Ein letztes Mal noch wollte der ORF der klassischen öffentlichen Vorentscheidung eine Chance geben. Im verzweifelten Bemühen, ein bisschen zeitgeistiger zu wirken, verlegte man die Show aus dem ORF-Fernsehtheater in den Club Nachtwerk und engagierte den yuppiehaft wirkenden, sich 1997 als schwul outenden Schauspieler Alfons Haider, bekannt geworden vor allem als rasender TV-Reporter auf dem glamourösen Opernball, als Moderator. Von den acht im extra reduzierten Starterfeld angetretenen Beiträgen schmückte sich die Hälfte mit italienischen oder englischen Titeln, obschon nach den gültigen Sprachregeln weiterhin auf Deutsch gesungen werden musste. Dieser Etikettenschwindel setzte sich bis in die Musik hinein fort: so wirbelte die Mauerstürmerin von 1990, Simone Stelzer, im signalfarbenen Sommerkleidchen zu extralauten Drumcomputerbeats hyperaktiv über die Bühne, als wolle sie die alpenländische Inkarnation von Blümchen geben. Trotz des fadenscheinigen Eurodance-Tarnanzugs entpuppte sich ihr Rock-’n’-Roll-Schlager ‘Radio’ jedoch sehr rasch als sehr überflüssiger Neuaufguss der imperativen Oldiewellen-Ode ‘Hör wieder Radio’, mit welcher die Love Generation bereits 1975 den deutschen Vorentscheid heimgesucht hatte.
Piep, piep, kleine Dampfeisenbahn: Simone liegt irgendwo zwischen Blümchen und Nicki (plus Playlist mit den drei verfügbaren Titeln des Vorentscheids).
Dennoch: unter den heute noch auffindbaren Beiträgen kam Simones Werk zeitgenössischem Pop noch am nächsten. Was sich auch daran zeigt, dass sie noch im gleichen Jahr mit dem vom selben Team im gleichen Sound produzierten Titel ‘Wahre Liebe’ einen Top-Ten-Hit generierte. Leider aber legte der ORF die Bewertung der Lieder alleine in die Hände von regionalen Jurys, und die bevorzugten klassischere Ware. Das bekam auch die in Sizilien geborene Sängerin Etta Scollo zu spüren, die 1988 mit einem Beatles-Cover die österreichischen Charts getoppt hatte, hier aber mit dem unschlagerigen ‘Amico Pierre’ nur magere acht Zähler einfahren konnte. Zu den ehemals Erfolgreichen zählte auch der singende Lehrer Karl Peierl alias Carl Peyer, dessen Top-Ten-Hit ‘Romeo und Julia’ noch ein Jahr länger zurücklag. Gewinnen sollte indes eine Newcomerin, nämlich die damals erst 15jährige Petra Frey (bürgerlich: Petra Kauch). Trotz ihres jugendlichen Alters präsentierte die bis heute im volkstümlichen Schlagerbereich erfolgreiche Innsbruckerin mit dem von Alfons Weindorf (Atlantis 2000) komponierten und von den Gebrüdern Brunner & Brunner getexteten ‘Für den Frieden der Welt’ hier gut abgehangene Grand-Prix-Ware der Güteklasse “mit dem Ralph-Siegel”. Es klang wie das liedgewordene Kind von Nicole und Wind.
“Grenzen, die lügen”: so wie das “Herzlich Willkommen in Österreich”-Schild an der A8 bei Schärding?
Mit erschreckend düsteren, wenngleich ein wenig wahllos zusammengeworfenen Worten entwarf der schleimige Schlagerriemen ein geradezu dystopisches Bild der Gegenwart, voller frierender, tränenblinder Menschen, denen Frau Frey mit ihrem La-la-Liedchen ein wenig Licht ins Dunkel zu schicken versprach. Und dabei mit ihrem windigen Gesäusel doch nur die letzte noch wärmende Kerze auspustete. Das Ganze kulmunierte in der wohlfeilen Forderung: “Und es darf nicht mehr sein, dass man Mut dazu braucht, um den Anderen Liebe zu zeigen”. Dabei hatte die große deutsche Pop-Philosophin Nena bereits zehn Jahre zuvor abschließend festgestellt: “Liebe wird aus Mut gemacht”! Beim Hauptwettbewerb reichte es für das wimmernde Betroffenheitsgesusel, das selbst zuhause niemand käuflich zu erwerben gedachte, lediglich für Rang 17. Dabei kam der pausbäckigen Interpretin in Dublin noch zupass, dass sie dort so stark nuschelte, dass man den Quark nicht verstand. Petra Frey besuchte dann erst mal eine Hotelfachschule, wo sie lernte, ihre Serviertechnik deutlich zu verbessern, blieb aber dem Schlager weiterhin treu. 2003 sollte sie es beim dann runderneuerten österreichischen Vorentscheid Song.null.drei mit einem Elaborat aus dem Hause Siegel noch einmal versuchen, glücklicherweise jedoch gegen Alf Poier den Kürzeren ziehen.
“Denk nicht lange nach” könnte ihr Lebensmotto sein: die leider längst unter die Schwurbler:innen gefallene Nena. Ihr Hit von 1984 verbreitete eine ähnlich inhaltsleere Endzeitstimmung wie Petra Freys Grand-Prix-Werk, tat aber viel weniger weh (Repertoirebeispiel).
Vorentscheid AT 1994
Ein Lied für Dublin. Dienstag, 8. März 1994, aus dem Nachtwerk in Wien. Acht Teilnehmer:innen. Moderation: Alfons Haider. Neun regionale Jurys.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Three Girl Madhouse | Solitaire | 49 | 02 |
02 | Simone Stelzer | Radio | 32 | 04 |
03 | Petra Frey | Für den Frieden der Welt | 57 | 01 |
04 | Carl Peyer | Du und i | 33 | 03 |
05 | Jane Palmer | Flieg heute Nacht | 20 | 05 |
06 | Etta Scollo | Amico Pierre | 08 | 07 |
07 | Alex | Highway | 13 | 06 |
08 | Marc Berry | Swingin’ out | 04 | 08 |
Letzte Aktualisierung: 12.10.2021