Ein Lied für Dub­lin 1994: Wor­te die wehtun

Ein letz­tes Mal noch woll­te der ORF der klas­si­schen öffent­li­chen Vor­ent­schei­dung eine Chan­ce geben. Im ver­zwei­fel­ten Bemü­hen, ein biss­chen zeit­geis­ti­ger zu wir­ken, ver­leg­te man die Show aus dem ORF-Fern­seh­thea­ter in den Club Nacht­werk und enga­gier­te den yup­pie­haft wir­ken­den, sich 1997 als schwul outen­den Schau­spie­ler Alfons Hai­der, bekannt gewor­den vor allem als rasen­der TV-Repor­ter auf dem gla­mou­rö­sen Opern­ball, als Mode­ra­tor. Von den acht im extra redu­zier­ten Star­ter­feld ange­tre­te­nen Bei­trä­gen schmück­te sich die Hälf­te mit ita­lie­ni­schen oder eng­li­schen Titeln, obschon nach den gül­ti­gen Sprach­re­geln wei­ter­hin auf Deutsch gesun­gen wer­den muss­te. Die­ser Eti­ket­ten­schwin­del setz­te sich bis in die Musik hin­ein fort: so wir­bel­te die Mau­er­stür­me­rin von 1990, Simo­ne Stel­zer, im signal­far­be­nen Som­mer­kleid­chen zu extra­l­au­ten Drum­com­pu­ter­beats hyper­ak­tiv über die Büh­ne, als wol­le sie die alpen­län­di­sche Inkar­na­ti­on von Blüm­chen geben. Trotz des faden­schei­ni­gen Euro­dance-Tarn­an­zugs ent­pupp­te sich ihr Rock-’n’-Roll-Schlager ‘Radio’ jedoch sehr rasch als sehr über­flüs­si­ger Neu­auf­guss der impe­ra­ti­ven Oldie­wel­len-Ode ‘Hör wie­der Radio’, mit wel­cher die Love Gene­ra­ti­on bereits 1975 den deut­schen Vor­ent­scheid heim­ge­sucht hatte.

Piep, piep, klei­ne Dampf­ei­sen­bahn: Simo­ne liegt irgend­wo zwi­schen Blüm­chen und Nicki (plus Play­list mit den drei ver­füg­ba­ren Titeln des Vorentscheids).

Den­noch: unter den heu­te noch auf­find­ba­ren Bei­trä­gen kam Simo­nes Werk zeit­ge­nös­si­schem Pop noch am nächs­ten. Was sich auch dar­an zeigt, dass sie noch im glei­chen Jahr mit dem vom sel­ben Team im glei­chen Sound pro­du­zier­ten Titel ‘Wah­re Lie­be’ einen Top-Ten-Hit gene­rier­te. Lei­der aber leg­te der ORF die Bewer­tung der Lie­der allei­ne in die Hän­de von regio­na­len Jurys, und die bevor­zug­ten klas­si­sche­re Ware. Das bekam auch die in Sizi­li­en gebo­re­ne Sän­ge­rin Etta Scol­lo zu spü­ren, die 1988 mit einem Beat­les-Cover die öster­rei­chi­schen Charts getoppt hat­te, hier aber mit dem unschla­ge­ri­gen ‘Ami­co Pierre’ nur mage­re acht Zäh­ler ein­fah­ren konn­te. Zu den ehe­mals Erfolg­rei­chen zähl­te auch der sin­gen­de Leh­rer Karl Pei­erl ali­as Carl Pey­er, des­sen Top-Ten-Hit ‘Romeo und Julia’ noch ein Jahr län­ger zurück­lag. Gewin­nen soll­te indes eine New­co­me­rin, näm­lich die damals erst 15jährige Petra Frey (bür­ger­lich: Petra Kauch). Trotz ihres jugend­li­chen Alters prä­sen­tier­te die bis heu­te im volks­tüm­li­chen Schla­ger­be­reich erfolg­rei­che Inns­bru­cke­rin mit dem von Alfons Wein­dorf (Atlan­tis 2000) kom­po­nier­ten und von den Gebrü­dern Brun­ner & Brun­ner getex­te­ten ‘Für den Frie­den der Welt’ hier gut abge­han­ge­ne Grand-Prix-Ware der Güte­klas­se “mit dem Ralph-Sie­gel”. Es klang wie das lied­ge­wor­de­ne Kind von Nico­le und Wind.

Gren­zen, die lügen”: so wie das “Herz­lich Will­kom­men in Österreich”-Schild an der A8 bei Schärding?

Mit erschre­ckend düs­te­ren, wenn­gleich ein wenig wahl­los zusam­men­ge­wor­fe­nen Wor­ten ent­warf der schlei­mi­ge Schla­ger­rie­men ein gera­de­zu dys­to­pi­sches Bild der Gegen­wart, vol­ler frie­ren­der, trä­nen­blin­der Men­schen, denen Frau Frey mit ihrem La-la-Lied­chen ein wenig Licht ins Dun­kel zu schi­cken ver­sprach. Und dabei mit ihrem win­di­gen Gesäu­sel doch nur die letz­te noch wär­men­de Ker­ze aus­pus­te­te. Das Gan­ze kul­mu­nier­te in der wohl­fei­len For­de­rung: “Und es darf nicht mehr sein, dass man Mut dazu braucht, um den Ande­ren Lie­be zu zei­gen”. Dabei hat­te die gro­ße deut­sche Pop-Phi­lo­so­phin Nena bereits zehn Jah­re zuvor abschlie­ßend fest­ge­stellt: “Lie­be wird aus Mut gemacht”! Beim Haupt­wett­be­werb reich­te es für das wim­mern­de Betrof­fen­heits­ge­susel, das selbst zuhau­se nie­mand käuf­lich zu erwer­ben gedach­te, ledig­lich für Rang 17. Dabei kam der paus­bä­cki­gen Inter­pre­tin in Dub­lin noch zupass, dass sie dort so stark nuschel­te, dass man den Quark nicht ver­stand. Petra Frey besuch­te dann erst mal eine Hotel­fach­schu­le, wo sie lern­te, ihre Ser­vier­tech­nik deut­lich zu ver­bes­sern, blieb aber dem Schla­ger wei­ter­hin treu. 2003 soll­te sie es beim dann rund­erneu­er­ten öster­rei­chi­schen Vor­ent­scheid Song.null.drei mit einem Ela­bo­rat aus dem Hau­se Sie­gel noch ein­mal ver­su­chen, glück­li­cher­wei­se jedoch gegen Alf Poier den Kür­ze­ren ziehen.

Denk nicht lan­ge nach” könn­te ihr Lebens­mot­to sein: die lei­der längst unter die Schwurbler:innen gefal­le­ne Nena. Ihr Hit von 1984 ver­brei­te­te eine ähn­lich inhalts­lee­re End­zeit­stim­mung wie Petra Freys Grand-Prix-Werk, tat aber viel weni­ger weh (Reper­toire­bei­spiel).

Vor­ent­scheid AT 1994

Ein Lied für Dub­lin. Diens­tag, 8. März 1994, aus dem Nacht­werk in Wien. Acht Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Alfons Hai­der. Neun regio­na­le Jurys.
#Inter­pre­tenSong­ti­telJuryPlatz
01Three Girl MadhouseSoli­taire4902
02Simo­ne StelzerRadio3204
03Petra FreyFür den Frie­den der Welt5701
04Carl Pey­erDu und i3303
05Jane Pal­merFlieg heu­te Nacht2005
06Etta Scol­loAmi­co Pierre0807
07AlexHigh­way1306
08Marc Ber­rySwin­gin’ out0408

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 12.10.2021

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