Es war der epische, in aller Ewigkeit immer wieder neu ausgefochtene Zweikampf, der sich beim österreichischen Eurovisionsvorentscheid 2003 abspielte: das Gute gegen das Böse, Tradition gegen Fortschritt, Augenzwinkern gegen Ernsthaftigkeit oder auch Ralph Siegel gegen den Rest der Welt. Sicher, rein formell nahmen, wie bereits im Vorjahr, zehn Konkurrent:innen teil am von DJ Ötzi moderierten song.null.drei, darunter die Klagenfurter Musicalsängerin Sabine Leibersch, die ehemalige Leichtathletin und jüngste Miss Austria Patricia Kaiser, die professionell im Ballett und Jazzgesang ausgebildete Aalysha sowie der als Moderator bei Veranstaltungen für Kinder tätige Roman Kostrouch. Sie alle (und ein paar weitere, noch unbekanntere Acts) steuerten solide gemachte, schmerzfrei anhörbare und völlig austauschbare Songs bei, an die sich heute niemand mehr erinnert und die in der Wertung keine Rolle spielten. Noch nicht einmal durch die vom ORF im Rahmen des Televotings absurderweise eingeführte Unterscheidung in die Stimmen der Männer und die der Frauen (die Geschlechteroption “divers” fehlte): die allenfalls marginalen Präferenzunterschiede sorgten nach dem Zusammenrechnen ausschließlich auf den unteren Rängen, wo es halt keinen interessierte, für mehrere Gleichstände.
Let’s get happy and let’s be gay: neben Lou Hoffner versorgte Onkel Ralph auch Petra Frey mit einem Stampfbeat-Schlager.
Doch die Musik spielte auf den oberen Plätzen, und das dortige Duell sorgte für ebenso böses Blut zwischen den Lordsiegelbewahrer:innen der ruhmreichen Grand-Prix-Tradition und den Ist-doch-alles-nur-Spaß-Trashfreund:innen wie weiland der Durchmarsch von Guildo Horn beim deutschen Vorentscheid anno 1998. Den Kürzeren zogen dankenswerterweise auch hier die Konservativen: ihre Schutzheilige, die Schlagerette und einstmalige Eurovisionsrepräsentantin Petra Frey trat mit einem Produkt aus dem Hause Siegel an. Nun gehört das von einem geradezu halsbrecherisch rapiden Brachialcomputerbeatbett zusammengehaltene und von schäbigen Synthesizer-Fanfaren akzentuierte ‘This Night should never end’ tatsächlich zu den besseren kreativen Ergüssen des Münchener Fließbandkomponisten. Doch wie bei allen seinen Liedern roch man auch hier seinen aus dem vergangenen Jahrtausend stammenden Absender bereits hundert Meter gegen den Wind. Ralphs Pech: anders als beim deutschen Countdown Grand Prix gab es in Wien einen würdigen Konkurrenten in Person des Comedians, Malers und Liedermachers Alf Poier. Den Steirer kannte man auch im Nachbarland durch seine legendären Kurzauftritte im Quatsch Comedy Club auf ProSieben, wo er sich atemlos durch absurde Kunstaktionen und Kalauer zappelte.
Dadaistisch-mundartliche Texte und eine bewusst alberne Bühnenshow: Alf Poier nahm den ESC auf eine subtil-spaßige Art auf die Schippe.
Sein kinderliedhaftes ‘Weil der Mensch zählt’ knüpfte indes ebenfalls an eine ruhmreiche österreichische Grand-Prix-Tradition an, nämlich die der mit den Mitteln der Parodie vorgebrachten Kritik an den Zuständen. Richtete die sich bei ‘Boom Boom Boomerang’ von den Schmetterlingen noch gegen das Musikbusiness als solches, so kann, um aus einem Kommentar im Musikforum swisscharts zu zitieren, “das Holy-Diver-Riff nach den weichen Pratzerln” als Symbol für den “Antagonismus zwischen unserer angeblichen Tierliebe und unserem tatsächlich extrem destruktiven Verhalten gegenüber der Umwelt” gelesen werden. Bei seinem genialen Auftritt in Riga stellte Alf aus Protest gegen das Halbplayback anstelle einer Band mit ausgestöpselten Instrumenten Pappfiguren auf, denen er Tierköpfe überstülpte. Auch die bewusst schiefen Gesängen seiner beiden Backings und seine Rockerposen transportierten den ironischen Unterton seiner Performance. Und obgleich die humoraversen Teile des Publikums sich verarscht fühlten: Rang 7 in den heimischen Charts und ein hervorragender sechster Platz beim ESC – das beste Ergebnis seit langer Zeit – gaben ihm Recht.
Die Playlist mit den Audioversionen aller zehn Vorentscheidungsbeiträge.
Um so bedauerlicher, dass sich der herrlich verschrobene Künstler, den wir noch zwei Mal beim heimischen Vorentscheid wiedersehen sollten, seither zum homo- und islamophoben Spinner wandelte. Doch vor altersbedingter Verwirrtheit sind selbst die Besten leider nicht gefeit.
Vorentscheid AT 2003
Song.Null.Drei. Freitag, 14. März 2003, aus den ORF-Studios in Wien. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Gabriela Dorschner, Gerry Friedle. Tele- und SMS-Voting.# | Interpreten | Songtitel | Televote | Platz |
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01 | Substitute | Girls of Summer | 03 | 10 |
02 | Kostrouch | Frei sein | 04 | 09 |
03 | Xtraordinary | Seperate Ways | 09 | 06 |
04 | Eyeland | We will survive | 05 | 08 |
05 | Patricia Kaiser | Don’t wanna be | 09 | 06 |
06 | Alf Poier | Weil der Mensch zählt | 20 | 01 |
07 | Petra Frey | This Night should never end | 18 | 02 |
08 | J.O.B. | All Fingers and Thumbs | 16 | 03 |
09 | Sabine Neibersch | Dreaming of you | 13 | 04 |
10 | Aalysha | Daydream | 13 | 04 |
Letzte Aktualisierung: 13.10.2021