Als eine Parade der gut gemeinten, aber schlecht exekutierten Konzepte sollte der österreichische Eurovisionsvorentscheid im Jahre Eins n.P. (nach Poier) in die Grand-Prix-Geschichte eingehen. Der Sieg des ebenso umstrittenen wie genialen Dada-Künstlers im Vorjahr befreite den Wettbewerb vorübergehend vom Ruch der hoffnungslos verstaubten Schlagerseligkeit, was sich in der musikalischen wie kulturellen Vielfältigkeit der zehn von den heimischen Plattenfirmen eingereichten song.null.vier-Beiträge manifestierte. So stellte gleich zum Auftakt Daniel Djuric mit dem Bukowina-Beat-Stampfer ‘Millionaire’ unter Beweis, warum Wien zu Recht das Label der westlichsten Stadt des Balkans trägt. Und obschon er seine Sache ganz gut machte, fehlte ihm zu einer besseren als der Mittelfeldplatzierung leider das für so eine Nummer notwendige Charisma eines Pasha Parfeny. Immerhin schnitt er besser ab als die aufwändig frisierte Elnette-Verwenderin Elnaz mit ihrer lahmen Baukastenballade ‘Hold me’ oder der glatzköpfige Mizan, der für seine Ode an seine Heimatstadt (und den diesjährigen Austragungsort der europäischen Festspiele), ‘My Istanbul’, die rote Laterne kassierte. Was weniger der orientalischen Verzierung seines öden Rockpopriemens geschuldet gewesen sein dürfte als dem nervositätsbedingten Totalausfall seiner Stimme.
Schmeißt die Fuffies durch den Club: Daniel Djuric. Leider erinnerte er im verschreckten Spiel mit seinen Tänzerinnen ein bisschen an den Briten Josh Dubovie (plus Playlist mit allen zehn Live-Auftritten von song.null.vier).
Zu den Pionierinnen der österreichischen Musikszene zählte zweifellos die in Kufstein geborene Sabine Kapfinger. Die gab einst als Alpine Sabine die Jodlerin bei den von Hubert von Goisern gegründeten Original Alpinkatzen, den wohl wichtigsten Vertretern der Neuen Volksmusik. Auch nach deren Auflösung Ende 1994 führte sie, nun solo unter dem Namen Zabine, den Crossoverstil aus volkstümlichen und modernen Klängen fort und vermählte meist Rap und Techno mit Jodlern. Ihr beim Vorentscheid ausgerechnet auf Englisch vorgetragener Midtempo-Popsong ‘Shine on’ erntete unter Fans allerdings eher Reaktionen wie “künstlerischer Absturz” und “Selbstdemontage”. Dieses Urteil ließe sich wohl auch auf das Siebzigerjahre-Schlagerduo Waterloo & Robinson übertragen, das sich nach einer Auszeit in den Achtzigern schon seit geraumer Zeit zum Zwecke des Geldverdienens wieder zusammengetan und im Jahre 2002 mit einer Eindeutschung des unerträglichen Bierzeltstampfers ‘Life is live’ die heimischen Hitparaden gestürmt hatte. Ihr ganz nach alter Väter Sitte mit dem Refrain eröffnender Beitrag ‘You can change the World’ klang nicht nur dem Titel nach wie ein eigens für den Grand Prix geschriebener, naiv-zynischer Weltenrettungsschlager, sondern führte uns auch musikalisch mehrere Äonen zurück.
Ja, das sieht mit Absicht aus wie Indianerfasching. Waterloo hatte irgendwann mal Zeit in einem Reservat der amerikanischen Ureinwohner:innen verbringen dürfen und war von ihrer Kultur beeindruckt. Das brachte er nun durch kulturelle Aneignung zum Ausdruck.
Erschwerend kam hinzu, dass der verpeilte Schnauzbartträger Robinson sich so weit weg vom Mikro postierte, dass man seine wenigen Parts nicht hörte. Dafür Waterloo um so mehr, der allerdings optisch auch nicht mehr der Allerfrischeste war, weswegen die Kamera lieber auf dem halbnackten Muskelberg hinter der Trommel ruhte (das ist keine Beschwerde!). Eine dreiste musikalische Grabschändung betrieb der Musicalsänger André Leherb: er trat mit einem von Falco komponierten Song an, der es aus gutem Grund nicht mehr auf das letzte Album des 1998 bei einem Verkehrsunfall verstorbenen Ausnahme-Popstars geschafft hatte. Leherb versuchte beim Auftritt so gut er konnte Österreichs Größten zu imitieren, beschmutzte damit aber doch nur dessen Andenken. Die Televoter:innen setzten mit dem vorletzten Platz das richtige Zeichen. Eine schöne Idee verfolgte der 2012 verstorbene Poet und Gründer der Wiener Schule für Dichtung, Christian Ide Hintze. Der Aktionskünstler, Ende der Siebziger von der Ostberliner Volkspolizei für das Verteilen von Flugzettelgedichten sowie zuhause für das Bekleben des Wiener Burgtheaters verhaftet, wollte mit dem Titel ‘Link Love’, in dem er zu einem relaxten Reggea-Beat die Worte “Ich liebe Dich” in alle möglichen Sprachen übersetzte, ein Zeichen gegen Rassismus und für gegenseitiges kulturelles Verständnis setzen.
Aargh! Keine Pantomimen, die sind des Teufels, wie wir bereits seit Katja Ebsteins ‘Theater’ wissen!
Als Konzept natürlich rundweg sympathisch, wie auch der ephebenhaft-homoerotische Gold-Amor als Teil seiner Bühnenshow; doch als Song vielleicht ein bisschen zu entspannt für einen Wettbewerb. Den gewann dann, immerhin mit einem guten Drittel der eingegangenen Anrufe, ausgerechnet die eigens für dieses Event aus der Retorte gehobene und optisch ein wenig an einen Stammtisch der Jungen Liberalen erinnernde Boyband Tie Break (nicht verwandt mit der gleichnamigen Formation aus dem deutschen Vorentscheid 1986). Und zwar mit einem sahnigen Klischeestanzenschlager, der klang wie eins zu eins aus der Merci-Werbung (bzw. von Yvonne Knatterfelds Nummer-Eins-Hit ‘Für Dich’ aus dem Jahr 2003) kopiert. Als schlechte Verlierer erwiesen sich die zweitplatzierten Waterloo & Robinson, die ernsthaft gegen den ORF klagten, weil sie beim Nachvermessen der Konkurrenztitel feststellten, dass ‘Du bist’ sich neun Sekunden mehr Zeit ließ als nach der Drei-Minuten-Regel der EBU erlaubt (die freilich bei nationalen Vorentscheiden nicht gilt). Vor Gericht blitzten sie ab, weil selbst eine Disqualifikation der Schokoladenbuben nicht zwingend das Nachrücken der beiden Schlagergruftis bedeutet hätte: im Regelwerk des song.null.vier stand dazu nichts und der ORF hielt sich mit einer Stellungnahme vornehm zurück.
Der Stern am Sternenzelt: beim Texten des Tie-Break-Schlagers hat wohl jemand zu tief in die Baileys-Flasche geschaut.
So durften die drei Knaben mit einer regelkonform gekürzten Version doch nach Istanbul fahren, wo sie bei Pressekonferenzen tatsächlich Süßwaren des Merci-Herstellers Storck verteilten, mit einer stümperhaft-tapsigen Choreografie jedoch mal wieder einen Platz ganz weit hinten (sowie Rang 44 in den Austria-Charts) holten. Der von Alf Poier angestoßene Imagewandel verpuffte damit sehr schnell.
Vorentscheid AT 2004
Song.Null.Vier. Freitag, 5. März 2004, aus den ORF-Studios in Wien. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Boris Uran, Oliver Auspitz. Televoting.# | Interpreten | Songtitel | Televote | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | Daniel Djuric | Millionaire | 20.394 | 06 |
02 | Zabine | Shine on | 13.840 | 07 |
03 | Mizan | My Istanbul | 02.776 | 10 |
04 | Rob Davis | Good to see you! | 22.389 | 05 |
05 | 5 in Love | Rich White Man | 26.490 | 04 |
06 | Waterloo & Robinson | You can change the World | 54.901 | 02 |
07 | André Leherb | Sexuality | 05.119 | 09 |
08 | Elnaz | Hold me | 08.974 | 08 |
09 | Ide Hintze | Link Love | 26.917 | 03 |
10 | Tie Break | Du bist | 82.203 | 01 |
Letzte Aktualisierung: 13.10.2021