Con­cours Euro­vi­si­on 1983: Isch mösch­te das nicht!

Nach zwei Jah­ren Gast­spiel in der Roman­die ging der Schwei­ze­ri­sche Vor­ent­scheid 1983 wie­der zurück an den deutsch­spra­chi­gen Sen­der DRS. Der recy­cel­te zwar kos­ten- und res­sour­cen­be­wusst das bereits 1979 benutz­te Büh­nen­bild, hol­te mit dem Ein­satz der deut­schen Vor­jah­res-Grand-Prix-Gewin­ner Nico­le als fest­li­chem Eröff­nungs­act und der Rück­kehr des Orches­ters etwas Glanz in die Ver­an­stal­tung. Den aller­dings der zwi­schen­drin mal unter län­ge­rer Lade­hem­mung lei­den­de Mode­ra­ti­ons­bot Marie-Thé­rè­se Gwe­der wie­der ein biss­chen trüb­te. Bloss: gute Lie­der an Land zu zie­hen, woll­te auch dem DRS nicht gelin­gen. Gleich fünf der neun Bei­trä­ge wur­den von ihren jewei­li­gen Interpret:innen auch kom­po­niert und getex­tet: eine siche­re­res Zei­chen, dass nur noch die Bela­de­nen und Hoff­nungs­lo­sen mit­ma­chen woll­ten, eine rote­re Flag­ge für eine Ver­an­stal­tung auf Ama­teur-Niveau lässt sich kaum fin­den. So prä­sen­tier­te uns bei­spiels­wei­se ein Chris­ti­an Hun­zi­ker mit der im Refrain aus dem Eng­lisch­lehr­buch, ers­te Lek­ti­on, abge­schrie­be­nen ‘Äng­li­schüebig’ ein Lied­lein, dass ähn­lich wie das öster­rei­chi­sche ‘Boom Boom Boo­me­rang’ von 1977 die Ver­ro­hung der Sprach­sit­ten beim Euro­vi­si­on Song Con­test kri­ti­sie­ren und gleich­zei­tig davon pro­fi­tie­ren woll­te. Sein Begleit­chor kam erst im zwei­ten Kehr­reim zum Ein­satz, bis dahin muss­ten die fünf deut­lich jün­ge­ren Buben und Mädels im Halb­kreis vor Hun­zi­ker sit­zen und ihn anhim­meln wie Sek­ten­mit­glie­der ihren Guru. Das war ein biss­chen gruselig.

Sie ist ver­rückt? Ich glau­be, eher anders­rum, lie­ber Alex (Play­list mit allen Bei­trä­gen zum Durchskippen).

Ein gewis­ser Nan­do Moran­di (wer?), der es nur auf zwei Sin­gle­ver­öf­fent­li­chun­gen brin­gen soll­te, war mit sei­ner Begleit­band Cen­tro­cit­tà (Stadt­zen­trum) gekom­men, die offi­zi­ell als Namens­ge­ber des Acts fun­gier­te. Damit man ihn nicht ver­gaß, ließ sich Nan­do sei­nen Vor­na­men in gro­ßen Let­tern auf die Schlau­fe sei­ner Umhän­ge­gi­tar­re sti­cken. Ein heu­te als Buch­au­tor ero­ti­scher Roma­ne täti­ger Clau­de Lan­der (wer?) emp­fahl uns, man müs­se “ein­fach mal leben”, was im Hin­blick auf sei­ne offen­sicht­li­che Wohl­ge­nährt­heit wirk­te wie der Spruch von Marie-Antoi­net­te, wenn das Volk sich kein Brot leis­ten kön­ne, sol­le es halt Kuchen essen. Deut­lich pes­si­mis­ti­scher gaben sich die erneut antre­ten­den Brü­der Ray & Cor­ry Kno­bel mit ihrem auch musi­ka­lisch depri­mie­ren­den ‘Bit­te­ren Lied’. Die von ihrer Mut­ter schon ab dem zar­ten Alter von sechs Jah­ren ver­geb­lich als Kin­der­star auf­ge­baut wer­den sol­len­de Manue­la Feli­ce (‘Mama, dich gibt’s nur ein­mal für mich’) hat­te zwi­schen­zeit­lich die Voll­jäh­rig­keit erreicht und ver­such­te sich nun­mehr – eben­so ver­geb­lich – in lin­gu­is­ti­scher Nar­re­tei: ‘Odu­li­dam’ lau­te­te der ono­ma­to­poe­ti­sche Titel ihres anämi­schen Gauk­ler­schla­gers. Von ihrem Auf­tritt blei­ben vor allem die Tüll­gir­lan­den an ihren Ärmeln in Erin­ne­rung, die den Ein­druck ver­mit­tel­ten, jemand habe sie mit Rote-Bete-gefärb­ter Sprüh­sah­ne dekoriert.

Die kom­plet­te Show am Stück.

Mit der Rück­keh­re­rin Mari­el­la Far­ré und der in Umbri­en gebo­re­nen New­co­me­rin Danie­la Sim­mons (hier beim Erst­ver­such noch mit einem “m” weni­ger im Namen) tra­ten zwei sowohl optisch wie akus­tisch kaum aus­ein­an­der zu hal­ten­de Chan­so­net­ten an: bei­de zeich­ne­ten sich durch einen deut­lich prä­sen­ten, bei­na­he schon ans Ver­bies­ter­te gren­zen­den Sie­ges­wil­len, eine apart ondu­lier­te Fön­wel­le, tadel­lo­se stimm­li­che Fähig­kei­ten und gefühlt jeweils drei Stun­den lang ziel­los vor sich hin plät­schern­de, ster­bens­lang­wei­li­ge Schnarch­bal­la­den aus. Mit dem ein­zi­gen Unter­schied, dass Frau Far­ré noch zwei Backings mit­brach­te, die zwi­schen­drin mal kurz sehr laut ins Mikro kri­schen. Wor­an man erken­nen konn­te: ah, das muss dann wohl der Refrain sein. Frau Sim­mons ver­zich­te­te hier­auf und wur­de mit dem letz­ten Platz abge­straft, wäh­rend die Tes­si­ne­rin den Sieg davon trug. Lag es womög­lich am Text aus der Feder von Nella Mar­ti­net­ti, die Mari­el­la in ‘Io cosi no ci stò’ klar­stel­len ließ, für Affä­ren und Sei­ten­sprün­ge nicht zur Ver­fü­gung zu ste­hen? Ein der Autorin schein­bar per­sön­lich auf den Nägeln bren­nen­des The­ma, das Nella drei Jah­re spä­ter in den Lyrics des Schwei­zer Bei­trags ‘Pas pour moi’ erneut ver­ar­bei­te­te, dann gesun­gen von Daniela.

Schüt­tel dein Haar, bra­ves Mäd­chen: Mari­el­la Farré.

Dabei lag Frau Far­ré bis zur letz­ten Abstim­mungs­run­de noch hin­ter der ver­däch­ti­ger­wei­se bei Ralph Sie­gels Plat­ten­la­bel Jupi­ter Records unter Ver­trag ste­hen­den Ange­la Ricar­di. Die mit Stul­pen­stie­feln, Nie­ten­bän­dern und unun­ter­bro­che­nem Hüpf­zwang not­dürf­tig als Den­ner-Nena aus­staf­fier­te Sän­ge­rin prä­sen­tier­te einen sehr faden­schei­nig auf NDW getrimm­ten Schlicht­schla­ger, den sich in die­ser Güte­klas­se wohl nicht ein­mal die noto­ri­sche Ixi (‘Der Knutsch­fleck’) zu sin­gen getraut hät­te. Der sich aber trotz aller kom­po­si­to­ri­scher, stimm­li­cher wie lyri­scher Schwä­chen wenigs­tens nur zwan­zig Licht­jah­re zum aktu­el­len Pop-Gesche­hen ent­fernt zeig­te und nicht zwei­hun­dert­tau­send, wie der Rest des Fel­des. Die Stim­men­aus­zäh­lung soll­te sich ohne­hin als das unfrei­wil­li­ge High­light des Abends erwei­sen: gan­ze vier Mal (!) muss­te der nicht aus der Ruhe zu brin­gen­de Mode­ra­ti­ons-Android die Tes­si­ner Publi­kums­ju­ry auf­ru­fen, bis die­se nach meh­re­ren – natür­lich stets gebro­che­nen – “Nur zwei Minu­ten noch”-Ver­trös­tun­gen end­lich ein vali­des Ergeb­nis prä­sen­tie­ren konn­te. Ver­mut­lich hat­ten die Abstim­mungs­be­rech­tig­ten aus dem Sen­de­ge­biet von TSI schon von dem Anruf ein­fach abge­schal­tet… Die bereits aus ver­gan­ge­nen Jah­ren für ihren abso­lut absei­ti­gen Geschmack berüch­tig­te Sen­der­ju­ry straf­vo­te­te die ‘Mona Lisa’ dann auf Rang 2 her­un­ter und mach­te den Sieg von Frau Far­ré per­fekt, die anschlie­ßend in Mün­chen einen durch­aus ange­mes­se­nen 15. Platz ersang.

Woll­te das berühm­tes­te Gemäl­de der Welt zwar nicht mit Kar­tof­fel­brei beschmie­ren, aber aus dem Lou­vre klau­en und zu Hau­se nach sei­ner Befind­lich­keit befra­gen. Wur­de Ange­la Ricar­di also bereits in Vor­beu­ge­haft genommen?

Vor­ent­scheid CH 1983

Con­cours Euro­vi­si­on. Sams­tag, 26. März 1983, aus dem DRS-Stu­dio in Zürich. Neun Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Marie-Thé­rè­se Gwer­der. Drei regio­na­le Publi­kums­ju­rys, Pres­se­ju­ry, Sen­der­ju­ry (je 20%).
#Inter­pre­tenSong­ti­telDRSTSRTSIPres­seJuryPunk­tePlatz
01Alex­and­re CastelElle était folle03020103071608
02Manue­la FeliceOdu­li­dam10080707063803
03Chris­ti­an HunzikerD’Äng­li­schüebig01060202081906
04Mari­el­la FarréIo cosi non ci sto06071010104301
05Nan­do Moran­di + I CentrocittàVivo in un Mundo04050606042504
06Clau­de LanderIl faut jus­te vivre07040404022105
07Ray + Cor­ry KnobelCan­zo­ne amara05030505011907
08Ange­la RicardiMona Lisa08100808053902
09Danie­la SimmonsDis-moi tout02010301031009

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 21.05.2023

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