Block­vo­ting: Stim­men­schum­me­lei? Im Ernst?

Eine neue bri­ti­sche Stu­die för­dert schier Unglaub­li­ches zuta­ge: beim Song Con­test soll es Block­vo­ting geben! Die Welt ist scho­ckiert! Der wie immer gut infor­mier­te Euro­vi­si­onblog berich­tet die­ser Tage von einer aktu­el­len Stu­die eines brit­schen Com­pu­ter­pro­gram­mie­rers: Derek Gathe­rer will mathe­ma­ti­sche Bewei­se für das Bestehen meh­re­rer Län­der­ko­ali­tio­nen zusam­men­ge­tra­gen haben, die sich in auf­fäl­li­ger Wei­se gegen­sei­tig Stim­men zuschö­ben. Ach was!


Wir lie­ben sie: die Voting­pan­nen beim Grand Prix

Wäh­rend er für den Zeit­raum zwi­schen 1975 und 2000 nur ein­zel­ne, fra­gi­le Ver­bin­dun­gen wie Deutsch­land-Isra­el (in den Jah­ren 1981–1985) gefun­den habe, weist Gathe­rer nach der Jahr­tau­send­wen­de die Exis­tenz meh­re­rer sta­bi­ler Abstim­m­al­li­an­zen nach, dar­un­ter der “Bal­kan­block” (der neben den exju­go­sla­wi­schen Staa­ten auch Grie­chen­land, Zypern, die Tür­kei und Rumä­ni­en umfasst), das “Wikin­ger­im­pe­ri­um” (die nor­di­schen und bal­ti­schen Län­der) und den “War­schau­er Pakt” (Russ­land, Polen und die Ukrai­ne). Durch Ver­gleichs­rech­nun­gen will der Bri­te her­aus­ge­fun­den haben, dass die Sie­ger in 2002, 2003 und 2005 durch Block­vo­ting bestimmt wor­den seien.

Nun ist die Exis­tenz so genann­ter Nach­bar­schafts­vo­ten ein Phä­no­men, das ein Blin­der sehen kann und über das bereits meh­re­re Arbei­ten geschrie­ben wur­den (die Gathe­rer auch teil­wei­se zitiert). Bes­tes Bei­spiel hier­für ist die klas­si­sche, poli­tisch-geschicht­lich moti­vier­te Alli­anz zwi­schen Grie­chen­land und Zypern. Um die in der Regel kul­tu­rell oder poli­tisch beding­te Punk­te­schie­be­rei zwi­schen Nach­bar­staa­ten zu erken­nen, braucht es kei­ne kom­pli­zier­ten Berech­nun­gen. Das Neue an der bri­ti­schen Stu­die ist die Behaup­tung, das Block­vo­ting sei in den letz­ten Jah­ren sieg­be­stim­mend gewe­sen. Was natür­lich völ­li­ger Schwach­sinn ist: kei­ne der genann­ten Län­der­al­li­an­zen bringt genü­gend Stim­men zusam­men, um einem sei­ner Mit­glie­der auch gegen das Abstim­mungs­ver­hal­ten ande­rer Staa­ten den Sieg zuzu­schan­zen. Jeder der drei inkri­mi­nier­ten Sie­ger­ti­tel erhielt jeweils auch mas­sig Stim­men aus “neu­tra­len” Län­dern. Übri­gens auch jedes­mal aus Deutsch­land, das fast immer dem spä­te­ren Gewin­ner­ti­tel sehr hohe Punkt­zah­len gibt. Man mag sich bei­spiels­wei­se über den Sieg von Marie N. mit dem mehr als schreck­li­chen ‘I wan­na’ zu Recht auf­re­gen. Bedenkt man jedoch, das die let­ti­sche Trö­te 12 Punk­te aus Ham­burg (und 8 Zäh­ler aus Lon­don) erhielt, erscheint es mir aber mehr als anma­ßend, ihren Sieg der Wikin­ger­con­nec­tion in die Schu­he schie­ben zu wol­len. Gegen Geschmacks­ver­ir­rung ist nun mal kein euro­päi­sches Volk immun!


Müss­te laut Gathe­rer 2006 sie­gen: Hari Mata Hari und ‘Lej­la’ (BA)

Zum ande­ren ist es natür­lich ein Leich­tes, auf mathe­ma­ti­schen Wege Beein­flus­sun­gen zu kon­stru­ie­ren, wenn – wie in die­ser Stu­die – will­kür­lich ein “Bal­kan­block” aus zehn Mit­glieds­staa­ten (also knapp einem Drit­tel der Abstim­mungs­be­rech­tig­ten) gebil­det wird. Dass die­ser dann eine rele­van­te Ein­fluss­grö­ße erreicht, kann sich ein Erst­kläss­ler aus­rech­nen! Wobei es ja unbe­strit­ten ist, dass Zypern (das weder geo­gra­fisch noch his­to­risch zum Bal­kan zählt) immer Höchst­punkt­zah­len an Grie­chen­land gibt. Und auch zwi­schen der Tür­kei und Bos­ni­en mag es einen signi­fi­kan­ten Punk­te­tausch geben. Die­se bei­den Ein­zel­phä­no­me­ne jedoch mit wei­te­ren, davon unab­hän­gi­gen Abstim­mungs­mus­tern zu einer rie­si­gen Stim­m­al­li­anz zusam­men zu rech­nen, hat mehr mit einer Ver­schwö­rungs­theo­rie als mit objek­ti­ver Mathe­ma­tik zu tun. Nun kön­nen die in letz­ter Zeit immer belieb­ter wer­den­den Ver­schwö­rungs­theo­rien recht unter­halt­sam sein, wie auch die wohl nie enden wer­den­den Dis­kus­sio­nen über das Abstim­mungs­ver­hal­ten ein­zel­ner Natio­nen. Und dar­um geht es ja beim Euro­vi­si­on Song Con­test letz­ten Endes: um Unter­hal­tung. Nicht mehr und nicht weni­ger. In die­sem Sin­ne: wei­ter­hin fro­hes Schieben!

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