Russ­land 2010: Der will doch nur spielen

Kol­lek­ti­ve Depres­si­on? Russ­land schickt den Bet­tel­stu­den­ten­chor mit einem Kla­ge­ge­sang, der gera­de­zu nach der Roten Later­ne fleht. Kla­mot­ten aus der Alt­klei­der­samm­lung, min­des­tens zwei Num­mern zu groß, der letz­te Fri­sör­be­such min­des­tens vier Jah­re her: falls Peter Nalitch und sein Musik­kol­lek­tiv ein State­ment zur welt­wei­ten Finanz­kri­se geben woll­te, ist es gelun­gen. Musi­ka­lisch fügt sich der zwi­schen Depres­si­on, Sui­zid und Kat­zen­ge­sang chan­gie­ren­de Bei­trag wun­der­bar ein, und mit ‘Lost and for­got­ten’ scheint er mir pro­phe­tisch beti­telt, denn genau die­ses Schick­sal steht ihm in Oslo bevor.


And I hope now that you kill me!

Erstaun­lich, dass gera­de die­ser Song die mit 25 Titeln bestück­te Vor­ent­schei­dung gewann. Denn neben zahl­rei­chen dünn­stim­mi­gen schwan­ge­ren Pro­sti­tu­ier­ten, den rus­si­schen Schwes­tern der öster­rei­chi­schen Roun­der Girls (2000), einem Kas­tra­ten, diver­sen Tur­bo­folk­bands und einem offen­bar anzüg­li­chen, aber nied­li­chen Ita­lie­ner fand sich mit den Bura­novs­ki­ye Babush­ki auch ein abso­lu­ter Knal­ler in der Aus­wahl: sechs in Matrusch­ka-Dirndln ver­klei­de­te Groß­müt­ter (ver­mut­lich die Schwes­tern der mol­da­wi­schen Trom­me­lo­ma von 2005) mit unge­fähr vier Zäh­nen, aber vier­hun­dert Fal­ten – zusam­men! Zwar muss­ten Hel­fer nach deren Auf­tritt erst mal die Büh­ne fegen (lie­ßen die 80jährigen unter sich?). Aber die Num­mer war so nied­lich, das hät­te in Oslo aus dem Stand gewon­nen! Doch offen­bar muss Putin sparen.


Und hier die rus­si­schen Groß­müt­ter­chen, Sie­ge­rin­nen der Herzen

Nach­trag: Wie ich heu­te (am Mon­tag) Mel­dun­gen der rus­si­schen Nach­rich­ten­agen­tur RIA Nowos­ti und des NDR ent­neh­me, kam der Sieg von Peter Nalitch doch nicht so ganz über­ra­schend: bei Näm­li­chem han­de­le es sich um ein soge­nann­tes You-Tube-Phä­no­men, des­sen Songs sogar schon das deut­sche Kul­tur­feuil­le­ton beschäf­tig­ten. 2007 erlang­te er durch einen selbst gedreh­ten und ein­ge­stell­ten Clip namens ‘Gitar’ Bekannt­heit im Lan­de – über 2,7 Mil­lio­nen Views zählt die­ser mitt­ler­wei­le. Und stellt das Gan­ze in ein ande­res Licht: der meint das näm­lich alles iro­nisch, der Peter! Das osten­ta­tiv zur Schau gestell­te Phleg­ma und die sack­ar­ti­gen Kla­mot­ten sind als Kari­ka­tur gedacht! Das ist qua­si die Alemu­el Russ­lands! Ja, dann – zeigt sich mal wie­der, dass Iro­nie in 90% der Fäl­le nicht ver­stan­den wird, und schon gar nicht über Lan­des- und Sprach­gren­zen hin­weg. Also den­noch kei­ne so gute Idee, auch wenn sein Sieg beim Vor­ent­scheid tat­säch­lich dem Wil­len des Zuschau­er­vo­tings ent­spro­chen habe und ledig­lich, so RIA Nowos­ti, “von der zustän­di­gen Pro­fi-Jury bestä­tigt” wurde.

18 Comments

  • Ich hat­te mich wäh­rend der Sen­dung schon gefragt, wel­che Tit­ten das Ren­nen machen. Doch dann der Rie­sen­schock: Ist Ruß­land wirk­lich so plei­te, daß sie Angst vor einem Sieg haben? Ist das wirk­lich der Geschmack der rus­si­schen Zuschau­er oder hat Geor­gi­en die Abstim­mung mani­pu­liert? Fra­gen über Fra­gen beim bis­her schlimms­ten ESC-Song 2010. Die Babush­kas hät­te ich auch gern in Oslo wie­der­ge­se­hen (oder wenigs­tens eine der Pro­sti­tu­ier­ten), aber doch nicht die­sen Schrott. Da singt ja mei­ne Kat­ze besser.

  • Neeeeeeiiiiiiii­in!!! Ich hat­te mir die Song­prä­sen­ta­tio­nen ange­schaut und dann abge­schal­tet. Es war ja nicht viel Gutes dabei, aber eini­ges (wie oben genannt), das sicher­lich wenigs­tens wit­zig o.ä. gewe­sen wäre. Aber wie kommt man auf so etwas????? Die deut­schen Sieg­chan­cen stei­gen von Tag zu Tag.

  • Jetzt ist auch klar, war­um Dima Bilan sei­ne Teil­nah­me zurück­zie­hen muss­te. Das rus­si­sche Fern­se­hen will nicht in Gefahr gera­ten, noch ein­mal zu gewin­nen. Kein Wun­der bei dem Bom­ben-ESC letz­tes Jahr. Da kann nicht mehr viel Bud­get übrig geblie­ben sein. 🙄

  • Oh Him­mel. Ich habe ja eine hohe Lan­ge­wei­le­to­le­ranz, aber das führt zu aku­ten Schlaf­at­ta­cken. Neben­bei: die mol­da­wi­sche Trom­me­lo­ma war 2005. Und ich war ja bass erstaunt, vor ein paar Mona­ten in einem Aus­geh­pla­ner irgend­ei­ner Art Zdob si Zdub-Kon­zert­ter­mi­ne in West­eu­ro­pa zu fin­den. Sachen gibts…

  • So etwas erhält man, wenn man auf rei­nes Tele­vo­ting setzt! Ich hat­te par­al­lel zu den Song­prä­sen­ta­tio­nen immer mal wie­der ein Auge auf dem Live-Blog neben­dran, und die Stim­men der rus­si­schen Teil­neh­mer lie­ßen bereits Schreck­li­ches erahnen …

  • Ja, aber angeb­lich hat doch eine Jury mit­ge­vo­tet! Ich hab zwar nicht ver­stan­den, wie, weil ja nur Pro­zen­te ange­sagt wur­den – aber im Vor­feld hieß es: 50/50. Außer­dem hab ich nie behaup­tet, dass das Publi­kum immer rich­ti­ge Ent­schei­dun­gen trifft…

  • re: Russ­land [quote=Aufrechtgehn]Ja, aber angeb­lich hat doch eine Jury mit­ge­vo­tet! Ich hab zwar nicht ver­stan­den, wie, weil ja nur Pro­zen­te ange­sagt wur­den – aber im Vor­feld hieß es: 50/50. Außer­dem hab ich nie behaup­tet, dass das Publi­kum immer rich­ti­ge Ent­schei­dun­gen trifft…[/quote] Rich­tig, hier hat­te wie­der eine Jury die Hän­de im Spiel! Wie immer, wenn schlim­me Lie­der eine VE, oder einen ESC, gewin­nen. PS: Dima hat übri­gens gerüch­te­wei­se ein Ange­bot aus Aser­bai­dschan erhal­ten: er soll zusam­men mit Saf­u­ra den Song ’ Drip Drop ’ sin­gen! In Baku will man halt noch gewinnen ;)!

  • OK, ich nehm’s zurück in die­sem Fall. ‘wie immer’ stimmt aber defi­ni­tiv nicht!

  • a pro­pos kol­lek­ti­ve Depres­si­on Die­ser The­se des Web­mas­ters kann ich nur zustim­men. Merkt man doch bereits an den Titeln eini­ger der vor­ge­tra­ge­nen Lie­der (inkl. Sie­ger­ti­tel): lost and for­got­ten take it away dele­te my tears

  • Ich sag nix mehr Erbärm­lich. Jetzt wis­sen die Rus­sen wenigs­tens, wie wir Deut­schen uns bei Stone & Stone gefühlt haben.

  • Der abso­lu­te Bur­ner! Eine Stern­stun­de der Grand Prix-Geschich­te! Alles rich­tig gemacht! Ein nur schwer zu stei­gern­der Unter­hal­tungs­wert! .…damit mei­ne ich die Babusch­kas und es ist mein vol­ler Ernst. Den Sie­ger­ti­tel hin­ge­gen kann­se mal wie­der in die Ton­ne kloppen 🙄

  • Wie immer’? Marie N, Lett­land 2002. Dima Bilan, Russ­land 2008. Ani Lorak, Ukrai­ne 2008 (Platz 2). Kalo­mi­ra, Grie­chen­land 2008 (Platz 3). Alles rei­nes Tele­vo­ting, alles ganz ent­setz­li­che Lie­der. Sor­ry, aber die all­ge­mei­ne Öffent­lich­keit hat defi­ni­tiv kei­nen bes­se­ren Geschmack als eine zufäl­lig gewähl­te Jury. Uns Ver­fech­tern des Tele­vo­tings geht es nicht um Geschmacks­fra­gen, son­dern um die gebo­te­ne Fairness.

  • Nach­trag Sati­ren wer­den beim ESC nicht ver­stan­den, dazu sind kul­tu­rel­le und vor allem die sprach­li­chen Gren­zen zu groß. Den­ken wir an Syl­via Night oder Dus­tin the tur­key. Die sind auch gna­den­los unter­ge­gan­gen. Ande­re, wie LT United (We are the win­ners) wer­den von vie­len bis heu­te geh­aßt. Ob Sati­re oder nicht, mei­ne Mei­nung bleibt. Es ist der schlimms­te ESC-Song die­ses Jahrgangs.

  • […] beim zwei­ten Anlauf mit einem deut­lich schwä­che­ren Titel als bei ihrem Erst­ver­such 2010 aus­ge­rech­net gegen die Dop­pel­kom­bi­na­ti­on aus Dima Bilan und Julia Vol­ko­va (die eine Hälf­te von […]

  • […] damit den rus­si­schen Vor­ent­scheid gegen die drol­li­gen Babusch­ka-Omis gewann, hab ich den Song noch gehasst, aber mitt­ler­wei­le spiel­te sich die­se augen­zwin­kern­de rus­si­sche Schwer­mut (lus­ti­ger­wei­se verstehe […]

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