Eines muss man dem Schweizer Fernsehen lassen: das Budget für internationale Stargäste in ihren Shows beeindruckt! So überbrückte die US-Soulsängerin Cissy Houston (ja, die Mutter von Whitney) die Wertungspause des diesjährigen Vorentscheids mit einem 15minütigen Medley, während der Vorjahresgewinner des Eurovision Song Contest, der Israeli Izhar Cohen, der sich für seinen Auftritt nicht bloß eine Hasenpfote in die Goldlaméhosen gestopft hatte, sondern gleich einen ganzen Hasen, die Sendung mit seinem siegreichen Discoschlager ‘A Ba Ni Bi’ eröffnete. Dessen Erfolgsrezept, nämlich hauteng anliegende Hosen und eine auf engstem Raum zelebrierte Gleichschrittchoreografie, versuchte auch die eigens für den Concours zusammengestellte Einweg-Retortenformation Atlas zu kopieren, leider mit minderen Mitteln. Die wichtigste, vom Gastgeber Christian Heeb gleich in der Anmoderation erwähnte Zutat hatte man jedoch vergessen: “Ein gutes Lied”. Als solches konnte man das seicht dahinplätschernde ‘Moi, je viens d’un Pays’ (‘Ich komme aus einem Land’ – ja, woher denn sonst?) nun beim besten Willen nicht bezeichnen. Wobei das für alle sieben an diesem Abend vorgestellten Beiträge galt.
Mehr ist mehr: die Playlist mit den wenigen einzeln verfügbaren Auftritten und den Auftritten der Stargäste.
Obschon von den ursprünglich 109 Einsendungen fast die Hälfte aus der Romandie stammte, schaffte es nur dieser eine französischsprachige Titel ins Finale, das von auf deutsch und italienisch intonierten Liedern dominiert wurde. Den Auftakt machte die aus Liechtenstein stammende Biggi Bachmann (bürgerlich: Uta Stürzel), die bereits 1976 ihr briefmarkengroßes Heimatland beim Grand Prix vertreten wollte, jedoch daran scheiterte, dass ihr Heimatsender (bis heute) nicht Mitglied der EBU ist. In der freundschaftlich verbundenen Schweiz versuchte sie es nun mit einer Hymne an die ‘Musik, Musik’: eigentlich ein ganz passabler Schlager, hätte man denn die leider flüsterleise agierende Sängerin auch nur ansatzweise verstanden. Für Biggi läutete ihre Concours-Teilnahme ebenso das Ende der kommerziell erfolglosen Schlagerkarriere ein wie für die auf den Philippinen geborene Ruby Manila, die mit ‘Shake Hands’ ihre Antwort auf den gleichnamigen Trennungsschlager des Sechzigerjahre-Beatschlagerstars Drafi Deutscher gab und sich eine friedlich verlaufende Scheidung wünschte. Dass nun sogar schon die doch gemeinhin als fügsam bekannten asiatischen Katalogbräute sich von ihren westeuropäischen Mackern trennen wollten, war aber wohl zu viel der Emanzipation: Platz 3.
Sie will Stress vermeiden: muss Ruby dafür wieder zurück nach Manila?
Gleich im Dreierpack kamen die Italiener:innen, wobei sich Herr Heeb zur Vermeidung eines völkisch-nationalistischen Shitstorms beeilte, darauf hinzuweisen, dass diese schon lange im Tessin residierten und entweder die eidgenössische Staatsbürgerschaft oder eine “Niederlassungsbewilligung” besäßen. So versuchte sich der ehemalige Weltstar Rita Pavone, die in den Sechzigern sowohl zu Hause als auch in Deutschland (‘Wenn ich ein Junge wär’) und den USA große Erfolge feierte, an einem Comeback. Dass sie dies gleich mit der Kraft von ‘Dieci Cuore’ (‘Zehn Herzen’) anging, nutzte ihr leider nichts: Rang 4, was die Sängerin bei einer Green-Room-Schalte während der Auszählung mit einem herrlich angesäuerten Gesichtsausdruck quittierte. Erst 2020 gelang ihr beim Sanremo-Festival mit dem kraftvollen ‘Resilienza 74′ eine fulminante Rückkehr. Was für eine Legende! Sehr schüchtern und verunsichert wirkte hingegen der junge Liedermacher Sandro Caroli, der sein selbst geschriebenes ‘La nostra Favola’ dementsprechend in den Sand setzte. Er solle später als Tontechniker beispielsweise für die große Mina sein Auskommen finden. Den letzten Platz machte der schon aus dem Vorjahr bekannte und noch immer unfassbar knuffige Salvo Ingrassia, der diesmal ohne Nachnamen antrat. An dessen etwas unmotiviert wirkendem ‘Senza te’ waren aber auch die von den als Chor engagierten Rosy Singers (Ein Lied für Edinburgh) exekutierten Handklatscher das einzig Gute.
“In wenigen Minuten kennen wir den Sieger” hieß es direkt nach dem Schnelldurchlauf. Eine glatte Lüge: es sollte noch eine gute halbe Stunde dauern (komplette Show am Stück).
Mit diesmal erdrutschartigem Vorsprung siegte in diesem Meer des Mittelmaßes schließlich erneut eine Komposition von Peter Reber: für das wie schon der Vorgängertitel ‘Djambo Djambo’ ausgesprochen zirzensisch klingende ‘Trödler und Compagnie’ bedienten sich Peter, Sue & Marc der Mitarbeit der 1974 gegründeten und bereits beim dänischen Musikfestival Roskilde aufgetretenen Schweizer Blueskappelle Pfuri, Gorps & Kniri, deren Markenzeichen das Musizieren auf ausrangierten Gartengeräten wie Beregnungsschläuchen und Rechen war. Dementsprechend hatten die drei für den Concours einen kompletten Geräteschuppen geplündert und im Züricher TV-Studio aufgebaut. Raschelnde Müllsäcke dienten ebenso als Rhythmusinstrument wie mit den Knien geschlagene Abfalltonnendeckel, als Trompetenersatz fungierte eine Gießkanne. Die fröhlich zelebrierte, subtile Kritik an unserer Wegwerfgesellschaft kam an: bis auf die vermutlich düpierten Zuschauer:innen aus der Romandie setzten alle Jurys das Sechs-Vornamen-Sextett auf den ersten Rang. In Jerusalem hingegen funktionierte die musikalisch doch stellenweise etwas nervige Materialschlacht dann nicht so gut: Rang 10. Und so produzierten die umweltbewussten Schweizer dann doch jede Menge Müll: nämlich in Form der bereits gepressten, unverkäuflichen Singles.
Der Knietrommler muss hinterher doch Muskelkater haben: Peter, Sue & die 37 Anderen.
Vorentscheid CH 1979
Concours Eurovision. Samstag, 27. Januar 1979, aus dem DRS-Studio in Genf. Sieben Teilnehmer:innen. Moderation: Christian Heeb. Drei regionale Publikumsjurys, Pressejury, Senderjury (je 20%).# | Interpreten | Songtitel | DRS | TSR | TSI | Presse | Jury | Punkte | Platz |
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01 | Biggi Bachmann | Musik, Musik | 04 | 04 | 04 | 01 | 02 | 15 | 06 |
02 | Rita Pavone | Dieci Cuore | 03 | 03 | 05 | 04 | 06 | 21 | 04 |
03 | Groupe Atlas | Moi je viens d’un Pays | 05 | 08 | 03 | 02 | 05 | 23 | 02 |
04 | Salvo Ingrassia | Senza te | 01 | 01 | 02 | 03 | 04 | 11 | 07 |
05 | Peter, Sue & Marc + Pfuri, Gorps & Kniri | Trödler und Co | 08 | 05 | 08 | 08 | 08 | 37 | 01 |
06 | Ruby Manila | Shake Hands | 06 | 06 | 01 | 06 | 03 | 22 | 03 |
07 | Sandro Caroli | La nostra favola | 02 | 02 | 06 | 05 | 01 | 16 | 05 |
Letzte Aktualisierung: 20.05.2023