den Natio­nen into­nier­te. Nun war der an der Gren­ze zwi­schen Öster­reich und der Schweiz lie­gen­de, hand­tuch­gro­ße Stadt­staat ohne­hin nie­mals Mit­glied der EBU und durf­te daher gar nicht teil­neh­men. Dass man sich aber mitt­ler­wei­le über die nach wie vor mit staats­tra­gen­dem Pomp zele­brier­te Ver­an­stal­tung so offen belus­tig­te, war ein recht neu­es Phä­no­men, wel­ches davon Zeug­nis ableg­te, dass der Grand Prix trotz allem Ein­schalt­quo­ten- und kom­mer­zi­el­len Erfolg doch auch stets als ein biss­chen neben dem aktu­el­len Zeit­geist lie­gend wahr­ge­nom­men wur­de. Das Fes­ti­val selbst gas­tier­te in die­sem Jahr erst­ma­lig (und bis dato letzt­ma­lig) in der spa­ni­schen Haupt­stadt Madrid, wo bereits die merk­wür­di­ge Büh­nen­de­ko­ra­ti­on, eine kru­de Mischung aus alt­her­ge­brach­ten Blu­men­bee­ten, einer von Sal­va­dor Dalí gestal­te­ten Foto­ta­pe­te, sakral anmu­ten­den Orgel­pfei­fen und einer futu­ris­ti­schen Metall­skulp­tur auf das noch fol­gen sol­len­de Cha­os einstimmte.

Ein­fach nur albern: die fran­zö­si­sche Par­odie ‘Un beau Matin’.

Wobei wohl nichts das Publi­kum aus­rei­chend auf den als Pau­sen­fül­ler zwi­schen den Songs und der Stim­men­aus­zäh­lung pro­du­zier­ten Kurz­film ‘La Espa­ña Dife­ren­te’ hät­te vor­be­rei­ten kön­nen: eine fünf­mi­nü­ti­ge Kako­pho­nie aus wir­ren Bil­dern und schril­len Klang­col­la­gen, die auch nach­ge­bo­re­ne Fans, wel­che ihn heu­te zum ers­ten Mal sehen, uni­so­no als “Hor­ror­film” und als audio­vi­su­el­les Äqui­va­lent zu einer Wur­zel­be­hand­lung ohne Betäu­bung bezeich­nen. Für mehr Plä­sier sorg­te die char­man­te, in eine adret­te Spit­zen­gar­di­ne gewan­de­te Gast­ge­be­rin Lau­ri­ta Valen­zue­la, die neben ihrer Mut­ter­spra­che auch ein abso­lut feh­ler- und akzent­frei­es Fran­zö­sisch beherrsch­te. Wes­we­gen ihre Ver­su­che in Eng­lisch (was die Spanier:innen nun­mal schlicht­weg geburts­be­dingt nicht rich­tig aus­spre­chen kön­nen) nur um so nied­li­cher wirk­ten. Wobei unser­eins gar nicht läs­tern braucht: das “Hier ahr ze Reh­salz off ze Dsch­ehr­man Dschührie” aus dem Mun­de des deut­schen Jury­prä­si­den­ten Hans-Otto Grü­ne­feldt vom Hes­si­schen Rund­funk offen­bar­te, dass man sich auch im poly­glot­ten Frank­furt am Main schwer­tat mit Fremd­spra­chen. Frau Valen­zue­la jeden­falls führ­te die 1967 von ihrer öster­rei­chi­schen Kol­le­gin Eri­ka Vaal begrün­de­te Tra­di­ti­on fort und hieß die Men­schen in allen Teil­neh­mer­län­dern (und den ange­schlos­se­nen Inter­ver­si­ons-Natio­nen) mit einem vom Blatt abge­le­se­nen “Guten Tag” in der jewei­li­gen Lan­des­spra­che willkommen.

Vor­bild­lich: nach nur fünf Minu­ten singt schon der ers­te Teil­neh­mer beim ESC 1969 (kom­plet­ter Contest).

Damit nahm sie aller­dings den an ers­ter Stel­le in der Start­rei­hen­fol­ge antre­ten­den Jugo­sla­wen den Wind aus den Segeln. Die ver­folg­ten mit ihrer hem­mungs­lo­sen, wenn auch wun­der­bar har­mo­nisch gesun­ge­nen Punk­te­ab­greif­num­mer ‘Poz­drav Svi­jetu’ (‘Grü­ße an die Welt’) näm­lich die glei­che Anbie­de­rungs­stra­te­gie: in acht euro­päi­schen Spra­chen, ein­schließ­lich eines “Guten Tag”, begrüß­ten sie die Zuschauer:innen zum Auf­takt des mit wei­tem Abstand absur­des­ten (und somit groß­ar­tigs­ten) Con­test­jahr­gangs aller Zei­ten. Dass das Gan­ze bei den Jurys jedoch nicht wie erhofft zün­de­te, lag wohl auch an dem voll­bär­ti­gen Ivan (bür­ger­lich: Ivica Kra­jač). Eigent­lich ein gleich­be­rech­tig­tes Vier­tel des Kvar­tet 4M, ver­dank­te er sei­ne Her­aus­he­bung als Lead­sän­ger der damals noch gül­ti­gen Euro­vi­si­ons­re­gel, die offi­zi­ell ledig­lich Solis­ten und maxi­mal drei­köp­fi­ge Begleit­chö­re zuließ. Der spä­te­re Musi­cal­kom­po­nist gestal­te­te sei­nen Vor­trag der­ma­ßen affek­tiert und thea­tra­lisch, dass man an eine wei­te­re Par­odie glau­ben woll­te: eine Zwölf auf der Hal­dor-Læg­reid-Ska­la! Nicht wei­ter ver­wun­der­lich, dass er sei­nen Song “allen Jun­gen aller Flag­gen” wid­me­te, wie er sang: gemeint war wohl der bei Schwu­len belieb­te Han­ky-Code, denn Mäd­chen fan­den in sei­nem Lied kei­ne Erwähnung.

Stand zu sei­ner inne­ren Lori­el­le: der Ivan (YU).

Bes­ser schnitt da schon die Schwei­ze­rin Pao­la del Med­ico ab, die auf eine ähn­li­che The­ma­tik setz­te. Ihr schwung­vol­ler Schla­ger ‘Bon­jour, bon­jour’, der wie für Cate­ri­na Valen­te geschrie­ben klang, erquick­te die Hörer­schaft mit unbe­küm­mer­tem, hor­mo­num­tos­tem, Allein­ste­hen­de aller­dings acht­los aus­gren­zen­dem Rosa-Bril­len-Opti­mis­mus (“Die Welt ist wun­der­bar, sie kann nicht schö­ner sein / Und sie gehört nur den Ver­lieb­ten allein”), wel­chem die wie immer etwas steif auf­tre­ten­de spä­te­re Ehe­frau von Kurt Felix und Mit­mo­de­ra­to­rin der quä­lend unlus­ti­gen TV-Show Ver­ste­hen Sie Spaß? mit dem ihr so eige­nen Gefrier­lä­cheln nicht ganz gerecht wer­den konn­te. Mona­co schick­te ein heut­zu­ta­ge lus­ti­ger­wei­se als Rug­by­trai­ner arbei­ten­des, damals jedoch erst zwölf­jäh­ri­ges fran­zö­si­sches Milch­büb­chen namens Jean-Jac­ques Bor­to­laï, das sei­ne ‘Maman’ anfleh­te, bit­te bit­te noch lan­ge an ihrem Rock­zip­fel kle­ben zu dür­fen: da mani­fes­tier­te sich wohl Heint­jes unglück­se­li­ger (und in des­sen Wahl­hei­mat Bel­gi­en stets viru­len­ter) Ein­fluss. Die­ses Grau­en mach­te die in einem augen­schmerz­grü­nen Kleid vom For­mat eines Zir­kus­zel­tes auf­tre­ten­de Irin Muri­el Day ver­ges­sen, die sich mit einem eksta­ti­schen Veits­tanz die ‘Wages of Love’ verdiente.

Erzielt sicher einen guten Lie­bes­lohn: die Muri­el (IE).

Für Bel­gi­en beschmach­te­te der bereits zum zwei­ten Mal antre­ten­de Lou­is Neefs, der Mann mit den wohl gigan­tischs­ten Kote­let­ten der Grand-Prix-Geschich­te, die den­noch nicht aus­reich­ten, sei­ne Segel­oh­ren voll­stän­dig zu kaschie­ren, ein Lon­do­ner Mäd­chen namens ‘Jen­ni­fer Jen­nings’. Er tat das mit stoi­scher Mie­ne und völ­lig bewe­gungs­los – bis zum ers­ten Refrain, als er ohne jede Vor­war­nung plötz­lich die Arme nach oben riss und in einer artis­ti­schen Ver­ren­kung über dem Kopf zusam­men­schlug. Wie vie­le älte­re Zuschauer:innen die­ser völ­lig unvor­her­seh­ba­re Gefühls­aus­bruch in den Herz­tod schick­te, ist nicht über­lie­fert. Finn­land ent­zück­te mit einem put­zi­gen, jung­ver­lieb­ten Schla­ger­duo namens Jark­ko & Lau­ra und einer fast aus­schließ­lich aus Refrain und vie­len lus­ti­gen Klang­ef­fek­ten bestehen­den Rag­time-Ode an die gute alte Zeit. Jark­ko hat­te sich stil­echt mit einem Kreis­sä­gen­hut und einem Regen­schirm kos­tü­miert; bei­de lie­fer­ten wäh­rend der Brü­cke eine lus­ti­ge Tanz­ein­la­ge, irgend­wo zwi­schen Kung-Fu, Stumm­film und Stepp­tanz. Siw Malmkvist schau­te hin­ge­gen ein wenig ver­zwei­felt drein und trug ihr ziem­lich ange­staub­tes deut­sches Spiel­do­sen-Schla­ger­lein namens ‘Pri­ma­bal­le­ri­na’ vor, in dem sie die trau­ri­ge Ein­sam­keit eines Por­zel­lan­püpp­chens besang: ein wirk­lich sozi­al­kri­tisch auf­rüt­teln­des Lied. Dazu dreh­te sie sich selbst etwa so anmu­tig wie der sprich­wört­li­che Ele­fant im Porzellanpüppchenladen.

Den Pony wol­len wir bei­de bit­te exakt gleich: Jark­ko & Lau­ra (FI).

Die­se Rei­se durchs wil­de Absur­di­stan bil­de­te aber nur das Vor­spiel für das unüber­trof­fe­ne Dra­ma um die Punk­te­aus­wer­tung. Nach dem umstrit­te­nen Sieg eines ‘La La La’-Lied­chens im Vor­jahr setz­ten nun etli­che Kombattant:innen auf ähn­li­che Laut­ma­le­rei­en in ihren Bei­trä­gen. So wie die seit 1965 durch­gän­gig im Zwei-Jah­res-Rhyth­mus ent­sand­te nor­we­gi­sche Schla­ge­ret­te Kir­s­ti Spar­boe mit dem pep­pi­gen ‘Oj oj oj’ (nein: kei­ne Skin­head-Ode); die sich als ver­hin­der­te Opern­sän­ge­rin gebär­den­de Por­tu­gie­sin Simo­ne de Oli­vei­ra, die im Refrain ihres zu Hau­se einen Rang als natio­na­les Kul­tur­hei­lig­tum inne­ha­ben­den Songs ‘Des­folha­da’ eben­falls das ein oder ande­re “La La La” und “Lay Lay Lay” unter­brach­te; oder aber wie die für das Ver­ein­te König­reich ange­tre­te­ne, völ­lig über­dreh­te Schot­tin Marie McDo­nald McLaugh­lin Lawrie, bes­ser bekannt als Lulu, deren Cho­reo­gra­fie-Vor­bild offen­sicht­lich die­se “lus­ti­gen” Kat­zen­uh­ren bil­de­ten, bei denen sich die weit auf­ge­ris­se­nen Kul­ler­au­gen im Sekun­den­takt über­trie­ben hin- und her­dre­hen. Und deren Kar­dio­lo­ge ihr vor dem Wett­streit die aus medi­zi­ni­scher Sicht doch sehr beun­ru­hi­gen­de Nach­richt über­bracht hat­te, ihr Herz schla­ge ‘Boom Bang A Bang’. Womit sie trotz ihres grau­en­haf­ten Kräch­zens einen der ers­ten Plät­ze belegte.

Vier gewinnt

Ähm, wie bit­te? Einen der ers­ten Plät­ze? Jawohl, denn es gab gan­ze vier Sie­ger­ti­tel an die­sem Abend!

Da guckst Du: Lulu (UK) macht den Sieg klar.

Bei ins­ge­samt 16 Teil­neh­mer­län­dern, einem weni­ger als zuvor (Öster­reich, drei Jah­re zuvor noch der Sie­ger, setz­te aus poli­ti­schen Grün­den aus, weil man nicht in das damals noch faschis­tisch regier­te Spa­ni­en rei­sen woll­te), teil­ten sich vier Bei­trä­ge, also jedes vier­te Lied, die Höchst­wer­tung. Bei den wei­te­ren Glück­li­chen han­del­te es sich um zum einen um den bis­he­ri­gen Viel­fach­ge­win­ner Frank­reich (Fri­da Boc­ca­ra mit dem klas­si­schen, mit abso­lu­ter Prä­zi­si­on und Hin­ga­be gesun­ge­nen fran­ko­phi­len Gefühls­sturm ‘Un Jour, un Enfant’) und um das Gast­ge­ber­land selbst, wel­ches eine mit einem gro­tes­ken, meh­re­re Kilo schwe­ren Röhr­chen­fum­mel beklei­de­te Natur­tran­se (also eine als Maria Rosa Mar­co Poquet gebo­re­ne, bio­lo­gisch ech­te Frau, die aber aus­sah wie ein über­schmink­ter Trans­ves­tit mit pom­pö­ser Perü­cke) mit dem Künst­le­rin­nen­na­men Salo­mé auf die Büh­ne schick­te. Auch sie (bezie­hungs­wei­se ihr männ­li­cher Begleit­chor) unter­stütz­te ihren son­ni­gen, deut­lich auf die Erfolgs­for­mel von ‘La la la’ set­zen­den Euro­vi­si­ons­schla­ger ‘Vivo can­tan­do’ mit etli­chen kraft­vol­len “Hey!“s im Refrain. Wobei der Song in der Liv­e­fas­sung aus ledig­lich einer ein­lei­ten­den Stro­phe und fünf sich ste­tig stei­gern­den Wie­der­ho­lun­gen des Kehr­reims sowie gleich drei Rückun­gen bestand. Sie topp­te das Gan­ze mit einer schun­keln­den Tanz­per­for­mance, bei der die metal­lic­blau­en Röhr­chen an ihrem Hosen­an­zug nur so flo­gen. Sest­re, her­ge­schaut: das ist ech­ter Drag-Queen-Glamour!

Da lach ich doch! Salo­mé (ES) ist die Siegerin!

Die Nie­der­län­de­rin Len­ny Kuhr mit ihrer fol­kig-her­ben, selbst getex­te­ten Bän­kel­sän­ger­bal­la­de ‘De Trou­ba­dour’, auch sie dem ein oder ande­ren “Lay lay lay” nicht abge­neigt, ver­voll­stän­dig­te das Quar­tett der Erst­plat­zier­ten. Nach mei­nem Ver­ständ­nis zählt sie als die ech­te Sie­ge­rin die­ses Jahr­gan­ges. Lei­der erst im Nach­gang zu die­sem pein­li­chen Deba­kel erließ die Euro­pean Broad­cas­ting Uni­on (EBU) die Bestim­mung, dass bei einem künf­ti­gen Punk­te­gleich­stand der­je­ni­ge gewon­nen habe, der die höhe­ren Ein­zel­punk­te vor­wei­sen kann. Eine mitt­ler­wei­le ins Gegen­teil (heu­te zählt die höhe­re Anzahl der Wer­tun­gen) gedreh­te Regel, die erst­mals beim ähn­lich chao­ti­schen Wett­be­werb in Rom 1991 zum Ein­satz kam, als Ami­na Anna­bi und Caro­la Häggkvist mit jeweils 146 Zäh­lern vor­ne lagen. Bei­de hat­ten je vier Mal Dou­ze Points kas­siert; die Schwe­din konn­te aber fünf Mal zehn Punk­te auf sich ver­ei­nen, die Fran­zö­sin nur zwei Mal. So gewann Caro­la. Wen­det man die­se Zähl­wei­se retro­ak­tiv auf den 1969er Con­test an, wie ich es in allen mei­nen Tabel­len (und nicht nur bei den Sie­ger­ti­teln, son­dern auch bei Punk­te­gleich­stän­den auf den unte­ren Plät­zen) tue, ergibt sich ein ein­deu­ti­ges Bild: Len­ny Kuhr gewinnt mit der höchs­ten Ein­zel­wer­tung (6 Punk­te aus Frank­reich) vor Lulu (5 Punk­te aus Schwe­den), Fri­da Boc­ca­ra (4 Punk­te) und Salo­mé (3 Punkte).

Ein biss­chen Sie­gen: Len­ny Kuhr (NL).

Anders ver­hielt es sich in den Charts: dort räum­te ledig­lich Lulu (#8 in Deutsch­land, #2 in Groß­bri­tan­ni­en, #1 in Nor­we­gen) rich­tig ab. An die­sem Abend aber blieb es, zur erheb­li­chen Belus­ti­gung des anwe­sen­den Saal­pu­bli­kums und zur Über­for­de­rung der Mode­ra­to­rin nach der Ent­schei­dung des EBU-Schieds­rich­ters Clif­ford Brown ganz offi­zi­ell bei vier Sie­ge­rin­nen, die auch alle vier eine Medail­le erhiel­ten (dafür gin­gen die Tex­ter und Kom­po­nis­ten, für wel­che die wei­te­ren Exem­pla­re eigent­lich gedacht waren, leer aus). Und zwar aus der Hand von Vor­jah­res­ge­win­ne­rin Mas­siel, die sich extra für die­sen Anlass in einen unglaub­lich prot­zi­gen, mit Gold­ap­pli­ka­tio­nen bestick­ten Chin­chil­la-Man­tel warf und sich über­haupt als eigent­li­cher Star des Abends gebär­de­te. Das Cha­os auf der rasch über­füll­ten Büh­ne meis­ter­te sie jedoch sou­ve­rän, reih­te die Mädels und ihre Kom­po­nis­ten nach Kör­per­grö­ße sor­tiert auf wie die Orgel­pfei­fen, ver­teil­te Orden und Küss­chen und hielt beru­hi­gend Händ­chen, wo es nötig war. Lau­ritia Valen­zue­la kämpf­te unter­des­sen noch ein wenig mit ihrer Fas­sungs­lo­sig­keit über das Feh­len einer Tie-Break-Regel. Zumal sie, wie sie spä­ter im spa­ni­schen Fern­se­hen erzähl­te, wäh­rend der Gene­ral­pro­be Herrn Brown noch dar­auf ange­spro­chen habe, was denn im Fal­le eines Gleich­stands sei – den die­ser aber nicht für mög­lich gehal­ten habe.

Ich ver­wet­te mei­ne See­le dar­auf, dass die an letz­ter Stel­le abstim­men­de fin­ni­sche Jury extra ihr Voting geän­dert hat, um aus dem Drei­er- einen Vie­rer­gleich­stand zu machen: die Abstimmung.

Berüh­rend: die bereits 1996 im Alter von nur 55 Jah­ren an einer Lun­gen­ent­zün­dung ver­stor­be­ne Fran­zö­sin Fri­da Boc­ca­ra, schon beim ers­ten Gesangs­vor­trag, aber auch wäh­rend der Sie­ge­rin­nen­re­pri­se mehr als beein­dru­ckend in ihrer meis­ter­haft aus­ta­rier­ten Balan­ce aus fast schon spar­ta­nisch zurück­ge­nom­me­nen und mit sen­sa­tio­nel­ler Stimm­kraft her­aus­ge­schmet­ter­ten, dabei jedoch stets mit höchs­ter Prä­zi­si­on into­nier­ten Gesangs­parts sowie in ihrer wohl dosier­ten Mimik, leuch­te­te bei der Über­rei­chung ihrer Medail­le für wun­der­ba­re drei Sekun­den von innen her­aus so inten­siv, als sei genau die­ser Moment der bes­te, wich­tigs­te und schöns­te ihres gesam­ten Lebens. Was er ja viel­leicht auch war. Den lau­ten Tru­bel um sie her­um voll­stän­dig igno­rie­rend, schaff­te sie nur durch ihren Gesichts­aus­druck einen kur­zen, stil­len Augen­blick des Glücks; so fra­gil, dass ich selbst beim wie­der­hol­ten Anschau­en an die­ser Stel­le jedes Mal unwill­kür­lich den Atem anhal­te, um ihn nicht ver­se­hent­lich zu zer­stö­ren. Mit die­ser win­zi­gen, fei­nen Ges­te gab sie dem gan­zen Abend sei­ne Wür­de zurück und setz­te einen berau­schen­den Schluss­punkt unter die­sen nie wie­der zu top­pen­den Spit­zen­jahr­gang mei­nes Lieblingsevents.

Zum Nie­der­knien: Fri­da Boc­ca­ra (FR) führ­te allei­ne durch ihr unglaub­li­ches Kön­nen eine alter­tüm­li­che Bal­la­de ohne jeg­li­chen Refrain zum ver­dien­ten Sieg. Chapeau!

Euro­vi­si­on Song Con­test 1969

Gran Pre­mio de la Can­ción de Euro­vi­si­on. Sams­tag, 29. März 1969, aus dem Tea­t­ro Real in Madrid, Spa­ni­en. 16 Teil­neh­mer­län­der. Mode­ra­ti­on: Lau­ri­ta Venezuela.
#LandInter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01YUIvan + 3M (Kvar­tet 4M)Poz­drav Svijetu0513
02LURomu­ald FiguierCathé­ri­ne0711
03ESSalo­méVivo can­tan­to1804
04MCJean-Jac­ques BortolaïMaman1106
05IEMuri­el DayThe Wages of Love1007
06ITIva Zanic­chiDue gros­se Lacrime bianche0514
07UKLuluBoom Bang a Bang1802
08NLLen­ny KuhrDe Trou­ba­dour1801
09SETom­my KörbergJudy, min Vän0809
10BELou­is NeefsJen­ni­fer Jennings1008
11CHPao­laBon­jour, bonjour1305
12NOKir­s­ti SparboeOj oj oj, så glad jeg skal bli0116
13DESiw MalmkvistPri­ma­bal­le­ri­na0810
14FRFri­da BoccaraUn Jour, un Enfant1803
15PTSimo­ne de OliveiraDes­folha­da 0415
16FIJark­ko + LauraKuin Sil­lon ennen0612

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 24.03.2023

< ESC-Fina­le 1968

ESC-Fina­le 1970 >

7 Comments

  • Heu­ti­ger Stand So, wie das heu­te offen­bar gere­gelt ist, hät­te nicht Len­ny Kuhr gewon­nen. Heut­zu­ta­ge wird erst mal geschaut, aus wie vie­len Län­dern das Lied über­haupt Punk­te bekom­men hat, bevor die Höchst­wer­tun­gen ver­gli­chen wer­den. Danach ergibt sich fol­gen­des Bild: 1. Frank­reich (Punk­te aus neun Län­dern, dar­un­ter zwei­mal vier Punk­te); 2. Spa­ni­en (eben­falls neun­mal Punk­te, aber immer höchs­tens drei); 3. Groß­bri­tan­ni­en (acht­mal Punk­te); 4. Nie­der­lan­de (nur sie­ben­mal Punkte).

  • Die heu­ti­ge Rege­lung ist aber schei­ße und wird des­we­gen von mir kom­plett igno­riert. Das ist so eine typisch grün­al­ter­na­ti­ve, poli­tisch kor­rek­te, win­del­wei­che Kon­sens­sül­ze, die beim Streit um den Putz­plan in einer WG oder die Fra­ge, in wel­cher Sze­ne­knei­pe die Mädels­cli­que heu­te Abend ihr Geld für über­teu­er­ten Kaf­fee mit ita­lie­ni­schem Namen zum Fens­ter raus­wirft, ange­mes­sen sein mag. Bei einem Wett­be­werb (!!!) aber völ­lig fehl am Plat­ze ist. Selbst­ver­ständ­lich zählt da die höchs­te Ein­zel­wer­tung und sind ein­mal 12 Punk­te mehr wert als zwölf mal ein Punkt. Das die von Dir skiz­zier­te, schwach­sin­ni­ge Rege­lung heu­te gilt, illus­triert, das es mit dem Femi­ni­sie­rung der Gesell­schaft doch zu weit gegan­gen ist.

  • re: Die heu­ti­ge Rege­lung ist aber schei­ße! Selbst­ver­ständ­lich zählt da die höchs­te Ein­zel­wer­tung und so sind ein­mal 12 Punk­te mehr wert als zwölf mal ein Punkt.

    Abso­lut richtig!!!

  • Naja. Das ist Ansichts­sa­che. Was ist bes­ser – in einem Land rich­tig ein­schla­gen, oder in fün­fen brauch­bar punk­ten? Gibt sich ins­ge­samt nicht viel. Ich jeden­falls habe Ver­ständ­nis dafür, dass erst mal geschaut wird, wo über­haupt Punk­te her­ka­men. Eine Null­wer­tung ist auf ihre Wei­se genau­so auf­schluss­reich wie ein Zwölfer.

  • Der Grand Prix von Madrid offen­bar­te die gan­ze Abs­dru­se die­ses Wett­be­wer­bes: Kann man denn Lulu mit Fri­da Boc­ca­ra ver­glei­chen???? Wel­ches Lied war denn jetzt “bes­ser”?

  • Fri­da Boc­ca­ra hät­te ganz klar auf den letz­ten Platz gehört! Ihr Bei­trag ist ja vor Lan­ge­wei­le nicht zum Aus­hal­ten. Len­ny Kuhr war klar die Bes­te der vier Sie­ge­rin­nen, mein Favo­rit in dem Jahr ist Norwegen.

  • Zum Wett­be­werb an sich kann ich nur zustim­men: Einer der bes­ten Jahr­gän­ge überhaupt. 

    Zur Dis­kus­si­on um die Sinn­haf­tig­keit der Tie­break-Regel von 2004 bis 2015:
    Ich mei­ne gehört zu haben, dass auch hier das Aus­ar­ten des Block- und Dia­spo­ra­vo­tings Anfang der 2000er eine gro­ße Rol­le gespielt hat. Mit der Regel hät­te im Fal­le eines Gleich­stands das Land gewon­nen, wel­ches von den meis­ten Län­dern Punk­te bekom­men hät­te (also von mög­lichst vie­len Län­dern aus allen Berei­chen Euro­pas) und nicht das Land, wel­ches durch hohe Punkt­wer­tun­gen aus ein­zel­nen Kul­tur­blö­cken und Dia­spo­ra ohne­hin siche­re 12, 10 und 8 Punk­te en mas­se bekom­men hätte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert