Auf insgesamt 36 Eurovisionsteilnahmen (und dabei sehr beachtliche fünf Siege) brachte es das kleine Großherzogtum Luxemburg, das lediglich gut 2.500 Quadratkilometer große und rund 650.000 Einwohner:innen starke, dreisprachige Steuerparadies im Dreiländereck zwischen Belgien, Frankreich und dem Saarland, zwischen 1956 und seinem bis dato letzten Versuch im Jahre 1993. Dabei wählte der verantwortliche Sender RTL Télé Lëtzebuerg die Beiträge fast immer intern aus, wobei man sich mangels genügend eigener Talente meist mit aus aller Herren Länder importierten, etablierten Sänger:innen behalf. Vielleicht nicht die schlechteste Strategie, wie deren Erfolgsquote, aber auch das vergleichsweise eher mäßige Abschneiden der bis dahin entsandten drei Vertreter:innen mit tatsächlich luxemburgischer Staatsangehörigkeit belegte, nämlich des TV-Moderators Camillo Felgen (letzter Platz 1960), des Schlagersängers Chris Baldo (elfter Platz 1968) und der Kabarettistin Monique Melsen (13. Platz 1971). Nun aber versuchte man sich erstmals an einer Vorentscheidung mit fünf namhaften Teilnehmer:innen, von denen wiederum kein:e Einzige:r aus dem Großherzogtum stammte. Nicht bekannt ist jedoch, ob es sich dabei um eine öffentliche Veranstaltung handelte, wie abgestimmt wurde und wann die Auswahl überhaupt stattfand.
Die Playlist mit den vier bekannten Titeln des Luxemburger Vorentscheids (hauptsächlich Audio).
Auch den Songtitel des Letztplatzierten Gianni Nazzaro kennen wir nicht. Der in Neapel geborene und im Jahre 2021 in Rom verstorbene, in der italienischen Heimat durchaus bekannte Sänger und Schauspieler veröffentlichte im Jahre 1976 zwar den Song ‘Me ne vado’. Ob es sich dabei jedoch um seinen Wettbewerbsbeitrag handelte, verliert sich in den Nebeln von Norwegen. Vermutlich eher nicht, denn alle vier bekannten Konkurrenztitel wurden auf Französisch gesungen. Auf dem vierten Rang landete das 1970 in Paris gegründete und 1979 wieder aufgelöste Pop-Sextett Il etait une Fois mit dem zuckerwatteweichen Tralalaschlager ‘Tu sais que l’Amour est une Fleur’ (‘Du sagst, die Liebe ist eine Blume’) – in diesem Fall wohl eine ziemlich schnell verblühte. Die ersten drei Ränge machten jedoch die Deutschen unter sich aus. Dabei ging die Silbermedaille an eine Retortenformation aus dem Hause Jupiter Records, der Plattenfirma von Ralph Siegel, der bereits zwei Jahre zuvor mit der unter luxemburgischer Flagge segelnden Deutschbritin Ireen Sheer (‘Bye bye I love you’) seine erste Eurovisionsteilnahme klarmachen konnte. Der im aktuellen Munich-Disco-Sound daherkommende, von Onkel Ralph produzierte Sambaschlager ‘Brasilo, Brasila’ sollte die einzige Veröffentlichung des Studioprojektes Best Wishes bleiben. Kein Wunder, versprühte der Titel doch kaum authentisch südamerikanische Lebensfreude, sondern erinnerte eher an eine der bevorzugt von älteren Semestern im ländlichen Reihenhaus-Partykeller aufgelegten Tanzplatten von James Last.
“Glieder der Nacht, für dich gemacht”: Marianne Rosenberg weiß, was ihr Stammpublikum mag.
Auf dem kommerziellen Höhepunkt ihres Erfolgs befand sich hingegen die von mir hochverehrte, noch heute aktive Schlagerlegende Marianne Rosenberg, die im Vorjahr mit den beiden nicht zuletzt aufgrund vielseitig interpretierbarer Textzeilen wie “Das macht uns’re Liebe so anders” queer codierten Discoschlagern ‘Er gehört zu mir’ und ‘Ich bin wie Du’ ihren Status als Schwulenikone fundiert hatte. Das ebenso wie diese beiden unsterblichen Knüller von ihrem damaligen Stammproduzenten Joachim Heider komponierte ‘Lieder der Nacht’ bescherte ihr einen ihrer langlebigsten Hits, jedenfalls in der deutschen Version. Die Aussprache der für den Grand Prix verfassten französischsprachigen Variante ‘Tout peut arriver au Cinéma’ (‘Alles kann im Kino passieren’) meisterte Marianne zwar deutlich unfallfreier als die bereits erwähnte Ireen Sheer zwei Jahre zuvor. So richtig überzeugend hörte es sich aber nicht an. Nach ihrem Weggang aus dem Heiderschen Schlagerstall Ende der Siebziger sollte dieser ihr übrigens nachhaltig das Leben schwer machen, in dem er fast jedes Mal eilends eine Neuauflage ihrer alten Erfolge auf den Markt warf, wenn Marianne ein neues, ohne sein Zutun entstandenes Album herausbrachte, und ihr so das Wasser abgrub.
Bereits ein Jahrzehnt vor Modern Talking brachte Jürgen Marcus das bravouröse Kunststück fertig, mehrfach mit exakt dem gleichen Lied Hit auf Hit zu landen.
Wie schon beim deutschen Vorentscheid Ein Lied für Stockholm 1975 musste sich Marianne auch hier ihrem Schlagerkollegen Jürgen Marcus geschlagen geben. Mit dem Unterschied, dass es für Marcus, der sich Anfang der Neunziger in der Bild als schwul outete, diesmal zum Sieg reichte. Auch ihm hörte man selbst in der Studiofassung von ‘Chansons pour ceux qui s’aiment’ (‘Lieder für die, die sich lieben’) an, dass Französisch nicht seine Muttersprache war, obgleich der Text hier deutlich runder floss als in der etwas holprigen deutschen Adaption ‘Der Tingler singt für Euch alle’, mit dem er auf dem Heimatmarkt dennoch einen neuerlichen Hit landete. Was auch daran liegen mag, dass dieser Schlagermarsch seinem größten Erfolg ‘Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben’ musikalisch glich wie ein Ei dem anderen, so wie fast alle seiner Hitsingles aus der Jack-White-Phase. Um so perfider, dass der 2018 verstorbene Marcus, dem beim Grand-Prix-Auftritt in Den Haag als späte Rache für die deutschen Gräueltaten im zweiten Weltkrieg ein niederländischer Tontechniker das Mikrofon herunterregelte, von der deutschen Jury nicht einen einzigen Punkt erhielt und mit einem enttäuschenden 14. Platz vorlieb nehmen musste. Was immerhin noch ein Rang besser war als der von Ralph Siegel komponierte und nur durch das Anschwärzen des eigentlichen heimischen Vorentscheidungssiegers Tony Marshall zum Zug gekommene ‘Sing Sang Song’. Ätsch!
Die Jury nahm Jürgen das Fremdgehen wohl übel, das heimische Publikum hingegen nicht: trotz schlechter ESC-Platzierung empfing es ihm beim Heck mit offenen Armen.
Die Les Humphries Singers lösten sich danach auf, Jürgen Marcus’ Karriere hingegen ging munter weiter. Bis er sich Ende der Siebziger aus dem Vertrag mit Jack White hinauskaufte, um anspruchsvollere Lieder zu singen, die sein bisheriges Mitklatschhöllenpublikum allerdings nicht mehr kaufen wollte. Luxemburg kehrte indes 1977 zur hausinternen Auswahl zurück, fiel allerdings mit einem dünnstimmigen Discomäuschen-Import aus Frankreich ebenfalls auf die Nase. Im Jahr darauf gab es wieder einen Vorentscheid, und erneut siegte ein Titel aus deutscher Produktion.
Vorentscheid LU 1976
Fünf Teilnehmer:innen. Jury.# | Interpreten | Songtitel | Platz |
---|---|---|---|
01 | Best Wishes | Brasilo, Brasila | 02 |
02 | Jürgen Marcus | Chanson pour ceux qui s’aiment | 01 |
03 | Marianne Rosenberg | Tout peut arriver au Cinema | 03 |
04 | Il etait une fois | Tu sais que l’Amour est une Fleur | 04 |
05 | Gianni Nazarro | n.b. | 05 |
Zuletzt aktualisiert: 18.03.2023