Ein Lied für Mal­mö 1992: Der Mann, der sei­nen Job verlor

Wind, DE 1992
Die Hartz-Vier-Boten

In den Wie­der­ver­ei­ni­gungs­wir­ren nutz­te der seit 1979 inner­halb der ARD für den Euro­vi­si­on Song Con­test zustän­di­ge Baye­ri­sche Rund­funk die Gunst der Stun­de und schob die Ver­ant­wor­tung für die mitt­ler­wei­le extrem unge­lieb­te, nur noch als ärger­li­che Geld­ver­schlin­gungs­ma­schi­ne emp­fun­de­ne Ver­an­stal­tung eilends an den neu gegrün­de­ten Mit­tel­deut­schen Rund­funk ab, noch heu­te der füh­ren­de Schla­ger­sen­der der Nati­on, der sei­ne stramm rech­te Gesin­nung bereits im Namen trägt. Denn “mit­tel­deutsch” kann man das Sen­de­ge­biet des MDR nur dann nen­nen, wenn man Deutsch­land wei­ter­hin in den Gren­zen von 1939 denkt und die im Zwei­ten Welt­krieg durch eige­ne Schuld ver­lo­re­nen Gebie­te jen­seits der Oder irgend­wann wie­der heim ins Reich holen möch­te. Wobei sich mir ange­sichts der auf­fäl­li­gen AfD-Affi­ni­tät der Ossis mitt­ler­wei­le eher der Gedan­ke auf­drängt, ob wir die 1990 ohne eige­nes Zutun dazu­ge­won­ne­nen Bei­tritts­ge­bie­te nicht lie­ber an das ähn­lich erz­kon­ser­va­tiv-völ­ki­sche Polen abtre­ten soll­ten… Bei der Ver­schie­bung von einem Frei­staat in den ande­ren kam den Baju­wa­ren jeden­falls zupass, dass die äußerst CDU-nahe Zonen­an­stalt sei­ner­zeit unter maß­geb­li­cher Füh­rung der Bazis auf­ge­baut wur­de, die dort ele­gant ihre per­so­nel­len und pro­gramm­li­chen Alt­las­ten ent­sorg­ten. Zu denen zähl­te sowohl der von Mün­chen nach Mag­de­burg weg­ge­lob­te ers­te Inten­dant der neu­en Drei­län­der­an­stalt, in des­sen Ägi­de vor allem Kor­rup­ti­ons­skan­da­le und poli­ti­sche Ein­fluss­nah­me fie­len, als eben auch die deut­sche Vor­ent­schei­dung zum Grand Prix Eurovision.

Weil Sie nichts bes­se­res zu tun haben. Oder weil sie in der Jury sit­zen und zuschau­en müs­sen”: Car­mel Nebel mach­te dem Publi­kum schon in der Anmo­de­ra­ti­on rich­tig Bock auf den deut­schen Vor­ent­scheid 1992.

Den aus­ge­spro­chen zag­haf­ten Ver­su­chen des MDR, zeit­ge­mä­ße Pop­stars nach Mag­de­burg zu locken, blieb auf­grund der fort­be­stehen­den Spra­chen­re­gel und des damit ver­bun­de­nen dump­fen Images des inter­na­tio­na­len Wett­be­werbs der Erfolg ver­sagt. Zu Ver­gleichs­zwe­cken: die bei­den kom­mer­zi­ell erfolg­reichs­ten deutsch­spra­chi­gen Titel des Jah­res hie­ßen ‘Das Boot’ von U96 und ‘Die da’ von den Fan­tas­ti­schen Vier. Von sol­cher Ware konn­te man hier jedoch noch nicht ein­mal träu­men: trotz des noch­mals deut­lich redu­zier­ten Star­ter­fel­des kamen aus­schließ­lich Ver­lie­rer­vi­sa­gen, die auf dem hei­mi­schen Musik­markt nichts, aber auch rein gar nichts mehr zu bestel­len hat­ten. Näm­lich die von Han­ne Hal­ler ent­sand­te Sus­an Schu­bert mit ihrem schlim­men ‘Sha­la­lai­ka’-Schun­kel­schla­ger für den Tanz­tee im Senio­ren­stift und die bra­ve Bay­ern­band Relax, die sich bereits zehn Jah­re zuvor, von ihrer Plat­ten­fir­ma im Rah­men der kurz­zei­ti­gen NDW-Eupho­rie auf einer gemein­sa­men Tour­nee mit Mar­kus, Nena und Extra­breit ver­heizt, eben­dort von rabia­ten Wel­len­fans aus­bu­hen las­sen muss­te. Und es den­noch ver­säumt hat­te, sich zügig auf­zu­lö­sen. Sowie der nach­ge­ra­de unver­meid­li­che Bern­hard Brink schon wie­der, der in spä­te­ren Jah­ren beim MDR sein Gna­den­brot als Schla­ger­show­mo­de­ra­tor ver­zeh­ren soll­te. Hier trat die sin­gen­de Pudel­fri­sur mit einem grau­si­gen Pla­gi­at des stein­al­ten Demis-Rous­sos-Schla­gers ‘Good­bye my Love, Good­bye’ an.

Für Hart­ge­sot­te­ne: die Bei­trä­ge des Vor­ent­scheids als Playlist.

Sie alle erhiel­ten von den Jurys (der Osten hat es bekannt­lich nicht so mit dem gan­zen Demo­kra­tie­quatsch und leg­te das Schick­sal des deut­schen Bei­trags flugs wie­der in die Hän­de von 121 Laienjuror:innen, ver­teilt auf die damals noch elf Sen­de­an­stal­ten der ARD) kei­nen ein­zi­gen Punkt. Im Gegen­satz zu der vom MDR pro­te­gier­ten, dem Namen nach zu urtei­len immer­hin wenigs­tens umwelt­freund­li­chen Zonen­band Blaue Engel, stil­echt mit modi­schen Vokuh­i­la-Fri­su­ren aus­ge­stat­tet, die natür­lich nur in den Bei­tritts­ge­bie­ten Anklang fand, sowie den bei­den Songs aus dem Hau­se Sie­gel. Elf Jah­re nach ihrer Grand-Prix-Teil­nah­me mit ‘John­ny Blue’ bekam die medi­al mitt­ler­wei­le nicht mehr son­der­lich prä­sen­te, wenn­gleich noch immer hin­rei­ßend schö­ne Lena Valai­tis, stil­echt im modi­schen Vokuh­i­la-Kleid, zwar noch auf der Büh­ne Blu­men von einem auf­dring­li­chen Ver­eh­rer über­reicht, so als sän­ge sie in der ZDF-Hit­pa­ra­de und nicht beim Euro­vi­si­ons-Vor­ent­scheid. Ihr Bei­trag ‘Wir sehn uns wie­der’ soll­te mit sehr sanf­ten musi­ka­li­schen Schi­wa­go-Anlei­hen und sei­nem mode­rat melan­cho­li­schen Text (“Men­schen, die glück­lich war’n, sind auf ein­mal in alle Win­de ver­weht”) womög­lich an das dama­li­ge Bür­ger­kriegs­dra­ma auf dem Bal­kan und die damit ver­bun­de­ne Völ­ker­ver­trei­bung anknüp­fen, blieb dabei aber so dezent und unbe­stimmt, dass es kaum jeman­dem auf­fiel. So erhielt Lena kei­ne zwei­te Chance.

Als wäre Alex­an­dra auf­er­stan­den: Lena Valai­tis ver­brei­tet vagen Weh­mut und homöo­pa­thi­sche Hoff­nung in düs­te­ren Zeiten.

Dafür aber, bereits zum drit­ten Mal, die Retor­ten­for­ma­ti­on Wind. Deren win­del­weich-wei­ner­li­ches ‘Träu­me sind für alle da’ spiel­te lyrisch in an Zynis­mus nicht mehr zu über­bie­ten­der Wei­se auf die aktu­el­le, abgrund­schlim­me Arbeits­markt­si­tua­ti­on in den neu­en Bun­des­län­dern an, wo sich nach dem Treu­hand-unter­stütz­ten Aus­ver­kauf der weni­gen wirt­schaft­lich über­le­bens­fä­hi­gen ehe­ma­li­gen Volks­ei­ge­nen Betrie­be an die West­kon­kur­renz auf ein­mal ein gan­zes ehe­dem voll­be­schäf­tig­tes Volk auf den über­füll­ten Flu­ren der Arbeits­agen­tu­ren wie­der­fand: “Und der Mann, der sei­nen Job ver­lor / Träumt, dass er’s allen zeigt / Wie Phö­nix aus der Asche steigt”. Schon klar: mehr als die Flucht in trü­ge­ri­sche Traum­wel­ten blieb den Ossis nach dem vor­her­seh­ba­ren, wie­der­ver­ei­ni­gungs­be­ding­ten Zusam­men­bruch ihrer Wirt­schaft schlicht nicht übrig. Selbst schuld: wer auf Oskar Lafon­taine nicht hören woll­te, muss­te eben mit Ralph Sie­gel füh­len! Der suh­len­de Selbst­mit­leids­fak­tor reich­te für den Sieg. Car­men Nebel, das Ost-Äqui­va­lent zu Caro­li­ne Rei­ber, mode­rier­te alles in Grund und Boden (bedau­er­lich, dass nicht sie ihren Job ver­lor) und die Ein­schalt­quo­ten beweg­ten sich im nur noch mit dem Elek­tro­nen­mi­kro­skop sicht­ba­ren Bereich. Ein Lied für Mal­mö soll­te die letz­te öffent­li­che Vor­ent­schei­dung für einen lan­gen Zeit­raum werden.

Wind: “Und wehe, ihr grinst nicht per­ma­nent in die Kame­ra, dann schickt euch der Onkel Ralph ohne Abend­essen ins Bett”!

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 1992

Ein Lied für Mal­mö. Sams­tag, 30. März 1992, aus der Stadt­hal­le in Mag­de­burg. Sechs Teilnehmer:innen, Mode­ra­ti­on: Car­men Nebel.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatzCharts
01Bern­hard BrinkDer letz­te Traum0004-
02RelaxBlue Fare­well River0004-
03Sus­an SchubertSha­la­lai­ka0004-
04Blaue EngelLicht am Horizont0302-
05Lena Valai­tisWir sehn uns wieder0103-
06WindTräu­me sind für alle da070159

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3 Comments

  • Gro­be Fehl­ent­schei­dung Lena Valai­tis hät­te aus­ge­sucht wer­den sol­len. Zwar auch von Sie­gel, aber das weit­aus klas­si­sche­re und bes­se­re Stück. Sie hät­te uns mit Ele­ganz, Ernst­haf­tig­keit und Aus­strah­lung wür­dig ver­tre­ten (und hät­te sich zwi­schen den ande­ren Diven und Bal­la­dessen des Abends auch bes­ser gemacht). Im Gegen­satz zu Why me viel­elicht zu unauf­dring­lich, aber wir haben ja gese­hen wo die wei­ner­li­chen, ver­schwur­bel­ten Lüft­chen am Ende gelan­det sind.

  • Fal­scher Name Es ist zwar völ­lig unwich­tig, aber als Ein­ge­bo­re­ner muß ich eines klar stel­len: Es gibt kei­ne Rothe­horn­hal­le in oder um Mag­de­burg, weder offi­zi­ell noch im Volks­mund! Ver­an­stal­tungs­ort war die ‘Mag­de­bur­ger Stadt­hal­le’. Die fal­sche Bezeich­nung tauch­te plötz­lich beim neu­ge­grün­de­ten MDR auf und hat sich bei die­sem Sen­der bis heu­te gehal­ten. Grund dafür kann nur eine gewis­se Bor­niert­heit der dama­li­gen impor­tier­ten Sen­de­lei­tung sein. Die­se mein­te wohl, nur weil die Hal­le auf der Rothe­horn­in­sel liegt, müs­se sie auch so hei­ßen. Ist aber falsch und damit Ende der Chro­nis­ten­pflicht. Die Ver­an­stal­tung selbst war Müll. Lena Valai­tis war zwar die Bes­te, aber auch ihr Song war nur unte­rer Durch­schnitt. Wenigs­tens ihr Auf­tritt wäre beim ESC kei­ne Pein­lich­keit gewesen.

  • Nun, las­sen wir doch mal eine der Haupt­be­tei­lig­ten zu Wort kom­men: “Freu­de hat Mal­mö uns allen nicht gemacht. Wir muss­ten immer früh ins Bett, muss­ten immer lächeln, und das Lied war eigent­lich auch nichts, wor­auf man stolz sein kann.” (Petra Scheeser, zitiert aus “Ein Lied kann eine Brü­cke sein” von der Fled­der­sen.) Und damit ist eigent­lich alles gesagt, was man dazu sagen kann.

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