Gewissermaßen unter Vorbehalt fand es statt, das Melodifestivalen 1969: da der Eurovision Song Contest in diesem Jahr in Spanien gastierte, seinerzeit noch ein faschistisch regiertes Land, haderten die skandinavischen Länder mit ihrer Teilnahme. Dennoch führte man in allen nordischen Nationen Vorentscheidungen durch und beschloss, die endgültige Entscheidung erst nach dem Mello zu fällen. Wie gut, dass so lief, denn wenn man so möchte, wurde bei dieser Veranstaltung der Grundstock für die beste Popband der Welt gelegt. Wie bereits im Vorjahr hatte der Sender SVT vorab zehn Künstler:innen ausgewählt, für die man aus rund 2.400 Liedvorschlägen geeignete Beiträge kommissionierte. Darunter fanden sich altgediente Haudegen wie Svante Thuresson und Anne-Louise Hanson, für die es beide bereits die vierte Mello-Teilnahme war. Zu den neuen Gesichtern zählte die Siegerin eines Nachwuchswettbewerbes, deren erster TV-Auftritt in Schweden im Winter 1967 just an dem Tag stattfand, an dem das Land vom bisherigen Links- zum Rechtsverkehr wechselte. Die Bevölkerung war aufgefordert, zu Hause zu bleiben, um Unfälle zu vermeiden, und die Menschen saßen zuhauf vor den Bildschirmen, als die Tochter einer norwegischen Mutter und eines deutschen Besatzungssoldaten ihre erste Single ‘En ledig Tag’ vorstellte, die daraufhin einschlug wie eine Bombe. Nun debütierte Anni-Frid Lyngstad, so ihr Name, auch beim Melodifestivalen. Ja, genau, diese Anni-Frid.
Unsere Erde ist wundervoll, weil sie solche Talente wie Frida hervorbringt.
Ihr musikalisch wie lyrisch optimistischer Jazzschlager ‘Härlig är vår Jord’ (‘Herrlich ist die Welt’), bei dem im Hintergrundchor – wie bei allen MF-Finalist:innen – die Schlagerette Sylvia Vrethammar (international bekannter Hit: ‘Eviva Espana’) mitträllerte, ragte jedoch trotz ihrer glänzenden stimmlichen Leistung nicht unbedingt aus dem Gesamtangebot heraus. So dass sich Frida einen gemeinsam vierten Platz mit der bereits erwähnten Ann-Louise und ihrem Schunkelschlager ‘Svenska Flicka’ (‘Schwedisches Mädchen’) teilen musste, in dem ganz grandprixesk auch eine deutschsprachige Textzeile vorkam, nämlich “Anna, ich lieb dich”. Eine Punktegleichheit gab es allerdings auch beim Spitzenplatz, den mit jeweils 31 Jurystimmen – und damit vier Mal so vielen wie Frida – der vom Theater und aus dem Kino bekannte Enddreißiger Jan Malmsjö sowie der zehn Jahre jüngere Musicaldarsteller Tommy Körberg für sich beanspruchten. Malmsjö, der es erst geschlagene fünfzig Jahre später noch mal beim schwedischen Vorentscheid versuchen sollte, trat mit ‘Hej Clown’ an, dessen Eröffnung mittels einer hochdramatischen Fanfare viel versprach, nur um die Zuhörer:innen um so härter zu enttäuschen, als er eine Strophe später in ein nerviges Kinderlied umschlug.
Wir sind doch hier nicht beim Junior-ESC! Jan und die Malmsjös.
Diese unverdauliche musikalische Wundertüte stammte aus der Feder des späteren schwedischen Eurovisionsrepräsentanten Lars “Lasse” Berghagen – und aus der von Benny Anderson, der noch ein Jahr früher als Berghagen auf der Grand-Prix-Bühne stehen sollte, nämlich als eines der zwei Bs in Abba. Der lernte hier beim Melodifestivalen die gerade frisch von ihrem ersten Ehemann geschiedene Anni-Frid kennen, das A zu seinem B. Die beiden fanden zusammen, Benny produzierte ihr erstes, 1971 veröffentlichtes Solo-Album Frida, und trotz Lyngsteds anfänglichen Vorbehalten formten die Beiden schließlich mit dem befreundeten Ehepaar Björn Ulvaeus und Agnetha Fältskog (das noch fehlende B & A) die essentiellste Popband des Universums. Doch zurück nach 1969: da man nicht zwei Acts zum ESC delegieren konnte, fand eine Stichwahl zwischen den beiden Siegertiteln statt, und die ging diesmal zugunsten des wesentlich konventionelleren Schlagers ‘Judy, min Vän’ aus, der zwar einerseits ziemlich langweilte, andererseits nicht durch einen unerträglichen Kinderchor nervte. Bekanntheit über die Landesgrenzen hinaus erlangte Tommy Körberg Mitte der Achtziger durch eine Rolle in dem von Ulvaeus geschriebenen Musical ‘Chess’, die ihn auch ins Londoner West End führte.
Verbindet die leicht gruselige Aura von Roland Kaiser mit der glatten Sterbenödnis von Chris Roberts: der Tommy, der Körberg.
Womöglich ließen die über elf Städte verteilten 99 Juror:innen Malmsjö in der zweiten Abstimmungsrunde aus praktischen Erwägungen scheitern: schließlich hatte er bereits vor dem Mello-Finale öffentlich verkündet, im Falle eines Siegs nicht nach Madrid reisen zu können, da er zum Zeitpunkt des europäischen Wettsingens bereits ausgebucht sei. Schon wieder einen Ersatzkandidaten zu entsenden, wie es die Schweden gerade zu Beginn ihres Eurovisionsabenteuers öfters machten, darauf wollte sich SVT nicht mehr einlassen. Schließlich hatte man eigens für das diesjährige Mello verfügt, dass kein:e Künstler:in mehr als ein Lied singen durfte und auch die Vorschläge aus dem Komponistenwettbewerb direkt an den vorgesehenen Interpreten adressiert sein mussten. Es schien, dass man in Stockholm erkannt hatte, dass die Sängerin genau so wichtig für den Erfolg im Wettbewerb ist wie der Song. Nur das dritte, ebenso essentielle S, die Show, fehlte noch. Aber da sollte sich 1974 mit Hilfe von zwei Bs und zwei As alles für immer ändern. Ach so, ins faschistische Madrid fuhr man schließlich doch. Dort gab es ebenfalls einen Punktegleichstand unter den Erstplatzierten, allerdings hatte die EBU noch keine Schnick-Schnack-Schnuck-Regel zu dessen Auflösung parat. Aus Verärgerung hierüber blieben die Skandinavier:innen dann 1970 dem ESC fern. Und trafen damit die dem Faschismus eher unverdächtigen Niederlande.
Leider nur als Hörspiel verfügbar: das komplette Melodifestivalen 1969.
Vorentscheid SE 1969
Melodifestivalen. Samstag, 1. März 1969, aus dem Cirkus in Stockholm. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Pekka Langer.# | Interpreten | Songttel | Jury | Platz |
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01 | Inger Öst | Du ser mig inte | 01 | 08 |
02 | Jan Malmsjö | Hej Clown | 31 | 45 | 02 |
03 | Ann-Louise Hanson | Svenska Flicka | 08 | 05 |
04 | Tommy Körberg | Judy min Vän | 31 | 54 | 01 |
05 | Lena Hansson | Du ger mig Lust att Leva | 03 | 07 |
06 | Ola Håkansson | Du skänker Mening åt mitt Liv | 00 | 09 |
07 | Britt Bergström | L, som i älskar dig | 00 | 09 |
08 | Sten Nilsson | Gång på Gång | 13 | 03 |
09 | Anni-Frid Lyngstad | Härlig är vår Jord | 08 | 04 |
10 | Svante Thuresson | Sommarflicka | 04 | 06 |
Letzte Aktualisierung: 16.06.2021
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