Con­cours Euro­vi­si­on 2002: Da wo der Schnee ganz lei­se kracht

Mit einen auf­ge­frisch­ten Kon­zept ver­such­te es das Schwei­zer Fern­se­hen nach den Euro­vi­si­ons­plei­ten der letz­ten Jah­re beim hei­mi­schen Vor­ent­scheid, der lus­ti­ger­wei­se am 2.2.2002 in einer etwas außer­halb des Tes­si­ner 40.000-Einwohner-Städtchens Bel­lin­zo­na gele­ge­nen Dis­ko­thek statt­fand und den Titel Euro­song 2002 trug. Dem ent­spre­chen­den Trend des gro­ßen Wett­be­werbs fol­gend, bei dem in die­ser gol­de­nen Epo­che allei­ne das Publi­kum das Sagen hat­te, setz­te man auch hier auf rei­nes Tele­vo­ting – mit einem Super­fi­na­le, also einer zwei­ten Abstim­mungs­run­de unter den drei Best­plat­zier­ten. Was viel­leicht ein biss­chen über­zo­gen erschei­nen mag bei einem aus ledig­lich acht Bei­trä­gen bestehen­den Ange­bot. Des­sen Qua­li­tät sich aller­dings nur ein­ge­schränkt beur­tei­len lässt, da die meis­ten Titel, wenn über­haupt, nur als Audio­files vor­lie­gen. So zum Bei­spiel beim spa­nisch­spra­chi­gen Pop­ban­ger ‘Fue­go Lati­no’ von Aman­da Blat­ter, der zwar vom Tem­po her mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se fuhr, aber zumin­dest in der Stu­dio­fas­sung mit ganz pas­sa­blen Vocals über­zeu­gen konn­te. Ob das bei der für sol­cher­lei Bei­trä­ge natür­lich abso­lut zwin­gend erfor­der­li­chen Hoch­leis­tungs­tanz­cho­reo­gra­fie live indes eben­falls so klang, muss hin­ge­gen offen bleiben.

Die Play­list mit den ver­füg­ba­ren Titeln, größ­ten­teils in der Audiofassung.

Ähn­lich ver­hält es sich bei der musi­ka­lisch offen­hör­bar sehr stark von Brit­ney Spears beein­fluss­ten (und damit natür­lich zumin­dest auf Ton­trä­ger sehr guten) Pop­num­mer ‘My litt­le fre­aky Boy’ einer gewis­sen Tani­sha. Die heißt eigent­lich Tan­ja Amann und erlang­te anno 2000 eine gewis­se Bekannt­heit als Teil­neh­me­rin der aller­ers­ten eid­ge­nös­si­schen Staf­fel des damals gesell­schaft­lich noch hoch umstrit­te­nen Trash-TV-For­ma­tes Big Brot­her. Den von ihr bereits nach kur­zem Auf­ent­halt vor­zei­tig wie­der ver­las­se­nen Tri­via­li­täts­con­tai­ner such­te sie frei­lich vor allem auf, um ihre Erst­lings­sin­gle ‘I can live wit­hout your Love’ zu pro­mo­ten. Was funk­tio­nier­te: Platz 16 in den hel­ve­ti­schen Sin­gle­charts. Der frag­wür­di­ge Ruhm hielt aller­dings, wie auch ihr deut­scher Kol­le­ge Zlat­ko bit­ter erfah­ren soll­te, nur kurz: beim Euro­song 2002 reich­te es ledig­lich für Rang 4 – und schwupps war die Pop­kar­rie­re schon wie­der vor­über. Heu­te ver­wirk­licht sich Frau Amann als Kunst­ma­le­rin und will mit der übel beleu­mun­de­ten Show nichts mehr zu tun haben. In den Recall schaff­te es hin­ge­gen das 1999 gegrün­de­te Aca­pel­la-Sex­tett a‑Live, das im Lau­fe sei­nes über zwan­zig­jäh­ri­gen Bestehens nicht nur mehr­fach die Beset­zung wech­sel­te, son­dern gar noch metasta­sier­te und in Deutsch­land gleich drei gleich­na­mi­ge Able­ger bildete.

Feed that Girl a Bana­na: die Nina mit dem wolfs­gro­ßen Mund.

In das Gold­fi­na­le gelang­te auch die einer Schwei­zer Zir­kus­ar­tis­ten­fa­mi­lie ent­stam­men­de Nina Dimi­t­ri mit einer auf sehr apar­te Wei­se bizar­ren Num­mer aus der Feder der ehe­ma­li­gen ESC-Reprä­sen­tan­tin Véro­ni­que Mül­ler. Sehn­süch­tig-schwel­ge­ri­sche Akkor­de­on­klän­ge, flot­tes Tem­po, Ninas schnar­ren­de Reib­ei­sen­stim­me und eigen­wil­li­ge Sil­ben­be­to­nung, abrup­tes Hin- und Her­sprin­gen zwi­schen deut­schen und ita­lie­ni­schen Non­sen­s­tex­ten sowie eine von vier Tän­ze­rin­nen zele­brier­te, ast­rei­ne Euro­vi­si­ons­cho­reo­gra­fie, an der sich die Sän­ge­rin eben­falls stel­len­wei­se betei­lig­te, bevor die vier Frau­en sie dezent von der Büh­ne schubs­ten, bil­de­ten bei ‘Die Engel tan­zen um Mit­ter­nacht per te’ (doch, wirk­lich!) eine herr­lich trip­pi­ge Mélan­ge, die in der Vor­ent­schei­dungs­ge­schich­te ihres Glei­chen sucht. Ein abso­lu­ter Fest­schmaus, da capo! Mit einem kla­ren, wenn­gleich nicht über­wäl­ti­gen­den Abstand vor Frau Dimi­t­ri und a‑Live soll­te jedoch ein sehr klas­si­sches Ange­bot sie­gen, mit dem die ver­mut­lich auch in der Schweiz über­wie­gend lebens­äl­te­ren, geschmack­lich kon­ser­va­ti­ven Fernsehzuschauer:innen alle Moder­ni­täts­be­stre­bun­gen ihres Hei­mat­sen­ders negier­ten: mit der Grand-Prix-Bau­kas­ten­bal­la­de ‘Dans le Jar­din de mon Âme’ votier­ten sie für den Bei­trag, der musi­ka­lisch den bei­den hel­ve­ti­schen Sie­ger­ti­teln von 1988 und 1956 am nächs­ten kam.

Kein biss­chen fri­scher als Lys Assi­as ‘Refrain’: Fran­ci­nes Gar­ten der Träume.

Die eigent­lich in der volks­tüm­li­chen Schla­ger­höl­le behei­ma­te­te Fran­ci­ne Jor­di (bür­ger­lich: Fran­ci­ne Leh­mann) trug das alt­mo­di­sche fran­ko­phi­le Chan­son sowohl hier in der Tes­si­ner Vor­stadt­dis­co als auch spä­ter in der Saku Suur­hall zu Tal­lin mit sehr viel Charme und fes­ter, wenn­gleich stel­len­wei­se leicht ans Quä­ken­de gren­zen­der Stim­me vor. Anders als ihre dort sieg­rei­che let­ti­sche Kol­le­gin Marie N, die mit ihrer Victor/Victoria-Pas­ti­che inhalt­lich nicht unbe­dingt etwas Fri­sche­res anzu­bie­ten hat­te, ver­füg­te Fran­ci­ne aber über kein Trick­kleid und zog so den Kür­ze­ren: mit dem dritt­letz­ten Platz bescher­te sie den Eidgenoss:innen ein wei­te­res unfrei­wil­li­ges Aus­set­zen im fol­gen­den Jahr. Dies­mal ver­zich­te­te das Schwei­zer Fern­se­hen auf ein Aus­wei­chen in die deut­sche Vor­ent­schei­dung. Für Fran­ci­ne reich­te es den­noch zu einem Hit sowohl in den hei­mat­li­chen Sin­gle-Charts (#49) als auch mit dem von der deut­schen Ver­si­on ihres Bei­trags ange­führ­ten Schla­ger­al­bum ‘Im Gar­ten mei­ner See­le’ (#28 in der Schweiz sowie #65 in Öster­reich). Neben dem Gesang mode­rier­te Jor­di spä­ter noch TV-Galas wie Die größ­ten Schwei­zer Hits (2006), den Grand Prix der Volks­mu­sik (2008) und die aller­dings nach nur einer Aus­ga­be mit ihr wie­der ein­ge­stell­te Stadl­show (2015), den glück­lo­sen Nach­fol­ger des einst­mals ein­schalt­quo­ten­star­ken ARD-Musi­kan­ten­stadls.

Wenn Fran­ci­nes See­len­gar­ten schon so spie­ßig aus­schaut, wie schlimm muss es dann erst drin­nen sein?

Vor­ent­scheid CH 2002

Euro­song. Sams­tag, 2. Febru­ar 2002, aus dem Gara­ge Music Club in Bel­lin­zo­na. Acht Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Mile­na Mar­tel­li. Tele­vo­ting mit Superfinale.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­teSuperPlatz
01MatìVia dal buio01,6%08
02Fran­ci­ne JordiDans le Jar­din de mon Âmen.b.41,1%01
03Marc Neff + FriendsIt’s a per­fect Day07,5%05
04Aman­da BlatterFue­go Latino03,7%06
05Lucia­no de SoriaMia vita01,9%07
06Tani­sha AmannMy litt­le fre­aky Boy10,7%04
07A‑LiveCosan.b.35,6%02
08Nina Dimi­t­riDie Engel tan­zen um Mit­ter­nacht per ten.b.23,3%03

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 29.05.2023

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