Kreatives Krisenmanagement: kaum brechen der EBU infolge der Finanzkrise die mitmach- (und zahlungs-)willigen Teilnehmerländer weg, besinnt sich die Reference Group auf eine verlässlichere Einnahmequelle: die Zuschauer! Die dürfen nämlich ab diesem Jahrgang bereits ab dem ersten Song des Abends anrufen. Damit verlängert sich die Zeitspanne, in welcher die Telefongebühren fließen, von bislang 15 auf zirka 90 Minuten. Clever, oder? Aber auch in Deutschland übt man sich im Strecken: weil man “noch mehr Talente sehen” wolle (lies: die bisherigen wohl nicht so überzeugten), schieben die ARD und Raab ein weiteres Casting am nächsten Wochenende ein.
Hör auf Abba und häng Dich an den Apparat!
Ganz unschuldig versteckt sich die Mitteilung als letzter Absatz im launigen Bericht über das letzte Castingwochenende in Stefan Raabs Kölner Produktionsstudio auf der Eurovisionsseite des NDR. “Eigentlich sollte an diesem Wochenende Schluss mit den Castings sein. Aber die ARD und Stefan Raab wollen noch mehr musikalische Talente sehen und deshalb gibt es eine weitere Chance: Am 6., 7., und 8. November öffnet sich erneut die ‘Unser Star für Oslo’-Casting-Pforte”, so der Sender. Mit anderen Worten: die absoluten Überflieger scheinen bislang noch nicht dabei gewesen zu sein. Kein Wunder, lockte die Ankündigung, man sei auch für Bewerber mit eigenem Song-Material offen, vermutlich in Scharen die schlimmste Sorte von Vorentscheidungsaspiranten an, die man sich vorstellen kann: glühende Grand-Prix-Fans, die unbedingt selbst mal auf der Bühne stehen wollen und ihre Leidenschaft mit Talent verwechseln. Aber lassen wir uns überraschen.
Nein, da war der Star für Oslo noch nicht dabei!
Die eigentliche Knüllermeldung des Tages lieferte indes die EBU selbst: wie schon bei der Kinder-Eurovision ausgetestet, dürfen die Zuschauer im Mai in allen drei Runden zum Hörer greifen, sobald der erste Teilnehmer auf der Bühne den Mund zum Singen öffnet. Natürlich nur aus noblen Gründen: man wolle damit verhindern, dass Abstimmungswillige wie in der Vergangenheit das Besetztzeichen hören und wolle erreichen, dass mehr Menschen abstimmen können. Außerdem sei es “logischer”, für einen Titel anzurufen, während der gerade laufe, statt erst bis zum Ende aller Auftritte zu warten, so Svante Stockselius. Die Analysen des Abstimmungsverhaltens beim JESC und bei nationalen Vorentscheidungen, bei denen dieses Verfahren bereits zur Anwendung kam, hätten zudem ergeben, dass den früheren Startern daraus keine signifikanten Vorteile erwüchsen. Das mag sogar sein – den Hauptvorteil generiert die EBU bzw. die beteiligten Sendeanstalten aus der Vervielfachung der kostenpflichtigen Anrufe durch mehr Impulstelefonierer. Und durch die Diaspora- und Nachbarschaftsvoter, denen man es mit dem neuen System noch einfacher macht, für ihr Lieblingsland anzurufen statt für den besten Song. Jetzt schon ab der ersten Minute.
Bezüglich der deutschen VE: Natürlich kann man die Verlängerung des Castings so sehen wie du, nämlich das noch nicht die Überbringer dabei gewesen sind. Man kann es aber auch mal positiv sind, das soviele Kandidaten dabei gewesen sind und das Interesse so groß ist, das man halt eben noch ein bißchen länger sucht. Je länger man sucht, desto mehr gute Kandidaten findet man. Es ist ja noch Zeit. Dem längeren Telefonvoting sehe ich sehr kritisch entgegen. Denn Lieder mit höheren Startnummern sind da eindeutig im Nachteil, und das ganze ist wohl nur wegen dem Geldverdienen. Und ob die Zuschauer da mitmachen, sei mal dahingestellt. Ich will erstmal alle Auftritte und Performances sehen, bevor ich anrufe, wenn ich überhaupt anrufe. Nochmals zu VE: Liebe ne VE mit mehreren Vorrunden als der Mist der uns 2009 vorgesetzt worden ist. Ich bin mir sicher, das das Interesse am ESC wieder gesteigert wird.
Stichwort Telefonvoting: Plus ca change, plus c’est la même chose, wie der Franzose sagt. Wenn man den Stimmblock ans Ende legt, sind die späten Starter eindeutig im Vorteil (bitte mal auf die Ergebnisse schauen, und nein, dieses Jahr zählt nicht. 😉 ). So haben die frühen Startplätze wieder etwas mehr Attraktivität. Und dieses Jahr musste ich nicht alle Auftritte sehen, um zu wissen, wer meine Stimme bekommt (Frankreich war Startplatz 3). Vielleicht nimmt die EBU sich die Gelegenheit, die Anrufe auf einen pro Anschluss zu begrenzen. Sechsmal so viel Zeit zum Abstimmen, dafür nicht mehr jeder einzelne sechsmal…und vielleicht kann ich morgen auch die Flut überreden, nicht zu kommen, und auf einem geflügelten Marshmallow ins Sorbet-Königreich reiten. 😀
[…] das neue Abstimmungsverfahren zum Einsatz, wobei die Zuschauer bereits nach dem ersten Lied anrufen dürfen. Zur Eindämmung des Diasporavotings (und wohl auch, um die Vorwürfe zu entkräften, die […]