Ger­ma­ny 12 Points 2004: Als hät­te man uns die Son­ne genomm’

Max Mutzke, Stefan Raab, DE 2004
Der Ver­schreck­te

Sechs Jah­re tob­te der unglei­che Macht­kampf zwi­schen dem Grand-Prix-Grand­sei­gneur Ralph Sie­gel und dem lus­ti­gen Metz­gers­ge­sell Ste­fan Raab um die kul­tu­rel­le Hoheit über die deut­sche Euro­vi­si­ons­vor­ent­schei­dung. Mit dem von Raab unter dem wenig sub­ti­len Pseud­onym Alf Igel kom­po­nier­ten ‘Guil­do hat Euch lieb’ fing 1998 alles an: gepusht von einer mas­si­ven Medi­en­kam­pa­gne der Bild und auf der Schaum­kro­ne der dama­li­gen, iro­ni­schen Schla­ger­spaß­wel­le segelnd, drück­te der Ret­ter des Grand Prix im Tele­vo­ting mit über 60% der Stim­men die drei (!) Kon­kur­renz­bei­trä­ge des Alt­meis­ters an die Wand. 1999 kam Sie­gel nur durch die unglück­li­che (und ein wenig fischi­ge) Dis­qua­li­fi­ka­ti­on der eigent­li­chen Sie­ge­rin Corin­na May zum Zug, um ein Jahr spä­ter die Sta­fet­te wie­der an den Köl­ner Medi­enz­am­pa­no zurück­ge­ben zu müs­sen. Bei den bei­den nach­fol­gen­den Count­down Grand Prix-Aus­ga­ben setz­te Raab aus und Sie­gel sich gegen ein wenig über­zeu­gen­des Konkurrent:innenfeld durch, mit eben­falls wenig über­zeu­gen­den Ergeb­nis­sen im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb. In die­sem Jahr nun unter­ließ der NDR bereits im Vor­feld kei­ne noch so gro­ße Anstren­gung, um Sie­gel aus dem Feld der Teil­neh­men­den her­aus­zu­hal­ten. Einen “Gezei­ten­wech­sel” woll­te man ein­lei­ten! Was gelang, wenn auch anders als gedacht…

Sarah Kutt­ner brach­te den nöti­gen rotz­frech-iro­ni­schen Ton zum deut­schen Vor­ent­scheid 2004 (gan­ze Show).

Dazu arbei­te­te der öffent­lich-recht­li­che Sen­der mit der pri­va­ten Kon­kur­renz der sei­ner­zeit ihren zehn­ten Geburts­tag fei­ern­den, heu­te aller­dings schon längst wie­der ein­ge­stell­ten Musik­vi­deo-Sta­ti­on Viva zusam­men. Bewer­bun­gen nahm man in Ham­burg nur von Künstler:innen ent­ge­gen, die bereits Chart-Hits vor­wei­sen konn­ten und (!) deren Clips auf dem sich aus­schließ­lich an eine jun­ge Ziel­grup­pe rich­ten­den Musik­ka­nal lie­fen. Das sorg­te zum einen dafür, dass nun end­lich die lan­ge ersehn­ten, wasch­ech­ten Pop­stars zum Vor­ent­scheid kamen, funk­tio­nier­te ande­rer­seits aber auch als Sie­gel­blo­cka­de. Denn Songs vom Schla­ge ‘I can’t live wit­hout Music’ wären beim Köl­ner Jugend­sen­der prin­zi­pi­ell nicht über die Anten­ne gegan­gen. Die neue Marsch­rich­tung unter­strich der NDR zudem mit dem in der Wer­tungs­pau­se von den fan­tas­ti­schen Ten Tenors prä­sen­tier­ten ‘Tri­bu­te to Ralph Sie­gel’, einem sehr unter­halt­sa­men Pot­pour­ri sei­ner bis­he­ri­gen Grand-Prix-Lie­der und gro­ßen Hits. Eine musi­ka­li­sche Ver­beu­gung also vor dem (im Publi­kum sit­zen­den und etwas gequält drein­schau­en­den) Mün­che­ner Alt­meis­ter und sei­nem wirk­lich beein­dru­cken­den Bei­trag zum deut­schen Schla­ger­schaf­fen, die aber natür­lich gleich­zei­tig einen unmiss­ver­ständ­li­chen Schluss­strich set­zen soll­te. Denn einen sol­chen ruhm­rei­chen Preis für das Lebens­werk ver­leiht man übli­cher­wei­se nie­man­dem, der aktu­ell auf dem Zenit sei­ner Kar­rie­re steht, son­dern bekannt­lich eher Per­so­nen, die ent­we­der gera­de das Zeit­li­che geseg­net haben oder kurz davor ste­hen. Mit ande­ren Wor­ten also: sol­chen, deren bes­te Zeit erkenn­bar hin­ter ihnen liegt.

Nur geil: ‘Dann hei­rat’ doch Dein Büro’ im Ramm­stein-Remix (bei 2:40 Min).

Nun, wo Sie­gel drau­ßen und die natio­na­le Vor­run­de wie­der hip war, mel­de­te sich Raab zurück. Er lud Jür­gen Mei­er-Beer weni­ge Wochen vor dem Vor­ent­scheid in sei­ne werk­täg­lich aus­ge­strahl­te Pro-Sie­ben-Show TV Total ein und luchs­te ihm einen zusätz­li­chen Start­platz per Wild­card ab. Unter der Bedin­gung, dass es Raab gelän­ge, den von ihm geschrie­be­nen Song noch vor der hoff­nungs­froh in Ger­ma­ny 12 Points! (G12P) umbe­nann­ten ARD-Sen­dung in den deut­schen Top 40 zu plat­zie­ren. Aus dem Nichts orga­ni­sier­te der stets an neu­en Her­aus­for­de­run­gen inter­es­sier­te, mit TV Total schon längst nicht mehr aus­ge­las­te­te Pro-Sie­ben-Zam­pa­no die Cas­ting­show SSDSGPS (Ste­fan sucht den Super-Grand-Prix-Star, spä­te­res Vor­bild für Unser Star für Oslo). Und fand mit Maxi­mi­li­an Nepo­muk (Max) Mutz­ke den idea­len Inter­pre­ten für die erdi­ge, wenn auch ein wenig unspek­ta­ku­lä­re Soul­num­mer ‘Can’t wait until tonight’. Die ver­ein­bar­te Ein­gangs­hür­de über­sprang er locker: die Sin­gle stieg nach Ver­öf­fent­li­chung direkt auf Platz Eins ein, wo sie sich drei Wochen lang hielt. Bei G12P kas­sier­te Max schon in der ers­ten Abstim­mungs­run­de 66,2% der Anru­fe. Und damit noch mehr als wei­land Guil­do oder gar Raab selbst. Damit degra­dier­te der völ­li­ge New­co­mer Mutz­ke die neben ihm ange­tre­te­nen, eta­blier­ten Stars des deut­schen Pop­busi­ness zu blo­ßen Statist:innen. Und lie­fer­te so ein erschre­ckend ein­dring­li­ches Bild über die exis­ten­zi­el­le Kri­se, in der sich die Musik­in­dus­trie befand und noch immer befindet.

Anti-Glam, den­noch sexy: der Max.

Dass Max’ Vor­sprung im Super­fi­na­le, als außer ihm nur noch die Tech­no-Recken von Scoo­ter zur Wahl stan­den, auf volks­kam­mer­na­he 92% anwuchs, mag wahl­wei­se für die Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit des Raab’schen Titels spre­chen, dem es gelang, die Fans aller acht ande­ren Künstler:innen hin­ter sich zu ver­sam­meln. Oder aber es dient als Beweis dafür, wie wenig mehr­heits­fä­hig die eigent­lich urdeut­sche, bei uns erfun­de­ne Musik­rich­tung Kir­mes­tech­no hier­zu­lan­de ist. Denn zwei­fels­oh­ne wäre ‘Jig­ga Jig­ga’ der inter­na­tio­nal erfolg­ver­spre­chen­de­re Bei­trag gewe­sen. Nicht nur, weil Scoo­ter im euro­päi­schen Aus­land über deut­lich mehr Fans ver­fü­gen als zu Hau­se und weil ihre Musik außer­halb der Lan­des­gren­zen als genau­so pro­to­ty­pisch deutsch wahr­ge­nom­men wird wie die von Kraft­werk, Ramm­stein, Modern Tal­king und Tokio Hotel. Son­dern auch, weil der bol­lern­de Song und die pyro­tech­nik­ge­stütz­te Büh­nen­show deut­lich mehr Auf­se­hen erregt hät­ten. Doch da kön­nen die Fern­seh­ma­cher pre­di­gen, so viel sie wol­len: die deut­schen TV-Zuschauer:innen wäh­len rein nach ihrem per­sön­li­chen Geschmack. Das tue ich natür­lich auch und dar­an gibt es nichts aus­zu­set­zen – solan­ge man nicht gleich­zei­tig erwar­tet, zu gewin­nen. Lei­der aber glau­ben die meis­ten Deut­schen, die rest­li­che Welt müs­se den eige­nen, kata­stro­pha­len Musik­ge­schmack unein­ge­schränkt tei­len und zetern “Schie­bung”, wenn dem nicht so ist.

Da seng­te es einem im Zuschau­er­raum fast die Rübe weg: Scoo­ter und ihr Pyrogeballer.

Zum ers­ten Mal war ich in die­sem Jahr selbst vor Ort in der Ber­li­ner Trep­tow-Are­na. Über den Euro­vi­si­on Club Ger­ma­ny (eine Fan­club­mit­glied­schaft lohnt sich wirk­lich!) bekam ich eine Kar­te im Innen­block, nur vier Rei­hen von der Büh­ne ent­fernt: vie­len Dank! Die Atmo­sphä­re in der Hal­le war ein­fach toll, die Stim­mung groß­ar­tig und die Fans agier­ten fair: im Gegen­satz zu vor­an­ge­gan­ge­nen Jahr­gän­gen gab es selbst bei den umstrit­te­ne­ren Bei­trä­gen kaum Buh­ru­fe, was auch die auf­tre­ten­den Künstler:innen posi­tiv ver­merk­ten. Nicht ganz so hun­dert­pro­zen­tig stimm­te dage­gen die Che­mie zwi­schen den bei­den Gastgeber:innen Jörg Pila­wa, sei­ner­zeit die All­zweck­waf­fe der ARD, der vom Vor­abend­quiz bis zur gro­ßen Sams­tag­abend­show alles weg­mo­de­rie­ren durf­te, was bei Drei nicht auf den Bäu­men war, und Sarah “Ach Du Schei­ße, Scoo­ter!” Kutt­ner, der Vor­zei­ge­frau von Viva. Was sich durch die unheil­vol­le Ten­denz der in einem Abba-Ensem­ble hin­rei­ßend geklei­de­ten und wie üblich char­mant-rotz­fre­chen TV-Hel­din zu über­lan­gen Anmo­de­ra­tio­nen noch ver­stärk­te. Den­noch: Sarahs fach­kom­pe­ten­te Respekt­lo­sig­keit war genau das, was der Wett­be­werb braucht! Die dürf­te das ger­ne mal wie­der machen.

Schön lang­wei­lig: Patrick Nuo eröff­ne­te den Rei­gen (Play­list mit allen Beiträgen).

Gut, dass der Bei­trag des Schwei­zers Patrick Nuo gleich zu Anfang kam, da hat­ten wir es wenigs­tens hin­ter uns. Mit Abstand der lang­wei­ligs­te Song des Abends, lieb­los vor­ge­tra­gen zudem. Gutes Aus­se­hen ist halt nicht alles! Der wild­ro­man­ti­sche Bezie­hungs­schla­ger ‘Hung­ri­ges Herz’ hin­ge­gen riss mich in sei­ner hem­mungs­lo­sen Sen­ti­men­ta­li­tät so sehr vom Hocker, dass ich gar nicht mit­be­kam, wie schlecht Mie­ze Katz, die Front­frau der kon­tro­ver­sen Ber­li­ner Neo-NDW-For­ma­ti­on Mia., (erkäl­tungs­be­dingt) sang. Ihr unmög­lich lei­chen­blas­ser Fum­mel ent­lock­te mei­nem liebs­ten Fan­club­kol­le­gen Dirk den Kom­men­tar: “Als wäre sie eben aus der Fleisch­the­ke ent­flo­hen”. Nicht nur die mit Frau Katz zur Schu­le gegan­ge­ne Frau Kutt­ner dürf­te ent­täuscht gewe­sen sein, dass sie es nicht wenigs­tens unter die ers­ten Zwei schaff­te! Einen wei­te­ren Platz in mei­nem Her­zen sicher­te sich die aus dem Frank­fur­ter 3p-Stall stam­men­de Rap­pe­rin Sabri­na Set­lur. Die reprä­sen­tier­te gera­de mit ihrer schnod­de­ri­gen Art und ihrer manch­mal vul­gä­ren Aus­drucks­wei­se aufs Authen­tischs­te mei­ne Hei­mat­stadt. Ihre als Bene­fiz­num­mer kon­zi­pier­te Bal­la­de ’Lie­be’ berühr­te mich zutiefst. Sabs melan­cho­li­scher Sprech­ge­sang, der glaub­haft allen Schmerz und Kum­mer der Welt trans­por­tier­te, kon­tras­tier­te dabei per­fekt zum zucker­wat­te­s­anf­ten Refrain von Fran­zis­ka und Cas­san­dra Steen von Glas­haus, deren Stim­me so unglaub­lich süß und stark war, dass sie mich bei­na­he zu einem Gläu­bi­gen mach­te: so viel Schön­heit ist nicht von die­ser Welt!

Wun­der­bar roman­ti­scher Schla­ger­kitsch im rotz­fre­chen Gewand: die fabel­haf­ten Mia.

Einen streng­ge­nom­men sehr klas­si­schen Pop­schla­ger, vor­ge­tanzt und, na ja: gesun­gen im pseu­do­ju­ve­ni­len Stil, prä­sen­tier­ten die Pop­stars-Cas­ting­bu­ben von Über­grund, die ich auf­grund ihrer (kurz­le­bi­gen) Medi­en­prä­senz im Vor­feld neben Max für das Super­fi­na­le tipp­te. Viel­leicht hät­ten sich die Jungs aber doch etwas mehr auf den Gesang und etwas weni­ger auf die Cho­reo­gra­fie kon­zen­trie­ren sol­len. Denn so geriet ‘Der letz­te Stern’ etwas kurz­at­mig. Trotz­dem: ein schö­nes, süf­fi­ges Lied! Put­zig das naï­ve Erstau­nen Jörg Pila­was dar­über, dass sich neben puber­tie­ren­den Mädels auch zahl­rei­che Jungs im Over­ground-Fan­block fan­den: nicht umsonst inse­rier­te die Plat­ten­fir­ma in den März­aus­ga­ben der deut­schen Gay-Maga­zi­ne und warb dort um Unter­stüt­zung für die Vier! Tina Frank hin­ge­gen hät­te man sich schen­ken kön­nen. “Ihr Pro­blem: kei­ne Sau kennt sie” mein­te Sarah Kutt­ner etwas fies, aber zutref­fend. War­um Frau Frank, die zuvor bei eini­gen Oli-P-Pro­duk­tio­nen mit­ge­wirkt hat­te, das aus­ge­rech­net mit einem schwa­chen Schla­ger­lein und einem Büh­nen­out­fit, das sie wie eine sin­gen­de Leber­wurst aus­se­hen ließ, zu ändern trach­te­te, bleibt ein Rät­sel. Wie auch die Tat­sa­che, dass sie mit ihren Titel­lied zum Der­rick-Zei­chen­trick­film über­haupt star­ten durf­te, obwohl sie weder einen Top-40-Hit noch eine Rota­ti­on auf Viva vor­wei­sen konn­te und der Kri­mi­kom­mis­sar fürs ZDF ermit­tel­te. Aber die zustän­di­ge NDR-Redak­ti­on wird schon wis­sen, wes­we­gen sie eine Aus­nah­me mach­te (*raschel*).

Ich schick ihr all mei­ne Lie­be: der groß­ar­ti­gen Sabs und ihrer Possee.

Als nicht unbe­dingt inter­na­tio­nal wett­be­werbs­fä­hi­gen Bei­trag, aber doch als Berei­che­rung des Star­ter­felds ließ sich WestBams ‘Dancing with the Rebels’ ver­bu­chen, der zudem mit dem “Poli­zei­bal­lett Babels­berg” (Zitat Pila­wa), also robust uni­for­mier­ten Tän­zern, als aus­ge­spro­chen ori­gi­nel­le und wun­der­bar sub­til bul­len­staat­kri­ti­sche Show-Idee über­zeug­te. Erfreu­lich zudem, mit dem als Maxi­mi­li­an Lenz gebo­re­nen deut­schen Tech­no-Weg­be­rei­ter (‘Cele­bra­ti­on Gene­ra­ti­on’) und dem US-ame­ri­ka­ni­schen Break­dance-Pio­nier Afri­ka Islam (einst Teil der legen­dä­ren Zulu Nati­on und der gran­dio­sen Rock­s­te­ady Crew) zwei gestan­de­ne Manns­bil­der auf einer Euro­vi­si­ons­büh­ne zu sehen, die sowohl mei­ner Alters- als auch mei­ner Gewichts­klas­se ent­spra­chen. WestBam wirk­te irgend­wie ein biss­chen ver­peilt, was aber kei­nes­falls auf Dro­gen­kon­sum zurück­zu­füh­ren sein konn­te. Schließ­lich hat­te sich erkenn­bar schon sein im Publi­kum ste­hen­der Fan­club­vor­sit­zen­der Ben­ja­min von Stuck­ro­set­te-Bür­zel sämt­li­ches in Ber­lin ver­füg­ba­res Koks rein­ge­zo­gen. Der gebür­ti­ge Karls­ru­her Laith Al-Deen, der mit ‘Alles an Dir’ gera­de erst einen Top-20-Hit hin­ge­legt hat­te, ver­füg­te über eine beacht­li­che Stim­me und eine sym­pa­thisch-tro­cke­ne Art. ‘Höher’, sein Wett­be­werbs­bei­trag, war nett. Mehr aber auch nicht.

Ich bin ein Teil von Dir, Dein Kava­lier” – wie Fif­ties ist das denn bitte?

Ener­vie­rend hin­ge­gen das 2005 wie­der auf­ge­lös­te Damen­duo Won­der­wall, deren größ­ter Hit ‘Just more’ aus dem Jah­re 2002 durch die ARD-Soap Mari­en­hof bekannt wur­de. Hät­ten die Zwei ihre ‘Silent Tears’ tat­säch­lich mal im stil­len Käm­mer­lein ver­gos­sen, anstatt uns an ihren Depres­sio­nen teil­ha­ben zu las­sen! So lös­te der tran­susi­ge Auf­tritt der Mädels am ehes­ten den Wunsch aus, sich die Puls­adern auf­zu­schnei­den. Alles in allem aber durf­te man hoch zufrie­den sein mit die­ser Vor­ent­schei­dung, in der sich mehr musi­ka­li­sche Qua­li­tät ver­sam­mel­te als in den letz­ten zehn Jahr­gän­gen von Ein Lied für (Name des Aus­tra­gungs­or­tes) zusam­men. Und mit dem Ergeb­nis! ‘Can’t wait until tonight’ ent­wi­ckel­te sich zum natio­na­len Ohr­wurm. Weni­ge Tage nach der Sen­dung hör­te ich es mei­nen Nach­barn auf dem Haus­flur pfei­fen: gibt es einen bes­se­ren Beweis? End­lich wie­der ein deut­scher Bei­trag, hin­ter dem man vor­be­halt­los ste­hen konn­te! Was die Deut­schen auch taten, zumin­dest die jün­ge­ren. Denn, die Quo­ten­ana­ly­se beleg­te es, die­se Vor­ent­schei­dung sahen vor allem von die 14- bis 49-jäh­ri­gen. Hier erreich­te Ger­ma­ny 12 Points! im Schnitt 28% Markt­an­teil. 1,42 Mil­lio­nen Anru­fe und SMS zähl­te der Sen­der in der ers­ten Abstim­mungs­run­de, mehr als dop­pelt so vie­le wie noch im Jahr davor. Und, ein ech­tes Novum: sämt­li­che (!) Vor­ent­schei­dungs­bei­trä­ge konn­ten sich in den hei­mi­schen Sin­gle­charts plat­zie­ren und damit ihre kom­mer­zi­el­le Rele­vanz unter Beweis stel­len. Schwe­di­sche Ver­hält­nis­se in Deutsch­land! Genau das, wovon ich immer geträumt hatte!

Poli­zis­ten wer­den jeden Tag und jeden Monat immer mehr: WestBam.

Der Preis des Erfol­ges: die Älte­ren fühl­ten sich von dem auf die charts­be­stim­men­den jugend­li­chen Konsument:innen aus­ge­rich­te­ten musi­ka­li­schen Ange­bot nicht ange­spro­chen und schal­te­ten ab bzw. erst gar nicht zu. Im Vor­feld bewarb sich auch der Chor­lei­ter Gott­hilf Fischer, Deutsch­lands popu­lärs­ter Perü­cken­trä­ger, öffent­lich um eine Teil­nah­me, durf­te aber selbst­ver­ständ­lich nicht mit­ma­chen. Nicht nur er, son­dern schein­bar die gan­ze Gene­ra­ti­on 60plus zeig­te sich zutiefst belei­digt. Mit ins­ge­samt 5,5 Mil­lio­nen Zuschauer:innen bzw. 17,8% Markt­an­teil in allen Alters­grup­pen lag die Sen­dung noch unter dem bereits als desas­trös gel­ten­den Vor­jahr. Zudem reagier­ten die Plat­ten­fir­men ange­pisst, weil ein vier Wochen vor der Show noch völ­lig Unbe­kann­ter ihre ange­sag­tes­ten Acts mit einem 92%-Ergebnis öffent­lich gede­mü­tigt hat­te. Die bit­te­re Krö­nung des Gan­zen: Ste­fan Raab war nach dem ach­ten Platz für sei­nen Schütz­ling in Istan­bul ein­ge­schnappt und kehr­te der Euro­vi­si­on für die nächs­ten fünf Jah­re den Rücken. Nicht, ohne vor­her dem Ers­ten noch im Wort­sin­ne die Show zu steh­len und fort­an auf Pro­Sie­ben eine natio­na­le Vari­an­te des Grand Prix, den Bun­des­vi­si­on Song Con­test, zu ver­an­stal­ten. Der zwar noch weni­ger Quo­te ein­fuhr, aber dem ARD-Vor­ent­scheid alle hip­pen, jun­gen Künstler:innen wegnahm.

Meet me @ the Love­pa­ra­de: Gott­hilf Fischer auf der Höhe der Zeit.

So schaff­te es die öffent­lich-recht­li­che Anstalt, das bes­te Vor­ent­schei­dungs­kon­zept, das sie jemals hat­te, durch nur eine ein­zi­ge Fehl­ent­schei­dung (die Wild­card) kom­plett zu ver­bren­nen und sich von einer Abhän­gig­keit (Sie­gel) in die nächs­te (Raab) zu bege­ben. Denn die nächs­ten fünf Jah­re soll­te man kopf- und kon­zept­los von einem Desas­ter ins nächs­te tau­meln. Und erst mit der bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­ti­on und voll­stän­di­gen Über­ga­be der Vor­ent­schei­dung an Ste­fan Raab im Jah­re 2010 wie­der ein Spit­zen­er­geb­nis ein­fah­ren. Na bra­vo, ARD!

Deut­sche Vor­ent­schei­dung 2004

Ger­ma­ny 12 Points! Frei­tag, 19. März 2004, aus der Trep­tow-Are­na in Ber­lin. Zehn Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Sarah Kutt­ner und Jörg Pila­wa. Tele­vo­ting mit Superfinale.
#Inter­pre­tenSong­ti­telTele­vo­teSuperPlatzCharts
01Patrick NuoUndo­nen.b.-n.b.30
02Mia.Hung­ri­ges Herzn.b.-n.b.24
03Sabri­na SetlurLie­ben.b.-n.b.52
04Over­groundDer letz­te Sternn.b.-0309
05Tina FrankIch schenk Dir mein Herzn.b.-n.b.98
06Max Mutz­keCan’t wait until tonight66,20%92,05%0101
07WestBam + Afri­ka IslamDancing with the Rebelsn.b.-n.b.69
08Laith Al-DeenHöhern.b.-n.b.81
09Won­der­wallSilent Tearsn.b.-0490
10Scoo­terJig­ga Jigga07,45%07,95%0210

Letz­te Aktua­li­sie­rung: 10.11.2022

< Count­down Grand Prix 2003

Deut­scher Vor­ent­scheid 2005 >

8 Comments

  • Bin zwar noch weit unter 60, aber Max bzw. sei­nen Song fand ich immer ätzend. Und nach sei­nem ESC-Auf­tritt habe ich auch von ihm nie wie­der was gehört. Da hät­te ich sogar Scoo­ter vor­ge­zo­gen, wenn schon die von mir favo­ri­sier­ten Mia und Westbam nicht gewählt wurden.

  • Was für ein Schwach­sinn, noch einen zwei­ten Wahl­durch­gang zu ver­an­stal­ten, wenn es doch nach dem ers­ten Durch­gang schon eine abso­lu­te Mehr­heit für einen Titel gab!Achja, ich ver­gaß – die Ein­nah­men aus den Anrufen!

  • […] hof­fen. Und wo wir gera­de bei der Schweiz sind: mit dem dort gebür­ti­gen Sän­ger Patrick Nuo, der 2004 an der deut­schen Euro­vi­si­ons­vor­ent­schei­dung teil­nahm, ist nun – nach Cos­ta Cord­a­lis (dt. […]

  • Jig­ga Jigga !!!

    Ich weiß noch, wie wir (mei­ne Eltern und ich) uns dumm und dap­pisch gevo­tet haben (für Max), in der Hoff­nung, irgend­wie Scoo­ter ver­hin­dern zu kön­nen. Wäre nicht nötig gewe­sen, wie man am Ende gese­hen hat.

    War es ein Feh­ler, Scoo­ter nicht nach Istan­bul hin­zu­schi­cken? Nein. Ob wir mit Tech­no wei­ter gekom­men wären als mit Max, bezweif­le ich. Mit Tech­no kön­nen die meis­ten nichts anfangen.

  • Max war in dem Fall die bes­te Wahl, aber irgend­wie schon scha­de dass Scoo­ter nie beim ESC waren. Wenn man sieht wie es aus deut­scher Sicht in den Jah­ren danach (vor allem direkt im Jahr danach mit Gra­cia) lief, ist es um so tra­gi­scher dass man Scoo­ter und ande­re erfolg­rei­che Künst­ler durch die Her­ein­nah­me von Raab ver­grault hat.

  • […] kom­pe­ten­te Hän­de und lasst den Raab das machen. Oder holt wenigs­tens wie­der Viva ins Boot, das hat 2004 doch her­vor­ra­gend geklappt. Dann hät­ten wir Fans end­lich wie­der einen Vor­ent­scheid, auf den wir […]

  • […] gera­de auch außer­halb Deutsch­lands haben und neben Modern Tal­king, den Scor­pi­ons, Scoo­ter (Vor­ent­scheid 2004) und Ramm­stein die ein­zi­gen deut­schen Pop­stars sind, die man auch jen­seits der Lan­des­gren­ze kennt. […]

  • Wild­cards sind irgend­wie immer der schwa­che Punkt beim deut­schen Vor­ent­scheid, oder? Nach Schul­tes 4. Platz den Sis­ters eine Wild­card gege­ben und prompt wie­der hin­ten. Und ohne die Wild­card Ann-Sophie hät­ten wir nach Küm­merts Rück­tritt Laing oder Ale­xa Feser geschickt. Und irgend­wie war auch Jen­drik durch sei­ne gro­ße Eigen­in­itia­ti­ve eine Art Wildcard…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert