Nach nur sechs Teilnehmer:innen im Vorjahr kehrte der Concours Eurovision 1982 wieder zu neun Startplätzen zurück. Was nicht etwa aus einer gestiegenen Qualität der eingereichten Songvorschläge resultierte. Ganz im Gegenteil: acht von neun Beiträgen klangen so grottig, dass jeder Kaninchenzüchterverein sie als kostenlose Unterhaltung für sein Sommerfest dankend abgelehnt hätte. Doch der Proporz erzwang die Startfeldaufstockung: nachdem sich zuletzt stets ein anderer der drei Schweizer Landesteile nicht ausreichend repräsentiert sah, gab es heuer für jede Sprachregion jeweils drei fest zugesicherte Slots. Aus Gründen der Sparsamkeit verzichtete der austragende französischsprachige Sender auf das Orchester. Und die reizende Assistentin, deren Aufgabe bislang nur im Ziehen einer Gewinnspiel-Postkarte bestand (als Anreiz zum Mitmachen verloste das Schweizer Fernsehen unter den Teilnehmer:innen der Publikumsjury stets eine Reise für zwei zum internationalen Song Contest), musste heuer auch den über eine recht popelige Showtreppe einschwebenden Interpret:innen händisch das Mikrofon anreichen. Was jedes mal für eine stimmungstötende Pause zwischen der engagierten Anmoderation durch den Gastgeber Serge Moisson und dem Anstimmen des jeweiligen Titels sorgte.
Weswegen man die Zuschauer:innen zwischen den Wettbewerbstiteln und der Auszählung mit einem über halbstündigen, sterbensöden Showteil quälen musste, erschließt sich mir nicht: der Schweizer Vorentscheid 1982, die ganze Show am Stück.
Der Wegfall des Orchesters machte sich auch beim Schnelldurchlauf bemerkbar. Bestand dieser früher in reinen Instrumentalauszügen der Lieder, zu denen die Interpreten nochmals kurz über die Bühne huschten, so zeigte man die gequält dreinblickenden Sänger:innen diesmal zur Bewegungsunfähigkeit verdammt auf ihren Stühlen im Zuschauerraum sitzend, während ein Ausschnitt ihres Liedes von Platte eingespielt wurde. Sie merken bereits, ich beschäftige mich hier ausführlich mit dem Drumherum, weil mir zu den Songs einfach nichts einfallen will. Es gab einen wirklich unerträglichen schlimmen Kitschschlager über das ‘Kinderlachen’, bei dem die Textsilben einfach gar nicht in die Strophen passen wollten, eine faschingshaft verkleidete Einweg-Retortenband, deren Rock’n’Roll-Schlager sich als noch angestaubter erwies als ihre Ba’Rock-Perücken, einen Sänger mit dem einfallslosen Künstlernamen Marc Olivier (bürgerlich: Jean-Marc Krattinger), der 1985 nochmals als Teil der noch anonymer benannten Band Test zum Concours zurückkehren sollte und insgesamt null Eindruck hinterließ, sowie die als Eliane Dambre geborene Leana, die schon seit 1969 Single um Single auf den daran komplett uninteressierten Markt warf.
1981 war das Jahr der peinlichen Herrenstiefelette: von den antretenden Sängern bis zu den Männern im Publikum hatte sie jeder an den Füßen. Hier die Playlist mit den verfügbaren Titeln zum Durchskippen.
Franz Müller, der im letzten Jahr noch beim Vorentscheid-Kultklassiker ‘San Gottardo’ der Retortenformation Swiss Union ins Grubenhorn getutet hatte, fand sich dieses Jahr in der Retortenformation Rainy Day wieder, einem weiteren Grand-Prix-Projekt von Peter Reber, den mit der Auflösung von Peter, Sue & Marc anscheinend auch die kreativen Kräfte verlassen hatten: einen derartig mauen Schlagerseich wie ‘Eldorado’ hätte noch nicht mal Ralph Siegel sich auf eine B‑Seite zu pressen gewagt. Der unermüdliche Tessiner Concours-Teilnehmer Salvo Ingrassia konnte 1982 einen minderen Hit in den deutschen Singlecharts erzielen – allerdings nicht mit seinem Vorentscheidungsbeitrag, sondern mit der Schmalzknotte ‘Sogno romantico’. Arlette Zola (bürgerlich: Arlette Jacquet) hatte sich nach ein paar kleineren Erfolgen Ende der Sechziger eigentlich bereits aus dem Schlagergeschäft zurückgezogen und betrieb stattdessen mit ihrem Mann einen Bauernhof. Doch nun versuchte sie mit der entsetzlich altbackenen Komposition ‘Amour on t’aime’ und einem irgendwo zwischen Mareille Mathieu und einer Playmobilfigur liegenden Kochtopfschnitt nochmal aus der rauen Welt des landwirtschaftlichen Broterwerbs herauszutreten, zurück ins helle Scheinwerferlicht.
Eine Prise ‘Those were the Days’ zum Auftakt, ein bisschen balladeskes Gesäusel in den Strophen und ein Hauch ‘Congratulations’ im Refrain: fertig ist die ESC-Baukastenballade.
Zwar konnte sich ihr Lied nicht so recht zwischen klassischer Grand-Prix-Ballade und billigem Schunkelschlager entscheiden. Doch es stellte sich als das einzige Angebot dieses Abends heraus, an welches man sich auch drei Minuten später noch erinnerte. Und so marschierte die während ihres Auftrittes keine Sekunde lang stillstehende Arlette auch bei der Abstimmung durch. Sie kassierte von allen Jurys die Höchstwertung – mit Ausnahme der Sender-“Experten”, die anscheinend vor der Wertung LSD genommen hatten und stattdessen für das komplett absurde ‘Johnny Saxophone’ der Brüder Ray & Corry Knobel votierten, die ein ziemlich verstörendes Puppenspiel mit auf die Bühne gebracht hatten: ihr ‘Johnny Saxophone’ sah aus wie das uneheliche Kind von Marvin, dem depressiven Roboter aus der TV-Serie Per Anhalter durch die Galaxis, und dem maskierten Serienkiller Jason aus der Horrorfilmreihe Freitag der 13. Die im Gegensatz dazu unbedrohlich nette Arlette jedenfalls holte in Harrogate – bei einem ähnlich drittklassigen Teilnehmerfeld wie hier in Genf – einen überraschenden, angesichts der sich zunehmend manifestierenden popmusikalischen Bedeutungslosigkeit des Wettbewerbs aber auch irgendwie egalen dritten Platz. Ein Hit wurde ‘Amour on t’aime’ jedoch nicht: heute arbeitet die gebürtige Wirtstochter wieder in der Gastronomie.
Ein Top-Ten-Hit in der Schweiz: Sue Schells (Peter, Sue & Marc) erste Solosingle ‘Simple Things’ aus der Hitschmiede von Candy de Rouge (Jennifer Rush, Repertoirebeispiel).
Vorentscheid CH 1982
Concours Eurovision. Donnerstag, 28. Januar 1982, aus dem TSR-Studio in Genf. Neun Teilnehmer:innen. Moderation: Serge Moisson. Drei regionale Publikumsjurys, Pressejury, Senderjury (je 20%).# | Interpreten | Songtitel | DRS | TSR | TSI | Presse | Jury | Punkte | Platz |
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01 | Marc Olivier | L’Enfant du Kairouan | 02 | 02 | 02 | 01 | 08 | 15 | 07 |
02 | Sandro Caroli | Tu sarai la mia croce | 01 | 01 | 03 | 02 | 04 | 11 | 09 |
03 | Rainy Day | El Dorado | 08 | 08 | 08 | 07 | 02 | 33 | 03 |
04 | Ireen Indra | Kinderlachen | 06 | 04 | 01 | 03 | 01 | 15 | 08 |
05 | Ray + Corry Knobel | Johnny Saxophone | 03 | 03 | 05 | 05 | 10 | 26 | 04 |
06 | Salvo Ingrassia | Tu resterai un sogno | 06 | 06 | 04 | 06 | 03 | 25 | 06 |
07 | Leana | Moi | 07 | 07 | 06 | 08 | 07 | 35 | 02 |
08 | Ba’rock | Ba’rock | 04 | 05 | 07 | 04 | 06 | 26 | 05 |
09 | Arlette Zola | Amour on t’aime | 10 | 10 | 10 | 10 | 05 | 45 | 01 |
Letzte Aktualisierung: 21.05.2023