Nanu? Versammelten sich im Line-up des albanischen Festivali i Këngës bis dato üblicherweise an die oder sogar mehr als 30 Wettbewerbstitel, reichte es heuer nur noch für 20 Beiträge. Eine Folge der skandalumwitterten Vorjahresveranstaltung mit ihren mannigfachen Manipulationsvorwürfen? Um trotz des knapperen Feldes weiterhin drei Abende lang hintereinander die TV-Prime-Time mit dem einschaltquotenreichen und von zahlreichen lukrativen Werbeblöcken unterbrochenen FiK bestreiten zu können, griff der veranstaltende Sender RTSH zu einem merkwürdig anmutenden Kniff: alle 20 Lieder gelangten an allen drei Tagen zur Aufführung, aus den bis dahin für die Qualifikation wichtigen Semis wurden somit obsolete, wertungsfreie Vorpräsentationen. Für ein wenig Abwechslung sorgte dabei der zweite Abend, den die Festivalleitung gewissermaßen als eines dieser auf Seminarveranstaltungen besonders verhassten Gruppenbildungs-Kennenlernspielchen gestaltete: alle Teilnehmenden mussten sich für ihren Song aus dem Konkurrent:innenfeld eine:n Gastsänger:in suchen und ihr Lied als Duett präsentieren. Im Finale am Sonntag vor Heiligabend, in dem erneut sieben handverlesene Juror:innen ihre Punkte verteilten, sang dann aber wieder Jede:r für sich. Immerhin kam es dabei diesmal zu keinem neuerlichen Wertungsskandal.
Die Playlist mit den aktuell verfügbaren Liveauftritten vom FiK 47.
Denn tatsächlich landeten von den insgesamt fünf bemerkenswerten Beiträgen gleich drei – mit ausgesprochen dicht beieinanderliegenden Punktezahlen – auf dem Medaillentreppchen. Die beiden Ausnahmen: erstens der seinerzeit 24jährige gebürtige Nordmazedonier Shpat Kasapi, den Wikipedia als “populär beim jungen albanischstämmigen Publikum in Albanien, dem Kosovo, Montenegro and Nordmazedonien” beschreibt. Mit ‘Aromë Mediterane’ präsentierte er ein exquisites, von sehnsuchtsvoll klagenden Balkanflöten ebenso sehr wie von mitwippfreundlichen Club-Med-Beats satt durchzogenes Stück Ethnodisco, das mit zum absolut Besten gehört, was diese nicht hoch genug zu lobende Musikrichtung jemals hervorgebracht hat. Dass er in der Juryabstimmung auf dem vorletzten Rang landete, mag daran liegen, dass der Schönling mit einer erkennbar extrem selbstverliebten Arroganz von der Güteklasse eines Sakis Rouvas auftrat, ohne allerdings an dessen Charisma, Stamina oder Können auch nur in winzigsten Bruchteilen heranzureichen. So überließ der tief aufgeknöpfte Shpat jegliche Beinarbeit seinen üppig textilierten und ondulierten Begleittänzerinnen, die allerdings Dienst nach Vorschrift machten, während unser Balkanromeo steif festgenagelt seine schleimigsten Schlafzimmerblicke in die Kameras schickte.
Hochmut kommt vor dem Fall. Dennoch: vorletzter Platz? Es bleibt dabei: Jurys sind Wichser™!
Ebenfalls aus dem benachbarten Nordmazedonien stammte der auf Rang 13 strandende Sänger Agim Poshka, der neben drei Musikalben ebenso viele Bücher und Studien veröffentlichte, ist er doch hauptberuflich als Universitätsprofessor tätig. Und so beschäftigte sich sein Beitrag ‘Fajtor për Ngrohjen globale’ (‘Schuld an der globalen Erwärmung’) dann auch mit dem wohl essentiellsten Gegenwartsthema. Vermutlich, wie ich einschränkend anmerken muss, denn sowohl musikalisch als auch in seiner Bühnenpräsentation wirkte das Ganze eher wie ein vierzig Jahre zu spät kommender Urlaubsschlager. Etwas zeitgeistiger hingegen das drittplatzierte ‘Jehonë’ (‘Echo’) der West Side Family, eines vom Komponisten Florian Kondi alias Dr. Flori im Jahre 1996 gegründeten Hip-Hop-Trios, welches sich allerdings im Anschluss an diesen Auftritt auflöste. Flori und seine beiden Kumpels rappten im Anzug, was ihnen ein bisschen die tragische Aura von sich gegenüber ihren Schüler:innen cool geben wollenden Geografielehrern verlieh. Der für seine damals knapp 30 Jahre bereits erschreckend verlebt aussehende Flori starb keine acht Jahre später an einer Überdosis.
Ist es ein Weckruf? Ist es eine Parodie? Ist es ernst gemeint? Auf jeden Fall gruselfasziniert Agims Erderwärmungsschlager.
Kein Wettbewerb ohne die heterosexuelle Anschmachtballade: im Gegensatz zu der wirklich zähen, rocklastigen Negation ‘S’jam Balade’ (‘Ich bin keine Ballade’) von Rovena Dilo und einem stimmlich allerdings kaum auszumachenden Eugent Bushpepa (Rang 12) lieferten Juliana Pasha und der Kondomhütchenmann Luiz Ejlli mit ‘Nje Jetë’ (‘Ein Leben’) ein wunderbares Beispiel für herzallerliebstes Ansülzen ab: butterweiche Harmoniegesänge, fluffig aufgeschlagene Melodiebögen und sogar eine Rückung sorgten für wohliges Aufjuchzen und eine verdiente Silbermedaille. Mit sechs Punkten Vorsprung setzte sich jedoch glücklicherweise die erst sechzehnjährige aktuelle Gewinnerin der Castingshow Albanien sucht den Superstar, Kejsi Tola, durch. Ihren Siegersong mit den vielen lustigen “ë“s im Titel schrieb das selbe Team, das schon für den albanischen ESC-Premierenbeitrag ‘The Image of you’ von Anjeza Shahini verantwortlich zeichnete. Merkte man dem Refrain auch stellenweise an, machte aber nichts – im Gegenteil. ‘Më merr në ëndërr’, der erste ausgewählte Wettbewerbstitel für den Eurovisionsjahrgang 2009 und ein mustergültiges Exemplar der von mir heißgeliebten Gattung des futtigen Discoschlagers, errang seinerzeit natürlich aus dem Stand die Position meines Lieblingsliedes für Moskau. Und gehört auch heute noch zu meinen albanischen Grand-Prix-Herzensschätzchen.
Damals wirkte Luiz vielleicht noch ein Mü zu milchbübchenhaft, um die Romanze mit Frau Pascha glaubwürdig zu verkaufen.
‘Bitte träume von mir’ (so die sinngemäße deutsche Übersetzung) hatte alles, was ich mir von einem Eurovisionsbeitrag wünsche: einen eingängigen Refrain; angenehmes, aber präsentes Ethno-Gedudel (die Instrumentalparts barsten geradezu vor Dudelsäcken und Geigen); eine Sängerin mit einer kraftvollen, aber nicht schrillen Stimme; Dramatik; der vorschriftsmäßige Halbton höher am Schluss und einen treibenden, schwungvollen Neunzigerjahre-Schwuppentechnobeat. Nur die visuelle Präsentation ließ beim FiK noch etwas zu wünschen übrig: die putzige, aber schüchterne Kejsi stand völlig alleine und verloren auf der Bühne herum, ihre zaghaften Versuche, sich lässig zum Beat zu bewegen, zeigten sich von genau so viel Erfolg gekrönt wie das Unterfangen des ehemaligen SPD-Spitzenpolitikers Rudolf Scharping, Radrennfahrer zu werden. In Moskau, wo sie die um über ein Drittel Liedlänge gekürzte, anglifizierte Version ‘Carry me in your Dreams’ sang, stellte man der Rhythmuslegasthenikerin dann auch zur Ablenkung einen als türkises Glitzerspermium verkleideten Tänzer sowie zwei breakdancende Zirkuszwerge hintendran und ließ sie selbst nur ein paar anmutig-alberne Handbewegungen machen. Die wirkten zwar immer noch etwas hölzern, das ging im windmaschinenumwedelten Gesamtspektakel jedoch gnädig unter.
Kejsi im FiK-Finale, da noch ohne die Sunshine Band.
Nun besteht natürlich kein Zweifel, dass es sich bei der 4:15 Minuten langen albanischen Originalfassung um die schönere Version handelt. Womöglich hätte ihr diese sogar, wie die Kollegen von ESCnation seinerzeit lästerten, beim Contest noch ein paar Stimmen mehr aus Skandinavien eingebracht: ‘Më merr në ëndërr’ soll nämlich angeblich auf Norwegisch so viel wie ‘Wir Schlampen enden unten’ bedeuten. Ein Song so recht für ESC-Fans also! Doch entgegen meiner ursprünglichen Befürchtung litt ‘Carry me in your Dreams’ nur recht wenig unter der brachialen Drei-Minuten-Regel-Wurzelbehandlung: zwar schnippelte man notwendigerweise auch an den prägenden Instrumentalparts herum, ließ aber noch genügend davon übrig, um mein Ethno-Disco-Herz zufriedenzustellen. Und der englische Text, eine für ein so junges Mädchen ziemlich überraschende Einladung zum unverbindlichen One-Night-Stand (“No strings attached, no drawing lines”) fügte sich fließend ins Versmaß und hatte zur Folge, dass Kejsi den überaus süffigen Refrain nun nicht mehr mit einem herzhaften “Jo, jo…” punktierte, sondern mit einem “No, no…”. Was trotz der für deutsche Ohren gegenteiligen Bedeutung lustigerweise beides das Gleiche meint, nämlich “nein”! Die europäischen Zuschauer:innen sagten hingegen “ja!” und wählten die Nummer zurecht ins Finale weiter.
Stell Dir vor, Du darfst beim größten Musikwettbewerb der Welt als Tänzer mit auf die Bühne – und bekommst dann so eine Pailettenhaube über den Kopf gestülpt: Kejsi in Moskau.
Kejsi probierte es in den drei Jahren darauf gleich drei Mal wieder, dann allerdings mit etwas getragenerer Kost. Und mit deutlich weniger Erfolg.
Vorentscheid AL 2009
Festivali i Këngës 47. Sonntag, 21. Dezember 2008, aus dem Kongresspalast in Tirana, Albanien. 20 Teilnehmer:innen. Moderation: Elsa Lila, Julian Deda, Gentian Zenelaj.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | West Side Family | Jehonë | 118 | 03 |
02 | Soni Malaj | Zona zero | 044 | 16 |
03 | Juliana Pasha + Luiz Ejlli | Një Jetë | 119 | 02 |
04 | Kujtim Prodani | Nostalgji | 024 | 18 |
05 | Emi Bogdo | Kur buzët hënën e kafshojnë | 043 | 17 |
06 | Erga Halilaj | Dikush mungon | 063 | 11 |
07 | Marjeta Billo | Era e Tokës | 106 | 05 |
08 | Adelina Thaçi | Orët e fundit | 091 | 08 |
09 | Rovena Dilo + Eugent Bushpepa | S’jam Baladë | 060 | 12 |
10 | Dorina Garuci | Dita një Jetë | 092 | 07 |
11 | Endri + Stefi Prifti | Ti bëre faj | 091 | 08 |
12 | Kejsi Tola | Më merr në ëndërr | 126 | 01 |
13 | Era Rusi | Shpirti i humbur | 050 | 15 |
14 | Julian Lekoçaj | Nuk je ti | 017 | 20 |
15 | Shpat Kasapi | Aromë mediterane | 022 | 19 |
16 | Evis Mula | Unë jam Dashuria | 091 | 08 |
17 | Burn | Jam i pari i Jetës sime | 096 | 06 |
18 | Vedat Ademi | Po më prite ti | 051 | 14 |
19 | Agim Poshka | Fajtore për Ngrohjen globale | 056 | 13 |
20 | Besa Kokedhima | Ajër | 109 | 04 |
Zuletzt aktualisiert: 05.09.2022
Von bisher einem (1) feststehenden Beitrag… … auch mein bisheriger Liebling. 😉 Mir gefällt Kesji auf jeden Fall: ein süßes, fesches Mädel mit einem runden Gesicht und fraulicher Gestalt – und nicht eine von diesen künstlichen, überzüchteten Hungerhaken, die ja leider in letzter Zeit auf der Eurovisions-Bühne immer häufiger en vogue waren. Auch über den Song lässt sich Positives sagen, flott, kraftvoll gesungen, noch mit Ecken und Kanten – leider befürchte ich, dass genau diese, wie auch damals schon bei Anjeza Shahimi, bis zum Finale im Mai gnadenlos herausgeschliffen werden…
Tja… …mit dem albanischen Original wird es jedenfalls nichts. Das Teil soll beim ESC auf Englisch gesungen werden. Bedauerlich…aber andererseits wollen wir die Sprachregelung doch wohl auch nicht zurückhaben, oder?
Was denkt der den?? Was denkt dieser Autor eigentlich? der soll mal auf passen, was er sagt alleinschon kondomhüte !! das sind taditionelle klamotten und die sollten nicht beleidigt werden und schon garnicht von einem, der keine Ahnung hat!!! es beleidigt auch kein Albaner (abgesehn von mir) diese Bauernklamotten: Dirdel und Lederhosen !!