Wie schon bei seiner Eurovisionspremiere im Vorjahr nutzte das maltesische Fernsehen auch für seinen zweiten Grand-Prix-Versuch anno 1972 das bereits seit den Sechzigern bestehende, vom heimischen Christlichen Verein junger Männer veranstaltete Malta Song Festival als Vorentscheidungsformat. Bei diesem hatten sich bereits im Herbst 1971 sechs aus zwölf Kandidat:innen für das TV-Finale qualifiziert, von dem allerdings dank schlampiger Archivarbeit des verantwortlichen Senders heute noch nicht einmal mehr das Sendedatum bekannt ist. Auch die teilnehmenden Lieder verloren sich in den Nebeln von Norwegen, bis auf den Siegertitel ‘L‑imħabba’ (‘Die Liebe’). Dessen Geheimnis versuchte der Sänger Joseph “Joe” Cutajar in seinem possierlichen Schlager zu ergründen und befragte dazu seinem Liedtext zufolge “weise Männer, Philosophen und Poeten”, darunter “Italiener, Spanier, Deutsche (!) und Malteser”. Keine Gefahr scheuend, begab sich Joe gar auf die Suche nach “den Freaks, Hells Angels und den Hippies”! Und alle kamen sie angeblich zu dem enttäuschend banalen Schluss: “L‑imħabba hi bacio, beso, Küsse”. Ja, Sie lesen richtig! Das von dem Mann mit den Mörderkoteletten zu Rate gezogene internationale Drogendealer- und Philosophiepanel antwortete ihm offenbar in ihren jeweiligen Landessprachen.
Schraubstockeng die Hose, schraubstockeng die Umklammerung: die maltesischen Cindy & Bert geben das wohl unglaubwürdigste Schlagerpärchen der Geschichte.
Im Finale des maltesischen Festivals sang der seinerzeit 31jährige Cutajar den als Duett angelegten Titel gemeinsam mit der damals 17jährigen Maryrose Mallia, die daneben noch einen eigenen Song im Rennen hatte. Wohl zu viel des Altersunterschieds für den sittenstrengen, um seine internationale Reputation fürchtenden Sender. So kam für den ESC stattdessen die Drittplatzierte Helen Micallef (21) zum Zuge, die sich ebenso wie ihr jüngerer Bruder Renato ebenfalls solo beworben hatte. Von den internationalen Chancen des siegreichen Duos überzeugt, spendierte TVM den Beiden einen aufwändigen Videoclip, in welchem Helen & Joseph – so der offizielle Name des Duos beim Eurovision Song Contest im schottischen Edinburgh – an den lauschigsten Plätzen und sonnigsten Sandstränden des Urlaubsparadieses Malta das vermutlich hölzernste “Liebespärchen” nach Olivia Newton-John und Michael Beck im 1980er Film-Camp-Klassiker Xanadu gaben. In Edinburgh suchten die Zwei die fehlende Chemie durch Bühnenklamotten aus einheitlichem Stoff wettzumachen. Und Joseph dadurch, dass er die optisch mehrere Ligen über ihm spielende Helen die kompletten drei Minuten lang fest am Händchen hielt, sie unentwegt anstarrte und ihr beim Singen derartig unangenehm dicht auf die Pelle rückte, dass man als Zuschauer:in vor dem Gerät den dringenden Impuls verspürte, den aufdringlichen Lurch zu tasern. Wie schon bei der Première kehrte das Eiland auch diesmal mit der Roten Laterne heim.
Lauf, Mädchen, lauf! Helen & Josephs Auftritt war eine einzige dreiminütige rote Flagge.
Vorentscheid MT 1972
Malta Song Festival. Sechs Teilnehmer:innen, Moderation: –.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | Helen Micallef | Ghasfur tac-comb | n.b. | 03 |
02 | Carmen Sherry | Din hi l‑Verita | n.b. | n.b. |
03 | Joe Bugeja | Illum | n.b. | n.b. |
04 | Maryrose Mallia | Fejn tistrieh il-qalb | n.b. | n.b. |
05 | Joseph Cutjar | L‑imħabba | n.b. | 01 |
06 | Renato Micallef | Imhabba u Paci | n.b. | n.b. |
Zuletzt aktualisiert: 25.07.2022
Kudos, Oliver! Wie du es immer wieder schaffst selbst zu den belanglosesten Beiträgen der Contest-Geschichte solche Knaller von Artikel rauszuhauen! Das war jetzt übrigens das erste Mal, dass ich überhaupt was von den Lyrics mitbekommen habe. Die Hells Angels wurden in den 70er Jahren in einem ESC-Beitrag referenziert? Junger Vater!
Jedenfalls nochmal danke, dass du hin und wieder mal solche historischen Artikel schreibst. Der Unterhaltungswert beim Lesen ist immer noch sehr hoch. Merci!