Eine glitzernde Personalityshow für die größte Unterhaltungsallzweckwaffe der Schweiz, so lässt sich der Concours Eurovision 1986 wohl zusammenfassen. In einem besonders aparten, paillettenbestickten Strickkleid führte die Sängerin, mehrfache Eurovisionsvertreterin und TV-Moderatorin Paola viersprachig bezaubernd durch den helvetischen Vorentscheid. Neben dem Parlieren mit den neun Starter:innen, die als charmante Show-Idee jeweils ein “Symbol” für ihren Liedtext mitbringen mussten, steuerte Frau Felix in Anlehnung an das deutsche ESC-Vorbild Marlène Charell auch gleich noch die ausgesprochen glanzvolle Pausenunterhaltung bei: ein Potpourri von Grand-Prix-Siegerliedern, für das sie mit Hilfe von passenden Perücken und Kleidern in die Rollen beispielsweise von Nicole oder Gigliola Cinquetti schlüpfte. Weniger glanzvoll präsentierten sich die neun Beiträge des Abends, jeweils im Halbplayback und mit massivem Hall auf der Stimme vorgetragen, bei denen sich – bis auf die letzten beiden Starter:innen – auch mit größter Mühe keine prägende Melodie oder auch nur kohärent wahrnehmbare Song-Idee feststellen ließen. Stattdessen wirkten sie wie hastig mit heißer Nadel zusammengenähte, dahingekritzelte Skizzen; unfertige Rohentwürfe, die nie das Licht der Öffentlichkeit hätten erblicken dürfen.
Cadeau donné, Cadeau répris, Cadeau volée: Paola überbringt uns beim Concours Eurovision 1986 recht geizige Song-Geschenke (ganze Show).
So wie zum Beispiel der halbgare, dreisprachige Jazzschlager ‘Lily Lilas’ aus der Feder der ehemaligen Grand-Prix-Repräsentantin Véronique Müller, die hierfür zwei weitere sich im deutlichen Erwachsenenalter befindliche Damen um sich scherte, die sich aufführten wie angeschickerte Tanten auf einem Junggesellinnenabschied. Der Wiederkehrer Marc Olivier kam mit einer Band mit dem sehr sprechenden Namen Test. Dieser sollte fehlschlagen. Zu den neuen Gesichtern zählten das gemütliche Latzhosenbärchen Nöggi (bürgerlich: Bruno Stöckli) sowie der Kinderlied- und Buchautor Linard Bardi, die auf Schwyzerdütsch bzw. Rätoromanisch und damit in gleichermaßen vollkommen unverständlichen Dialekten sangen. Der spätere “Querdenker” Bardi, der im Jahre 2000 mit dem Album ‘Was i nid weiß, weiß mini Geiß’ Goldstatus erreichte, brachte sich zur Unterstützung für seine bizarre Almromanzen-Saga ‘Tragnölin’ (‘Glöckchen’) eine Hebammenschülerin mit dem fantastischen Namen Shefali Banerjee mit auf die Bühne, die der entzückten Paola ins Mikro sprach, noch lieber als beim Grand Prix zu singen, würde sie gerne helfen, viele künftige helvetische Schlagersängerinnen zur Welt zu bringen.
Haben wohl schon einen zu viel gezwitschert: Véronique Müller, Dodo Hug und Christina Bauer.
Unter Beteiligung von Nella Martinetti entstanden die beiden einzigen einigermaßen als professionelle Popsongs klassifizierbaren Beiträge, die dann auch auf den beiden vorderen Plätzen landeten. Den Kürzeren zog dabei – zu meinem Bedauern – der eigentlich als Paul Schmidhauser geborene Paolo Monte, der 1985 als Nachfolger von Frank Müller kurzzeitig bei der mittlerweile aufgelösten Schlagerkapelle Rainy Day (ESC 1984) eingestiegen war. Sein Trennungsschlager ‘Amore mio’ fiel zwar nicht unbedingt durch Originalität auf, sondern klang genau so wie ungefähr jede einzelne klassische San-Remo-Ballade von 1950 bis heute. Dafür verfügte das Canzone aber eben auch über deren hervorstechende Qualitäten, nämlich eine eingängige Melodie und einen mit dramatischer Es-geht-um-Leben-und-Tod-Intonation dahingeraspelten Liedtext in der schönsten Sprache der Welt, Italienisch. Paul / Paolo erntete jedoch nur im Tessin die Höchstwertung, alle anderen Jurys entschieden sich unisono für die gefällige Klavierballade ‘Pas pour moi’ von Daniela Simmons. Die hatte ihre charakteristische Helmfrisur noch stärker auftoupiert als bei ihren ersten beiden Concours-Versuchen und setzte mit matterhornhohen Schulterpolstern weitere modische Akzente. Der zu meinen führenden persönlichen ESC-Hassbeiträgen zählende Song verfehlte in Bergen dank einer Null-Punkte-Gabe der obstinaten deutschen Jury nur ganz knapp den Sieg, sollte sich aber auch zu Hause als Ladenhüter erweisen. 1991 heiratete Simmons den Komponisten ihres Liedes, Atilla Şereftuğ, der noch Schweizer Grand-Prix-Geschichte schreiben sollte.
Ist intolerant gegenüber jeglicher Anmache und will “eine in Majuskeln geschriebene Liebe”: Mademoiselle Simmons.
Vorentscheid CH 1986
Concours Eurovision. Samstag, 25. Januar 1986, aus dem DRS-Studio in Zürich. Neun Teilnehmer:innen. Moderation: Paola. Drei regionale Publikumsjurys, Pressejury, Senderjury (je 20%).# | Interpreten | Songtitel | DRS | TSR | TSI | Presse | Jury | Punkte | Platz |
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01 | Scarlet Chessex | Fou d’Amour pour toujours | 05 | 08 | 06 | 06 | 08 | 33 | 03 |
02 | Nöggi | Verschänk doch dini Liebi | 04 | 01 | 02 | 03 | 01 | 11 | 09 |
03 | Simonetta | Un Amore come una Fiaba | 03 | 03 | 04 | 04 | 04 | 18 | 06 |
04 | Test | Generation Liberté | 06 | 07 | 07 | 07 | 02 | 27 | 05 |
05 | Linard Bardill + Shefali Banerjee | Tragnölin | 07 | 05 | 05 | 07 | 06 | 30 | 04 |
06 | Gruppo Pocafera | Iside | 01 | 02 | 03 | 01 | 07 | 14 | 07 |
07 | Lily Lilas | Lily Lilas | 02 | 04 | 01 | 02 | 05 | 14 | 08 |
08 | Paolo Monte | Amore mio | 08 | 06 | 10 | 08 | 03 | 35 | 02 |
09 | Daniela Simmons | Pas pour moi | 10 | 10 | 08 | 10 | 10 | 48 | 01 |
Letzte Aktualisierung: 24.05.2023