Wie frustrierend muss es für die Senderverantwortlichen sein, wenn sie jede Menge Kreativität, Geld und Gehirnschmalz in ein elaboriertes neues Auswahlverfahren stecken – nur um am Ende feststellen zu müssen, dass sie sich den ganzen Aufwand auch hätten sparen können? Der schwedische Sender SVT entschied sich nach dem Vorjahresboykott des Eurovision Song Contest, seine Rückkehr zu einem radikalen Umbau seiner Vorentscheidung zu nutzen und entwarf für das Melodifestivalen 1971 einen in dieser Form ubiquitären Hybrid aus interner Auswahl, reiner Interpret:innenkür und offenem Vorentscheid. Zunächst bestimmte SVT intern drei Acts: einen Solo-Sänger, eine Solo-Sängerin und, da in diesem Jahr erstmalig offiziell durch die EBU zum Hauptwettbewerb zugelassen, eine Band. Bei den Solist:innen optierte man für den letzten schwedischen Eurovisionsvertreter Tommy Körberg und für die Schlagerette Sylvia Vrethammar, die internationale Bekanntheit erlangte, als sie 1973 sowohl eine schwedische als auch eine englische Fassung des schon 1971 von einem belgischen Songschreiberduo komponierten Sommerschlagers ‘Eviva España’ aufnahm (bei uns bereits 1972 ein Hit in der deutschen Fassung der Israelin Hanna Ahroni) und damit sowohl Zuhause als auch im Vereinigten Königreich, wo sie eine Million Exemplare der Single absetzte, die Charts stürmte.
Fünf Mal vier macht eins: das Finale des Melodifestivalen 1971 im Schnelldurchlauf.
Als Gruppe nominierte SVT die schwedischen Mocedades: das Gesangsquartett Family Four, das ursprünglich 1966 von den Geschwistern Berndt, Inger, Siw und Stig Öst gegründet wurde. Letzter starb noch im selben Jahr bei einem Verkehrsunfall, und auch von den anderen lebt heute nur noch Inger Öst. Beim Melodifestivalen fand sich von der ehemaligen Familienbande nur noch Berndt im Line-up, dafür kamen Agneta Munther, Pierre Isacsson und Marie Bergman hinzu. Alle drei Acts traten im Rahmen der Unterhaltungsshow Hylands Corner in fünf Vorrunden mit jeweils eigenen Songs gegeneinander an; der per Postkartenzusendung durch die Zuschauer:innen gewählte jeweilige Siegertitel kam ins Finale. Nun muss die Family Four seinerzeit in Schweden entweder eine extreme Popularität genossen haben – oder aber ihre Plattenfirma stellte sich beim Einschicken fingierter Abstimmungspostkarten so geschickt an, dass man ihr keine Manipulation nachweisen konnte. Jedenfalls gewann das Quartett jedes der fünf Semis. Jedes. Einzelne. Mal. Und so bespielten die Familiären Vier das Finale des Melodifestivalen alleine. Dort bestimmte dann eine fünfköpfige Jury unter den fünf fröhlich-harmonischen Family-Four-Songs den Titel ‘Vida Vidder’ (‘Weiße Weiten’) zum schwedischen Eurovisionsbeitrag 1971.
Klar, natürlich kann man frostige Winterlandschaften den sonnigen Stränden vorziehen wie die vier Schwed:innen. Wenn man ein:e masochistisch veranlagte:r Psychopath:in ist.
Beim Eurovision Song Contest erreichte das Quartett mit seinem die herrlichen weißverschneiten Winterlandschaften seines Heimatlandes lobpreisenden Easy-Listening-Klassiker, von dem es anschließend auch eine englische und eine deutsche Fassung namens ‘Greif nicht nach den Sternen’ veröffentlichte, den sechsten Rang. Im Jahr darauf führte SVT wieder einen “normalen” Vorentscheid mit zehn Teilnehmer:innen durch. Sowohl Sylvia Vrethammar, die es auch 1974, 2002 und 2013 noch einmal beim Melodifestivalen versuchen sollte, als auch die Family Four fanden sich erneut im Line-up, und das Quartett gewann erneut. Solch einen Doppelsieg in Folge sollten ihnen erst im Jahre 2020 die Mamas nachmachen, die dann allerdings coronabedingt nicht noch ein zweites Mal zum Song Contest durften. In wechselnden Zusammensetzungen, unter anderem mit Monica Aspelund, existierten die Family Four noch bis Ende der Achtziger Jahre, auch wenn das öffentliche Interesse rasch abnahm, nachdem ein anderes schwedischen Quartett mit zwei Damen und Herren sowie optimistischen Dur-Harmonien die Szenerie betreten hatte…
Der Versuch, nach den Sternen zu greifen und auf dem lukrativen deutschen Markt Fuß zu fassen, schlug fehl. Auch Frau Vrethammar veröffentlichte eine Handvoll deutschsprachiger Singles, ohne nennenswerten Erfolg.
Vorentscheid SE 1971
Melodifestivalen. Samstag, 27. Februar 1971, aus dem TV-Huset in Stockholm. Ein Teilnehmer. Moderation: Lennart Hyland.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Family Four | Min Sång | 10 | 04 |
02 | Family Four | Tjärnare Kärlek | 17 | 02 |
03 | Family Four | En Sång om Världen | 09 | 05 |
04 | Family Four | Heja Mamma | 11 | 03 |
05 | Family Four | Vita Vidder | 22 | 01 |
Zuletzt aktualisiert: 19.07.2021
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