Föderalismus als Fortschrittsbremse: nach tagelangem Hickhack um eine mögliche Zusammenarbeit des NDR mit Pro Sieben beim deutschen Grand-Prix-Vorentscheid 2010 erteilte der Entertainer Stefan Raab jetzt der Anstalt eine Absage. “Die Entscheidungswege in der ARD sind derart kompliziert, dass sie mit unserer Arbeitsweise nicht vereinbar sind,” zitiert DWDL vorab aus einem Interview, das im neuen Spiegel erscheint. Eine schallende Ohrfeige für die reformunfähigen Öffentlich-Rechtlichen, zumal nach Aussage Raabs der NDR auf ihn zugekommen sei und um Hilfe gebeten habe. “Wir haben ein schlüssiges Gesamtkonzept vorgelegt”, so Raab im Spiegel. Dieses aber nun zerpflückten die Unterhaltungschefs und Intendanten der regionalen ARD-Anstalten, die sich mal wieder über das große Ganze nicht einigen konnten, und drangen auf einzelne “Nachbesserungen”. Gestern noch verlautbarte eine Sprecherin des Ersten, eine Zusammenarbeit mit Raab sei “reizvoll”. Damit ist die Blamage für Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) komplett, die so mal wieder unter Beweis stellt, dass in ihrer “Gemeinschaft” ausschließlich gegeneinander gearbeitet wird, wenn überhaupt.
Es braucht Zwei zum Tango, wie schon die Finnen wussten.
Thomas Schreiber, Unterhaltungschef beim federführenden NDR und Unterhaltungskoordinator der ARD, hatte letzte Woche durch entsprechende Presseverlautbarungen (“Wir müssen radikal neue Wege gehen”, “Der deutsche Beitrag ist eine nationale Aufgabe!”) noch mächtig Druck aufgebaut – wohl wissend, wie schwerfällig die Entscheidungsprozesse im nicht manövrierbaren Dickschiff ARD ablaufen. Doch selbst der noch frische Eindruck der Malaise von Moskau nutzte nichts: unter den Regionalfürsten der Landesrundfunkanstalten fanden sich erneut genügend Reichsbedenkenträger, um das in einjähriger Arbeit zwischen dem NDR und Raabs Produktionsfirma Brainpool ausgetüfelte Rettungskonzept wirkungsvoll zu torpedieren. Dabei hätte es sich bei einer Zusammenarbeit mit Pro Sieben ja keineswegs, wie in der schlampig arbeitenden Presse immer wieder zu lesen war, um eine Première gehandelt: bereits 2004 kooperierte der NDR im Vorfeld des Eurovisionsvorentscheids mit dem Privatsender Viva, übrigens höchst erfolgreich! Seinerzeit versammelten sich lauter hochkarätige, etablierte Popacts in Berlin, um im Kampf um das Ticket nach Istanbul dem von Stefan Raab geschickten Sänger Max Mutzke zu unterliegen, dem Sieger der Castingshow SSDSGPS, die Raab aus dem Boden stampfte, nach dem er von Jürgen Meier-Beer eine Wildcard erhielt.
Platz 5: Stefan Raab beim ESC 2000
Ein ähnliches Konzept mit Casting und mehreren, auf beide Sender verteilten Shows planten Brainpool und der NDR nun auch für 2010. Was zudem die Chance eröffnen sollte, auch bereits gewählte Teilnehmer anderer Länder einladen zu können und unseren Kandidaten im Gegenzug dort vorzustellen. Nach den quälenden Querelen um einen einheitlichen Sendetermin für die Tagesthemen, die Christiansen-Nachfolge und die ebenfalls geplatzte Abwerbung Günter Jauchs von RTL schossen sich die ARD-Gewaltigen mit der heutigen Totalblamage bereits zum vierten Mal in kürzester Zeit selbst ins Knie. Erneut erweist sich eindrucksvoll das monumentale Scheitern des kleinteiligen föderalen Systems, in dem Krethi und Plethi (bzw. eine Handvoll größenwahnsinniger Landesfürsten) bei allen Entscheidungen mitreden dürfen. Besondere Ironie der Geschichte: ausschlaggebend für das “Njet” der Bremser dürfte die Befürchtung gewesen sein, mit dem Hereinholen eines Privatsenders in das Vorentscheidungsverfahren den Offenbarungseid zu leisten. Das spektakuläre Scheitern der ganzen Aktion legt indes noch deutlicher offen, dass die ARD gerade aufgrund ihrer verkrusteten, reformunfähigen Struktur überhaupt nicht mehr in der Lage ist, größere Aufgaben zu stemmen. Spätestens jetzt dürfte die Abkürzung ARD endgültig für “Ansammlung reformunfähiger Dorfdeppen” stehen.
Nein, nein, niemals wird die ARD noch selbst irgendwas gestemmt kriegen
Wie geht es nun weiter mit dem deutschen Vorentscheid? Eine weitere interne Auswahl schloss der NDR bereits vor Moskau schon aus. Ob es aber einen Plan B gibt, ist momentan nicht bekannt. Ich denke nach wie vor, dass das Konzept des Bundesvision Song Contests ideal geeignet wäre und die ARD das auch alleine durchziehen könnte, wenn man alle Landesrundfunkanstalten und ihre Pop-Radiowellen mit ins Boot holen könnte und beispielsweise der Kandidat des Hässlichen Hessischen Rundfunks gegen den von Radio Bremen anträte (und so weiter). Nach dem heutigen Desaster können wir das aber wohl vergessen. Aber keine Sorge – Rettung naht: via Bild bewarb sich bereits die Gruppe Wind darum, für Deutschland mal wieder die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Na prima – und Onkel Ralph schreibt ihnen bestimmt auch einen tollen Schlager, wenn wir ihn ganz lieb fragen. Dann kann ja nichts mehr schief gehen!
https://youtu.be/-74wFLf7pFU
Die haben uns gerade noch gefehlt!
(Nachtrag 17.06.2009): Trotz der klaren Absage Raabs sieht man von Seiten der ARD die Tür noch nicht ganz zugeschlagen, wie die Süddeutsche berichtet. So sagte der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust vom SWR heute der Zeitung: “Wir haben uns nicht mit geballter Faust getrennt. Vielleicht klappt es ein anderes Mal.” Boudgoust selbst räumte ein, dass es hinsichtlich der Einbindung der ARD-Pop-Radiowellen in die Vorbereitung auf die Eurovisionsvorentscheidung einen “Optimierungsbedarf” gebe. Besteht also doch noch die Chance, dass sich in dem verkrusteten Senderverbund etwas bewegt? Bekanntlich stirbt ja die Hoffnung zuletzt.
Das ist natürlich keine Überraschung, dass die ARD steif und unflexibel bleibt – so kennt man sie. Komisch – aus irgendeinem Grund erinnere ich mich jetzt wieder an die Wimbledon-Übertragungen in der Pre-Becker-Ära, als höchstspannende 5‑Satz-Endspiele in ARD und ZDF nicht bis zum Schluss übertragen wurden, weil die Sendezeit zu Ende war… Hat nichts mit dem ESC zu tun, zeigt aber doch irgendwie auf, dass man in den letzten ca. 30 Jahren nicht wirklich gelernt hat, sich zu bewegen. Vielleicht kann ja Onkel Dieter sein ‘We Have A Dream’ noch ein zweites Mal recyclen… 🙄
Na ja, sooo ne Blamage finde ich das jetzt auch wieder nicht: zwei Parteien wollen’s zusammen versuchen, gehen ins Detail und merken dann, dass es doch nicht geht, wie sich beide das gedacht haben…das passiert tagtäglich in ‑zig Meetings landauf landab…und natürlich ist Raab in der vorteilhafteren Position, jetzt über die verknöcherte ARD zu lästern…das ist mir irgendwie zu billig und zu raabschesk… Und was den NDR betrifft: ‘Radikal neue Wege’ wolle man gehen – und dann ausgerechnet mit Stefan Raab…sorry, aber das erste Grand Prix-Engagement Raabs ist auch schon wieder 11 Jahre her…sooo innovativ und ‘radikal’ ist Raab nun auch wieder nicht (bzw. nicht MEHR). Warum nicht einfach den Ball flachhalten? Der ESC 09 hat doch gezeigt, dass die Leute trotzdem einschalten, auch ohne vorherige Vorentscheidung. Ich würde wie z.B. in Griechenland einen Act auswählen, der dann mehrere Songs zur Wahl stellt. Damit die Zuschauer wirklich nur den Song wählen, und nicht den Act.
Na dann wird wohl im nächsten Jahr sicher die Gruppe Wind mit einem Siegel-Song für uns an den Start gehen und 23. werden. In der Jury sitzen nächstes Jahr Dolly Buster, Ramona Leiß, der andere von den Prinzen und entweder der Sohn von Wolfgang Petri oder Willi Herren. Bleib also alles beim Alten. 😯
Von mir aus kann WIND gerne wieder für Deutschland singen. Endlich wieder mal Deutsch beim ESC. Und WIND waren ja schon mal erfolgreich (2 x 2.Platz). LASS DIE SONNE IN DEIN HERZ war ein toller Titel und auch FÜR ALLE war nicht schlecht. Deutsch sollte auf jeden Fall wieder gesungen werden: MICHELLE (Wer liebe lebt / 8.Platz beim ESC) war im Vergleich zu den letzten Deutschen Platzierungen ja super erfolgreich! Und man komme mir hier jetzt nicht mit altbacken: was ist dabei wenn Deutschland einen Deutschen Titel an den Start gehen läßt. Muß den alles dooooooooooof ‑kiss kiss bäng- Englisch sein!!??
Nichts dagegen, wenn der ARD-Beitrag in deutsch gesungen wird. Englisch grundsätzlich als doof abzuqualifizieren halte ich allerdings für ganz großen Quatsch. Max (Just can’t wait until tonight) war beispielsweise nicht weniger erfolgreich als Michelle (die aber besser aussah 😉 ). Ein ESC-Beitrag sollte ganz einfach gut sein (soweit man das objektiv überhaupt einschätzen kann) – ob deutsch oder englisch oder polynesisch wäre dann höchstens sekundär wichtig…
Ein Mensch, der Eisfußball als Sportart verkaufen will, soll den ESC für Deutschland retten? (Ich empfehle das Raab-Interview im Spiegel vom 25. Mai; das wirft ein sehr bezeichnendes Licht auf den Mann.) Ernsthaft: Raabs erster Triumph ist auch schon elf Jahre her. Und so irrsinnig triumphal war Guildo damals auch nicht – in einem halbwegs annehmbaren Teilnehmerfeld wäre das Lied nicht mal an die Top 10 herangekommen. Michelle hat damals große Teile des Liedes auf Englisch gesungen. Abgesehen davon hat man auch bei Roger Cicero 2007 gesehen, wie gut die deutsche Sprache ankommt (zugegeben in Kombination mit einem langweiligen Lied). Das letzte wirklich deutschsprachige ESC-Lied aus Deutschland war ‘Guildo hat euch lieb’. Und Englisch grundsätzlich abzuqualifizieren halte ich auch für Unsinn. Man werfe mal einen Blick auf die Sieger seit 1999, als die Sprachregel abgeschafft wurde. Wieviele der zehn Sieger seit damals waren nicht auf Englisch? Genau: EINER. Marija Serifovic 2007. Englisch ist nicht die Universallösung – aber Deutsch ebensowenig.
Nun, ich persönlich bin immer noch der Meinung, dass 1998 ein durchaus guter ESC-Jahrgang war, damals sogar der beste seit langem… Von daher würde ich persönlich es eher so sehen, dass Guildo’s Beitrag in jedem anderen Jahr der 90er umso weiter vorne dabei gewesen wäre… Und was Stefan Raab angeht, so mag man von seinen Spaß-Veranstaltungen wie Wok-WM oder Eisfußball natürlich halten, was man will (ich persönlich finde diese Events höchst unterhaltsam). Davon abzuleiten, dass er nicht mehr in der Lage wäre, einen legitimen ESC-Beitrag auf die Beine zu stellen, halte ich jedoch für gewagt (ohne jetzt das Interview gelesen zu haben). Ob der ESC ‘für Deutschland gerettet’ werden muss, nun, das ist etwas, womit ich sowieso meine Probleme habe… 😉
Hätte das Interview mit Stefan Raab gerne mal gelesen, kann es aber nicht finden. Wäre für einen Link dankbar…
re: [quote=miss kiss bang]Von mir aus kann WIND gerne wieder für Deutschland singen. Endlich wieder mal Deutsch beim ESC. Und WIND waren ja schon mal erfolgreich (2 x 2.Platz). LASS DIE SONNE IN DEIN HERZ war ein toller Titel und auch FÜR ALLE war nicht schlecht. Deutsch sollte auf jeden Fall wieder gesungen werden: MICHELLE (Wer liebe lebt / 8.Platz beim ESC) war im Vergleich zu den letzten Deutschen Platzierungen ja super erfolgreich! Und man komme mir hier jetzt nicht mit altbacken: was ist dabei wenn Deutschland einen Deutschen Titel an den Start gehen läßt. Muß den alles dooooooooooof ‑kiss kiss bäng- Englisch sein!!??[/quote] Das ist falsch;) denn Michelle hatte ihren Beitrag nicht auf Deutsch gesungen sondern auch auf Englisch;) Die hälfte des Songs wurden auf Deutsch gesungen und dann auf Englisch!!! Und wenn sie es nicht englisch gesungen hätte, denke ich das wir nicht in die Top 10 gekommen wären:( weil Deutsch zu singen in vielen Ländern einfach man weiß nicht was es bedeutet und so;) Deswegen sehe ich Englisch immer als super weil die meisten dann auch den text verstehen und mitsingen können. mfg pasi ps 2008 hätten wir aber den Deutschen song nehmen sollen war einfach viel besser und nicht so billig wie die gewonnen Nummer von den No anegls! ps² auserdem wenn man schon mit Michelle anfängt na was war denn mit Cicero der hata uch Deutsch gemahct und dann englisch zum schluss wuirde aber nur 19;) es kommt auf denn Song an! Genauso wie wir mit Englisch abkacken geht das auch mit Deutsch und genauso wie wir mit Englisch gut abschneiden siehe 2004;) geht es auch mit Deutsch allerdings ist die Chance höher wenn man Englisch singt das man weiter vorne ist;) noch vor dem Telkevoting musste man ja Deutsch singen und da hatten wir das Glück das es da eine Jury gab bei Televotuing denke ich nicht das wir da mit den meisten songs so gut abgeschnitten hätten;) leider:(
Und was bei Michelle anders war sie hat es mit viel Freude und Leidenschafft gesungen das hat man gesehen sie hatte sich richtig gefreut:) Als sie auf der Esc Bühne Stand das merkte man! Und wer ruft shcon für jemanden an der unsympathisch ist wie oscar und alex c;) Da erinnere ich mich sehr gerne an die sympathische Michelle zurück:)
1998? Der beste Jahrgang seit langem? Gut, Geschmäcker sind verschieden, ich persönlich fand 1997 ein unglaublich starkes Jahr. Mein Problem mit Raab ist nicht, dass er solche Events auf die Beine stellt, sondern dass er mit einer meines Erachtens übertriebenen Ernsthaftigkeit da rangeht. Eisfußball in allen Ehren, aber Raab denkt darüber nach, es als legitime Sportart anerkennen zu lassen. Wenn das nicht ironisch gemeint war (und Ironie, die beim Verbraucher nicht ankommt, hat versagt), dann ist es außerordentlich anmaßend. ‘Seht her, ich kann Sportarten erfinden!’ Nein, Herr Raab, Sie können Unterhaltungsfernsehen machen (was ihn zugegeben für den ESC nicht zwingend disqualifiziert…). Und mit dem letzten Absatz kann ich mich ohne weiteres anfreunden. Da macht Deutschland mal fünf Jahre hintereinander keine Top-10-Platzierung, und prompt ist das DER UNTERGANG! (Dramatische Musik, Maestro.) Hallo?! Mal auf die Ergebnisse von Norwegen, Portugal oder Finnland geschaut? Die haben sich nicht unterkriegen lassen, dann schaffen wir das auch. Und Großbritannien und Frankreich haben dieses Jahr bewiesen, dass man auch ohne freundliche Nachbarn und ohne Diaspora-Televoter was reißen kann.
[…] doch! Nach dem das Tischtuch zwischen Pro-Sieben-Aushängeschild Stefan Raab und der ARD bereits zerschnitten schien und der Komponist solch profunder Beiträge wie ‘Wadde hadde dudde da’ (DE […]