Con­cours Euro­vi­si­on 1979: So was wie uns sah die Welt noch nie

Eines muss man dem Schwei­zer Fern­se­hen las­sen: das Bud­get für inter­na­tio­na­le Star­gäs­te in ihren Shows beein­druckt! So über­brück­te die US-Soul­sän­ge­rin Cis­sy Hous­ton (ja, die Mut­ter von Whit­ney) die Wer­tungs­pau­se des dies­jäh­ri­gen Vor­ent­scheids mit einem 15minütigen Med­ley, wäh­rend der Vor­jah­res­ge­win­ner des Euro­vi­si­on Song Con­test, der Israe­li Izhar Cohen, der sich für sei­nen Auf­tritt nicht bloß eine Hasen­pfo­te in die Gold­la­mé­ho­sen gestopft hat­te, son­dern gleich einen gan­zen Hasen, die Sen­dung mit sei­nem sieg­rei­chen Dis­co­schla­ger ‘A Ba Ni Bi’ eröff­ne­te. Des­sen Erfolgs­re­zept, näm­lich haut­eng anlie­gen­de Hosen und eine auf engs­tem Raum zele­brier­te Gleich­schritt­cho­reo­gra­fie, ver­such­te auch die eigens für den Con­cours zusam­men­ge­stell­te Ein­weg-Retor­ten­for­ma­ti­on Atlas zu kopie­ren, lei­der mit min­de­ren Mit­teln. Die wich­tigs­te, vom Gast­ge­ber Chris­ti­an Heeb gleich in der Anmo­de­ra­ti­on erwähn­te Zutat hat­te man jedoch ver­ges­sen: “Ein gutes Lied”. Als sol­ches konn­te man das seicht dahin­plät­schern­de ‘Moi, je viens d’un Pays’ (‘Ich kom­me aus einem Land’ – ja, woher denn sonst?) nun beim bes­ten Wil­len nicht bezeich­nen. Wobei das für alle sie­ben an die­sem Abend vor­ge­stell­ten Bei­trä­ge galt.

Mehr ist mehr: die Play­list mit den weni­gen ein­zeln ver­füg­ba­ren Auf­trit­ten und den Auf­trit­ten der Stargäste.

Obschon von den ursprüng­lich 109 Ein­sen­dun­gen fast die Hälf­te aus der Roman­die stamm­te, schaff­te es nur die­ser eine fran­zö­sisch­spra­chi­ge Titel ins Fina­le, das von auf deutsch und  ita­lie­nisch into­nier­ten Lie­dern domi­niert wur­de. Den Auf­takt mach­te die aus Liech­ten­stein stam­men­de Big­gi Bach­mann (bür­ger­lich: Uta Stür­zel), die bereits 1976 ihr brief­mar­ken­gro­ßes Hei­mat­land beim Grand Prix ver­tre­ten woll­te, jedoch dar­an schei­ter­te, dass ihr Hei­mat­sen­der (bis heu­te) nicht Mit­glied der EBU ist. In der freund­schaft­lich ver­bun­de­nen Schweiz ver­such­te sie es nun mit einer Hym­ne an die ‘Musik, Musik’: eigent­lich ein ganz pas­sa­bler Schla­ger, hät­te man denn die lei­der flüs­ter­lei­se agie­ren­de Sän­ge­rin auch nur ansatz­wei­se ver­stan­den. Für Big­gi läu­te­te ihre Con­cours-Teil­nah­me eben­so das Ende der kom­mer­zi­ell erfolg­lo­sen Schla­ger­kar­rie­re ein wie für die auf den Phil­ip­pi­nen gebo­re­ne Ruby Mani­la, die mit ‘Shake Hands’ ihre Ant­wort auf den gleich­na­mi­gen Tren­nungs­schla­ger des Sech­zi­ger­jah­re-Beat­schla­ger­stars Dra­fi Deut­scher gab und sich eine fried­lich ver­lau­fen­de Schei­dung wünsch­te. Dass nun sogar schon die doch gemein­hin als füg­sam bekann­ten asia­ti­schen Kata­log­bräu­te sich von ihren west­eu­ro­päi­schen Mackern tren­nen woll­ten, war aber wohl zu viel der Eman­zi­pa­ti­on: Platz 3.

Sie will Stress ver­mei­den: muss Ruby dafür wie­der zurück nach Manila?

Gleich im Drei­er­pack kamen die Italiener:innen, wobei sich Herr Heeb zur Ver­mei­dung eines völ­kisch-natio­na­lis­ti­schen Shit­s­torms beeil­te, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die­se schon lan­ge im Tes­sin resi­dier­ten und ent­we­der die eid­ge­nös­si­sche Staats­bür­ger­schaft oder eine “Nie­der­las­sungs­be­wil­li­gung” besä­ßen. So ver­such­te sich der ehe­ma­li­ge Welt­star Rita Pavo­ne, die in den Sech­zi­gern sowohl zu Hau­se als auch in Deutsch­land (‘Wenn ich ein Jun­ge wär’) und den USA gro­ße Erfol­ge fei­er­te, an einem Come­back. Dass sie dies gleich mit der Kraft von ‘Die­ci Cuo­re’ (‘Zehn Her­zen’) anging, nutz­te ihr lei­der nichts: Rang 4, was die Sän­ge­rin bei einer Green-Room-Schal­te wäh­rend der Aus­zäh­lung mit einem herr­lich ange­säu­er­ten Gesichts­aus­druck quit­tier­te. Erst 2020 gelang ihr beim San­re­mo-Fes­ti­val mit dem kraft­vol­len ‘Resi­li­en­za 74′ eine ful­mi­nan­te Rück­kehr. Was für eine Legen­de! Sehr schüch­tern und ver­un­si­chert wirk­te hin­ge­gen der jun­ge Lie­der­ma­cher San­dro Caro­li, der sein selbst geschrie­be­nes ‘La nos­t­ra Favo­la’ dem­entspre­chend in den Sand setz­te. Er sol­le spä­ter als Ton­tech­ni­ker bei­spiels­wei­se für die gro­ße Mina sein Aus­kom­men fin­den. Den letz­ten Platz mach­te der schon aus dem Vor­jahr bekann­te und noch immer unfass­bar knuf­fi­ge Sal­vo Ingras­sia, der dies­mal ohne Nach­na­men antrat. An des­sen etwas unmo­ti­viert wir­ken­dem ‘Sen­za te’ waren aber auch die von den als Chor enga­gier­ten Rosy Sin­gers (Ein Lied für Edin­burgh) exe­ku­tier­ten Hand­klat­scher das ein­zig Gute.

In weni­gen Minu­ten ken­nen wir den Sie­ger” hieß es direkt nach dem Schnell­durch­lauf. Eine glat­te Lüge: es soll­te noch eine gute hal­be Stun­de dau­ern (kom­plet­te Show am Stück).

Mit dies­mal erd­rutsch­ar­ti­gem Vor­sprung sieg­te in die­sem Meer des Mit­tel­ma­ßes schließ­lich erneut eine Kom­po­si­ti­on von Peter Reber: für das wie schon der Vor­gän­ger­ti­tel ‘Djam­bo Djam­bo’ aus­ge­spro­chen zir­zen­sisch klin­gen­de ‘Tröd­ler und Com­pa­gnie’ bedien­ten sich Peter, Sue & Marc der Mit­ar­beit der 1974 gegrün­de­ten und bereits beim däni­schen Musik­fes­ti­val Ros­kil­de auf­ge­tre­te­nen Schwei­zer Blues­kap­pel­le Pfu­ri, Gorps & Kni­ri, deren Mar­ken­zei­chen das Musi­zie­ren auf aus­ran­gier­ten Gar­ten­ge­rä­ten wie Bereg­nungs­schläu­chen und Rechen war. Dem­entspre­chend hat­ten die drei für den Con­cours einen kom­plet­ten Gerä­te­schup­pen geplün­dert und im Züri­cher TV-Stu­dio auf­ge­baut. Rascheln­de Müll­sä­cke dien­ten eben­so als Rhyth­mus­in­stru­ment wie mit den Knien geschla­ge­ne Abfall­ton­nen­de­ckel, als Trom­pe­ten­er­satz fun­gier­te eine Gieß­kan­ne. Die fröh­lich zele­brier­te, sub­ti­le Kri­tik an unse­rer Weg­werf­ge­sell­schaft kam an: bis auf die ver­mut­lich düpier­ten Zuschauer:innen aus der Roman­die setz­ten alle Jurys das Sechs-Vor­na­men-Sex­tett auf den ers­ten Rang. In Jeru­sa­lem hin­ge­gen funk­tio­nier­te die musi­ka­lisch doch stel­len­wei­se etwas ner­vi­ge Mate­ri­al­schlacht dann nicht so gut: Rang 10. Und so pro­du­zier­ten die umwelt­be­wuss­ten Schwei­zer dann doch jede Men­ge Müll: näm­lich in Form der bereits gepress­ten, unver­käuf­li­chen Singles.

Der Knie­tromm­ler muss hin­ter­her doch Mus­kel­ka­ter haben: Peter, Sue & die 37 Anderen.

Vor­ent­scheid CH 1979

Con­cours Euro­vi­si­on. Sams­tag, 27. Janu­ar 1979, aus dem DRS-Stu­dio in Genf. Sie­ben Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Chris­ti­an Heeb. Drei regio­na­le Publi­kums­ju­rys, Pres­se­ju­ry, Sen­der­ju­ry (je 20%).
#Inter­pre­tenSong­ti­telDRSTSRTSIPres­seJuryPunk­tePlatz
01Big­gi BachmannMusik, Musik04040401021506
02Rita Pavo­neDie­ci Cuore03030504062104
03Grou­pe AtlasMoi je viens d’un Pays05080302052302
04Sal­vo IngrassiaSen­za te01010203041107
05Peter, Sue & Marc + Pfu­ri, Gorps & KniriTröd­ler und Co08050808083701
06Ruby Mani­laShake Hands06060106032203
07San­dro CaroliLa nos­t­ra favola02020605011605

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 20.05.2023

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