Lediglich acht Liedchen hatte das Schweizer Fernsehen in diesem Jahr für den Concours Eurovision zusammenkratzen können, und angesichts derer unterirdischer Qualität muss man es als Gnade gegenüber dem Publikum begreifen, dass es nur so wenige waren. Im Rahmenprogramm griff man ganz weit in die Mottenkiste zurück: auch wenn man dem Vorjahresquartett Furbaz seinen etwas verschämt am Ende des Pausenshowblocks versteckten Höflichkeitsauftritt zugestand, so dominierte doch die erste Schweizer Grand-Prix-Gewinnerin von 1956, Lys Assia, als mit Abstand prominentester Name den Abend. Das Teilnehmendenfeld entbot hingegen die altbekannte Mixtur: wie immer gab es die üblichen, unermüdlichen Rückkehrer:innen wie beispielsweise den während seines Liveauftritts drei Minuten lang sehr creepy in die Kamera dauerstarrenden Frankoschweizer Gemo, der zur Unterstreichung seiner vorgeblichen Heterosexualität im Vorstellungsvideo an der Hotelbar eine Frau anflirtete und damit exakt niemanden überzeugen konnte. Einschließlich der Dame, die umgehend Reißaus nahm. Mehr als die Hälfte der Startplätze ging indes an unbekannte Newcomer:innen, von denen man in den meisten Fällen nie wieder etwas hören sollte.
Die Schweizer Ausscheidung 1990 am Stück.
So wie beispielsweise von dem deutschsprachigen Schlagerpärchen Simone & Simon, das mit dem ausgesprochen dünnstimmig intonierten, inhaltlichen Superschwachsinn ‘Träume müssen stark sein’ zu bräsigen Schmiersaxofonsounds dieses Siegelsche Lieblingsthema zum ungefähr acht millionsten Mal auslutschte. Anders bei dem zweiten, frankophilen Schlagerpärchen Sylvie & Joël: zwar verlor sich die Spur des in Sachen Charisma und sängerische Fähigkeiten bereits hier völlig verschwindenden männlichen Teils des Duos mittlerweile in den sprichwörtlichen Nebeln von Norwegen. Um so mehr tat sich jedoch seine Partnerin, die in der südfranzösischen Küstenstadt Perpignan am Golfe du Lion geborene Sylvie Mestre, hervor. Die schraubte sich im Schlussvers ihres in dieser Form auch schon tausendfach gehörten Grand-Prix-Riemens ‘Dites a vos Enfants’ (‘Sagt euren Kindern’) in so überhaupt nicht vorgesehene Tonhöhen und schrie, als sei gerade der Geist von Mariah Carey in sie eingefahren. Oder der eines Außeriridischen, denn sie soll französischen Presseberichten zufolge in ihrer Jugend einer an Ufos glaubenden Sekte angehört haben. Das erinnert Sie an jemanden? Richtig: unter dem Künstlerinnennamen Nayah trat Sylvie neun Jahre später für Frankreich beim ESC an.
Sie will doch nur ihre Stimme geben: Sylvie alias Nayah.
Nicht von der Bildfläche verschwinden sollte auch die bei ihrer Concours-Première letztplatzierte Sandra Simó: nur ein Jahr darauf konnte die studierte Musikwissenschaftlerin und ehemalige Backgroundsängerin von DJ Bobo die Fahrkarte nach Rom ersingen. Später machte sie unter ihrem bürgerlichen Namen Sandra Studer eine TV-Karriere als Moderatorin und deutschschweizerische Eurovisionskommentatorin. 1999 führte sie als Leihgabe des Schweizer Fernsehens an der Seite von Axel Bulthaupt gar durch den deutschen Countdown Grand Prix. Trotz eines massiven Downvotings durch die Presse- und Senderjury siegte dank des in allen drei Sprachregionen verdächtig einhelligen Publikumsplazets der gebürtige Österreicher (!) Egon Egemann (bürgerlich: Egon Lackner). Den kannte man im Lande bereits durch seine zeitweilige Mittäterschaft in der jahrzehntelang den gesamten DACH-Raum dauerpenetrierenden Höllenschlagerformation Die Paldauer. Hier offerierte er mit dem schwelgerischen Schmachtriemen ‘Musik zieht in die Welt hinaus’ eine zumindest thematisch in der Tradition der ‘Swiss Lady’ stehende Liebeserklärung an sein Instrument, die von ihm natürlich auf die Bühne mitgebrachte und hingebungsvoll befiedelte Violine. Und wer jetzt glaubt, bei so viel innigem Gegenstandsfetisch müsste Egons im Einspieler zu bewundernde, bildhübsche Ehefrau doch eifersüchtig reagieren: nö, die schrieb den Bums! In Zagreb reichte es für den kommerziell selbstverständlich hart gefloppten Titel für einen soliden Mittelfeldplatz. Es waren halt die dunklen Jahre beim Grand Prix.
Je länger das Zöpfchen, desto kürzer das Zäpfchen: der Egon. Dass er auch von der Tessiner Publikumsjury Douze Points erhielt, sorgte beim Studiopublikum für vernehmliches Murren.
Vorentscheid CH 1990
Concours Eurovision. Samstag, 24. Februar 1990, aus dem Kongresspalast in Lugano. Acht Teilnehmer:innen. Moderation: Emanuela Gaggini. Drei regionale Publikumsjurys, Pressejury, Senderjury (je 20%).# | Interpreten | Songtitel | DRS | TSR | TSI | Presse | Jury | Punkte | Platz |
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01 | Nando Morandi | Canta con noi | 05 | 04 | 06 | 08 | 06 | 29 | 04 |
02 | Adela | J’irai oú tu voudras | 02 | 01 | 02 | 03 | 03 | 11 | 07 |
03 | Egon Egemann | Musik klingt in die Welt hinaus | 10 | 10 | 10 | 06 | 02 | 38 | 01 |
04 | Sylvie & Joel | Dites a vos Enfants | 04 | 08 | 05 | 10 | 08 | 35 | 02 |
05 | Sandra Simó | Lo so | 01 | 02 | 01 | 01 | 05 | 10 | 08 |
06 | Simone & Simon | Träume müssen stark sein | 03 | 06 | 04 | 04 | 04 | 21 | 05 |
07 | Gemo | Ailleurs c’est pareil | 08 | 03 | 03 | 02 | 01 | 17 | 06 |
08 | Nadia Goj | Una Donna che cresce | 06 | 05 | 08 | 05 | 10 | 34 | 03 |
Zuletzt aktualisiert: 27.05.2023