Eine zweiteilige senderinterne Auswahl fand 1972 zur Ermittlung des französischen Grand-Prix-Beitrags statt. Rekordverdächtige 110 Titel umfasste die Vorschlagsliste des Senders ORTF, darunter mit ‘A l’Ombré bleue du Figuier’ (‘Im blauen Schatten des Feigenbaums’) von Jean Ferrat und ‘Les Lavandes’ (‘Der Lavendel’) von Marcel Amont mindestens zwei bereits im Vorjahr eingereichte und dort schon zu Recht nicht berücksichtigte Titel. Auch von den Interpret:innen zeigten sich etliche ausgesprochen hartnäckig: viele von ihnen hatten gleich mehrere Eisen im Feuer, die Sängerin Ania alleine brachte es auf insgesamt acht Liedvorschläge. Was zeigt, dass der Dunning-Kruger-Effekt nicht nur in der Politik und in Internetdebatten existiert, sondern auch im künstlerischen Bereich. Und dass Menschen um so stärker von sich selbst überzeugt sind, je weniger Talent sie tatsächlich besitzen. Ein Phänomen, welches auch bei den späteren für Jede:n offenen Bewerbungsplattformen beispielsweise in der Schweiz oder Deutschland zu Tage trat, wo verlässlich immer diejenigen die meisten Vorschläge hochluden, deren Songs am quälendsten anzuhören waren. Für die endgültige Entscheidungsrunde dampfte man daher die Liste auf lediglich zehn Titel ein.
Die Playlist mit den auffindbaren Liedern der gallischen Vorschlagsliste 1972.
Nicht in die Endrunde schaffte es beispielsweise die Schlagerette Ann-Marie Godart, die daraufhin nach Monaco weiterzog, wo man sie gemeinsam mit Peter McLane (bürgerlich: Vincent Reichenauer) und dem Duett ‘Come on s’aime’ nach Edinburgh schickte. Ihre Vornamensvetterin Anne-Marie David, die im Folgejahr für Luxemburg die Krone holten sollte, kam mit dem süßlich-niedlichen ‘Un peu romantique’ zwar in die Endauswahl, musste sich dort aber der Konkurrentin Betty Mars geschlagen geben. Die als Yvette Baheux als zehntes und jüngstes Kind einer Pariser Zirkusfamilie Geborene verdiente sich ihr erstes Geld mit Auftritten in diversen Revuen. Ihr Chanson ‘Comé-Comédie’ wäre schon 1956 rettungslos verstaubt und altmodisch gewesen, doch augenscheinlich bestand die ORTF-Auswahljury mal wieder vor allem aus Herren im Rentenalter. In Edinburgh erzielte sie einen für ihr bislang ziemlich erfolgsverwöhntes Land durchaus enttäuschenden elften Platz, was ihrer musikalischen Karriere nicht gerade Auftrieb verleihen sollte. So hieß es für sie bald wieder zurück zur Revue, auch in der ein oder anderen freizügigen Filmklamotte wirkte sie noch mit. Vom ausbleibenden Erfolg enttäuscht, setzte sie 1989 im Alter von nur 44 Jahren ihrem Leben ein Ende.
Eher Tragödie als Komödie: das Leben von Betty Mars.
Vorentscheid FR 1972
Hausinterne Auswahl. Neun Teilnehmer:innen. Moderation: -.# | Interpreten | Songtitel | Platz |
---|---|---|---|
01 | n.b. | Tous les Tramways vont à Venise | n.b. |
02 | Noëlle Cordier | Un Monde neuf | n.b. |
03 | Patricia | Rien qu’un peu du Sable | n.b. |
04 | Anne-Marie David | Un peu romantique | n.b. |
05 | Julie Patou | L’Appareil méchanique | n.b. |
06 | Martine Clémenceau | Un Monde des Couleurs | n.b. |
07 | Juliana | Des Soleils au fond de toi | n.b. |
08 | Pascal Auriat | Quand il reste l’Amitié | n.b. |
09 | Pascal Auriat | Pour un peu d’Amour | n.b. |
10 | Betty Mars | Comé-Comédie | 01 |
Zuletzt aktualisiert: 24.07.2021
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