Gerade mal zwei Grand-Prix-Teilnahmen hatte Malta bis dato hinter sich gebracht. Und dabei gleich zwei Rote Laternen kassiert. Ein beschämendes und entmutigendes Ergebnis. Und es sollte nicht besser werden: zwar hatte im Herbst 1972 erneut das traditionelle Malta Song Festival stattgefunden, einem Zeitungsbericht zufolge am 23. September im Corinthia Palace Hotel. Dort siegte, mit lediglich zwei Punkten Vorsprung, die Sängerin Maryrose Mallia, die bereits im Vorjahr als ursprüngliche Duettpartnerin von Joseph Cutajar die Konkurrenz für sich entscheiden konnte. Und dann nicht fahren durfte, weil sie zu jung war. Auch diesmal brachte ihr der Vorrundensieg nichts: wie üblich sollten die besten sechs Titel des Festivals (deren Komponist:innen und Autor:innen ein großzügiges Preisgeld von jeweils 3 bis 15 britischen Pfund einstrichen) es in einem TV-Finale im Frühjahr 1973 nochmals gegeneinander ausfechten. Doch bereits am Vorabend des Semis machte ein Bericht die Runde, nach dem das Auswahlkomitee die eingereichten Titel als so schlecht empfunden habe, dass statt der geplanten 14 nur 13 Lieder für die Vorauswahl zugelassen wurden. Zehn Tage später verkündete der Sender der Tageszeitung Times of Malta zufolge, die sechs ausgewählten Lieder entsprächen allesamt nicht “dem gewünschten Standard” für eine Teilnahme am Eurovision Song Contest.
International nicht konkurrenzfähig: Vorjahressieger Joseph Cutajar mit einem der Semifinal-Qualifikationstitel, einem nun wirklich komplett ziellosen Bontempi-Gedudel, das allenfalls geeignet wäre, Gefangene in Guantanamo zu foltern.
Stattdessen erging ein Aufruf an die heimischen Komponist:innen, bis Ende des Monats komplett neue Songs einzureichen, aus denen TVM dann sechs für das Finale im Frühjahr auswählen wolle. Die UKAM, der Lobbyverband der maltesischen Songschreiber:innen, protestierte, dies sei “unfair” und lieferte sich mit den TV-Gewaltigen in der Leserbriefspalte der Times of Malta einen erhitzten, teils auf persönlicher Ebene ausgetragenen Schlagabtausch (“unfassbare Attitüde”, “flamboyant”) darüber, wer überhaupt befugt sei, musikalische Qualität zu beurteilen und nach welchen Maßstäben. Ungeachtet eines Boykottaufrufs von UKAM trudelten unterdessen 35 neue Lieder beim Sender ein. Darunter, so der Lobby-Chef mokant, solche von Leuten, “die noch nie in ihrem Leben an einem Wettbewerb teilgenommen haben”! Tatsächlich fand sich auch unter ihnen die ersehnte Perle nicht, woraufhin TVM den Vorentscheid strich. Dennoch gingen die öffentlichen Hakeleien weiter: erbost forderte UKAM, die sechs geschassten Songs im Fernsehen vorzustellen, damit sich das Volk selbst ein Bild von der Unfähigkeit des Komitees machen könne. Erst nach einem Krisengipfel im März 1973 stellte TVM unmissverständlich klar, dass keinesfalls der Komponistenverband, sondern alleine der Sender nach eigenem professionellen Gutdünken entscheide, was ein würdiger Eurovisionsbeitrag sei und ob Malta am ESC teilnehme oder nicht. In diesem Falle also: nicht.
Ein weiterer völlig unhörbarer Qualifikationstitel, welcher die These des Auswahlkomitees stützt. Wenn das den Standard abbildete, tat sich Malta mit seinem Eurovisionsrückzug einen Gefallen.
Vorentscheid MT 1973
Malta Song Festival. Sechs Teilnehmer:innen, Moderation: –.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
06 | Edwin Galea | Konna Kuntenti t‑Tnejn | n.b. | n.b. |
05 | Maryrose Mallia | Iż-Żernieq | n.b. | n.b. |
04 | The Links | Viva l‑Karnival | n.b. | n.b. |
03 | Merga | Bħal Fjuri | n.b. | n.b. |
02 | Carmen Sherry | Nibdew mill-Ġdid | n.b. | n.b. |
01 | Joseph Cutajar | Mingħajr Imħabba | n.b. | n.b. |
Bizarrerweise endet die Geschichte an dieser Stelle aber noch nicht. Denn auch im nächsten Jahr fand das Malta Song Festival wieder statt. Sieger wurde diesmal ein musikalisch erstaunlich rockiger Song mit einem extrem eurovisionären Titel namens ‘Paċi Fid-Dinja’ (‘Frieden in der Welt’), geschrieben und vorgetragen vom Urgestein Enzo Gusman (sowie, in der englischen Fassung ‘Peace to the World’, von Renato Micallef). Ein Beitrag, dem die damalige maltesische Kultusministerin der Zeitung zufolge nicht völlig zu Unrecht bescheinigte, er sei von “hohem Standard und international konkurrenzfähig”. Das Lustige daran: er befand sich bereits unter den 35 eingereichten, unisono abgelehnten Vorschlägen aus der zweiten Ernte beim gecancelten Festival von 1973. Da hielt ihn der Sender aber für nicht grand-prix-tauglich. What a Difference a Year makes! Lag es nun daran, dass die Verantwortlichen bei TVM ihr Gesicht wahren wollten und sie keine Lust auf einen erneuten öffentlichen Bitchfight mit der UKAM hatten? Oder fehlte es, wie offiziell verkündet, tatsächlich an den finanziellen Ressourcen für eine Teilnahme der Mittelmeerinsel am legendären Wettbewerb in Brighton? Pech jedenfalls für den 2021 verstorbenen Gusman, der 1976 das Malta Song Festival ein weiteres Mal gewinnen sollte. Da hatte sich TVM nach einem weiteren erfolglosen Versuch in Stockholm jedoch bereits für die nächsten anderthalb Jahrzehnte vom europäischen Wettsingen verabschiedet.
Hätte gegen ‘Waterloo’ wohl keinen Stich landen können. Aber mehr als eine Rote Laterne wäre für Enzo schon zu holen gewesen, oder?
I have been looking into Maltese newspaper archives to investigate the situation surrounding their supposed 1973 participation and have uncovered that they were halfway through their national final when they abandoned it, and then withdrew.
— Spleeny (@spleenij) July 25, 2022
Die Quelle für all das: Twitter-User Spleeny.
Letzte Aktualisierung: 25.07.2022
Malta Song Festival 1975 >
Interessant! Also das mit 1974 und 76 wusste ich. Mag ja die beiden verhinderten Beiträge von Herr Gusman sehr (wusste gar nicht, dass der Ende vergangenen Jahres gestorben ist). Aber das mit 73 ist mir neu. Naja, immerhin hat Malta es doch irgendwie zum ESC 1973 geschafft, wenn auch in Form eines schwedischen Duos, welches sich dann auch noch umbenennen musste.