Nach den Pleiten der letzten, nunja: Jahrzehnte und gleich vier beschämenden Nichtqualifikationen am Stück mit intern ausgewählten Grand-Prix-Repräsentant:innen versuchte es das Fernsehen der deutschsprachigen Schweiz für den heuer auch noch beim ungeliebten großen Nachbarn stattfindenden Eurovision Song Contest 2011 nach spanischem Vorbild mit einem für alle grenzenlos offenen Bewerbungsverfahren im Internet. Auf einer eigens eingerichteten Eurovisionsplattform durfte absolut jede:r, der oder die wollte, einen Videoclip mit seinem eigenen Songvorschlag hochladen. Das ließen die Mühseligen und Beladenen sich nicht zwei Mal sagen: rund 500 Beiträge aus aller Welt kamen zusammen.
Give me all your Votes: Rockröhre Franca (ex Magic Affair).
Und so wurde die Deutschschweiz zum musikalischen Einwanderungsland: neben der unvermeidlichen Flut aus Malta und Rumänien (unter anderem die Ex-ESC-Teilnehmer Todomondo) bewarben sich auch etliche Deutsche um einen Startplatz via Alpenrepublik. Darunter beispielsweise auch eine Interpretin aus meiner heißgeliebten Heimatstadt Frankfurt am Main, nämlich die Powerröhre Franca Morgano, die dem helvetischen Danceprojekt Glitzerhaus ihre Stimme lieh. Der Name Glitzerhaus und die Jubeltunten im Bewerbungsvideo wiesen bereits den richtigen Weg: ‘I feel it all’, eine hübsche Handtaschen-House-Hymne, steht in der Haldor-Lægreid-Skala nicht weit unterhalb des letzten eidgenössischen Bewerbers Michael von der Heide.
Furze im Wind: das Persilweiß-Duo Tomato Blöde und Steifer Dummie.
Und auch die tolle Franca Morgano überbrückte die Zeit zwischen ihren damaligen Chartserfolgen als Sängerin bei den Neunzigerjahre-Eurodance-Veteranen Magic Affair (‘Omen’, ‘Give me all your Love’) und heute schwerpunktmäßig mit Auftritten auf dem Frankfurter CSD und anderen schwullesbischen Straßenfesten. Gleich im Schwuppen-Doppelpack versuchten es die Schlagersänger Stephan Runge (‘Der geilste Arsch der Welt’) und Donato Plögert. ‘Folge dem Wind’ schien ihr Ratschlag an Segelflieger zu sein, denn das Video zu ihrem hirnseichten Harmonieschlager entstand direkt auf einer Startbahn. Schade bloß, dass während des Drehs kein Jet landete, das hätte wenigstens Schlimmeres verhindert.
Endgeil: dänischer Schwuppentechno at it’s best!
Und sogar die dänische Grand-Prix-Drag-Queen DQ meldete sich in der Schweiz an! Die 2007 in Helsinki mit dem camptastischen ‘I’m your Drama Queen’ zu meiner persönlichen Verbitterung bereits im Semifinale Ausgeschiedene legte mit ‘Take my Heart’ wiederum feinsten, ohrwurmtauglichen Neunzigerjahre-Schwuppen-Techno-Pop vor, der in die Musiksammlung jeder aufrechten Eurovisionstucke und auf den Plattenteller jeder Grand-Prix-Disco gehört. Eine aufrechte Eurovisionstucke bastelte offensichtlich auch das billig-bunte Bewerbungsvideo für DQs Song zusammen: man achte nur einmal auf die grafische Illustration der Textzeile “Is it true” bei Sekunde 48.
Von meinem Leser Tell it like it is entdeckt (danke!): der große Fred Weston!
Aus Österreich, genauer gesagt aus der Weltmusikhauptstadt Wien stammte der große, der einzigartige, der unglaubliche Fred Weston, der gleich zwei gesungene Liebeserklärungen ans Nachbarland besteuerte – eine schöner als die andere. Und mit unglaublich professionell gemachten Videoclips ausgestattet. Ein Hochgenuss! Die schweizerische Krawallpresse freut sich indes mehr auf den heimischen Mundartrapper Abdul Damja: “Plastikpenis soll SF Quote bringen”, versprach uns das Portal 20 Minuten Online. Im Bewerbungsvideo von Abdul ließ sich der von ihm gerne als Bühnendekoration eingesetzte Umschnalldildo indes leider nicht erspähen, dafür war sein Song ‘Absolution’ wenigstens originell.
Ein Ritterschlag für die Schweizer Metropole: Freds gesungene Liebeserklärung.
Was sich auch über den folkdurchfluteten Beitrag der aus der Zentralschweiz stammenden, mittelalterlich anmutenden Mundartkapelle Fräkmündt sagen ließ, von dem ich zwar natürlich kein einziges Wort verstand. Aber irgendwie schien es darin um eine Jungfer zu gehen, die einen Berg bespringen wollte (was für ein perverses Volk, diese Schweizer:innen!) und dabei von einem Drachen gehindert wurde. Also ganz auf der Linie der nach eigener Darstellung altertümliche Sagen neu vertonenden Band. Doch wie immer kommt der größte Knüller natürlich ganz zum Schluss. Exakt so, meine verehrten Leserinnen und Leser, klingt für mich die Schweiz!
Feed that Dragon a Banana: Fräkmündt.
Die bereits mehrere Goldalben vorweisen könnende, aus dem Berner Oberland stammende Volksmusikfamilie Oesch’s die Dritten (nur echt mit Deppenapostroph), aktiv seit Ende der Neunziger und seit 2007 im gesamten DACH-Raum bekannt durch diverse Musikantenstadl-Auftritte, rasten in ihrem Bewerbungsbeitrag ‘Jodeltime’ im “Schweizer Tempo” den Berg hinunter und verquickten die jahrtausendealte, traditionelle Kulturtechnik der Alpenvölker mit modernem “Highspeed” und jeder Menge augenzwinkerndem Spaß. Ganz, ganz großes Kino und für mich der ultimativ beste schweizerische Beitrag aller Zeiten! Der es, natürlich, wie all die anderen hier vorgestellten Kleinode, nicht in die finale Vorentscheid-Auswahl schaffen sollte, weil die abstimmungsberechtigten Eidgenoss:innen all diese fantastischen Songperlen schnöde verschmähten und nur die garantiert ödesten und fadesten Songs weiterwählten. Es ist zum Wimmern und Haareraufen!
Genau so etwas, liebe Schweizerinnen und Schweizer, möchte ich beim ESC von euch hören. Jedes Jahr.
Da sind ja ungeahnte Schätze dabei – Fred Weston ist ja wohl nur geil 😆
Fred Weston Ganz großes Kino! Das Stabmikro, in das er da reinknödelt, ist aber noch original von seiner Achtspurband-HiFi-Anlage, die er sich in den Fünfzigern von seinem ersten selbstverdienten Geld gekauft hat, oder? 😀
Ich wette, der singt auch heute noch regelmäßig auf Goldenen Hochzeiten 😀 Der Mann muss nach Düsseldorf! 😆
Kommt er vielleicht auch. Wenn man sieht, was die Spanier immer in ihren Internet-Votings an die Spitze wählen (Chikilicuatre, Karmele, John Cobra) und man bedenkt, dass das Eurovisions-Frustpotential bei den Eidgenossen nach den letzten Pleiten noch größer ist wie bei den traditionell ESC-hassenden Spaniern, dann könnte das gut möglich sein. 😀
Hey, Fräkmündt ist ja mal richtig cool! Kaum zu glauben, dass das, was die da singen, ein deutscher Dialekt sein soll. Der Geschmack des gesamten Balkans dürfte damit schon mal getroffen sein.
Und mein Geschmack auch, übrigens. Aber kann es ein Vorbei an Fred Weston geben? 😀
Unter den momentanen 3 Favoriten von DRS3 ist der gute Fred jedenfalls schon mal nicht dabei (http://www.drs3.ch/www/de/drs3/themen/musik/215409.esc-favoriten.html) – Fräkmündt dagegen schon. Und ordentlich Schwuppentechno für den hiesigen Hausherrn ist auch in der Auswahl vorhanden 😆
onlime: Unter den momentanen 3 Favoriten von DRS3 ist der gute Fred jedenfalls schon mal nicht dabei. —– Verdammt, da wird doch geschummelt… 😡 😆
Ah, offenbar hat DRS3 das Recht, drei Titel in die Endausscheidung zu schicken, während die restlichen Teilnehmer vom Pöbel gewählt werden. Fred Weston hat sich wohl gar nicht bei DRs3 angemeldet und findet sich nur in der Liste der SF-Teilnehmer. (Fred Weston ist übrigens Wiener, und mit seiner Liebeserklärung an Zürich hat er wohl sämtliche Nicht-Züricher hinter sich, die der verhassten Stadt gönnen, sich international mal so richtig zu blamieren.)
DRS3 stellt 3 Titel Ja, DRS3 stellt 3 der insgesamt 10 Finalteilnehmer, welche am 11. Dezember im Final gegeneinander antreten werden. Die 3 werden wie folgt erkoren und, wie so oft bei uns in der Schweiz, auf eine ziemlich komplizierte Art und Weise: aus allen eingesandten Beiträgen schlägt DRS3 jede Woche 8 Beiträge vor. DRS3 hört sich danach auf ihrer Facebook-Seite um und wählt dann (in Eigenregie!) aus diesen 8 den einen oder andern in ihre Liste der ‘engeren Auswahl’ (Link: http://www.drs3.ch/www/de/drs3/themen/musik/215409.esc-favoriten.html ). Zurzeit hats dort 5 Vorschläge, ändert sich aber hin und wieder. Schlussendlich werden in der ‘engeren Auswahl’ 10 mögliche Finalteilnehmer auftauchen, über die man ab ca. 3./4. November abstimmen kann. DRS3 hat bei dieser Wahl nichts mehr zu sagen! Einzig das öffentliche Online-Voting wird entscheidend sein. Also die Zuhörerinnen und Zuhörer entscheiden über die 3 ersten Finalteilnehmer. Zuviel versprochen? Die Sache ist ziemlich kompliziert aufgebaut! Das Schweizer Fernsehen (SF) verteilt die restlichen 7 Teilnehmer wie folgt: öffentliches Voting ab 1. November 12h. Das Resultat des öffentlichen Votings wird mit dem Resultat einer internen Jury gemischt! Die ersten 7 sind durch. Et voilà – wir haben die insgesamt 10 Finalteilnehmer. Gruss aus der komplizierten Schweiz Windmaschinchen
Ich hab mir jetzt auch mal in zufälliger Auswahl ein paar Songs angehört. Interessant ist ja auch die maltesische Invasion und wie viele alte Bekannte dabei (Todomondo, Miodio, Piero Esteriore und natürlich DQ). Nicht zu vergessen die aktuell im Heimatland gescheiterten Finnen Blackbird. Ob sich Raplh Siegel auch irgendwie darunter gemogelt hat? Ich möchte ja fast darauf wetten. Ich habe ja momentan drei Favoriten (alle aus unterschiedlichen Genres): Fräkmündt, das wäre mal eine mutige Wahl, Patric Scott, hauptsächlich weil ich von ihm schon vorher mal was gehört habe, der Song ist aber auch nicht schlecht, und Gunnar – nein, nicht nur wegen den freizügigen Bildern im Clip, auch (oder besonders auch) musikalisch, auch wenn die Nummer vielleicht noch etwas mehr Drive, eine professionellere Produktion und einen besseren Sänger gebrauchen könnte.
P.S.: Oh, und mit Glitzerhaus und Franca Morgano kann ich irgendwie ar nicht so viel anfangen. Ist mir irgendwie ein bißchen zu trist. Dann schon lieber DQ.
http://www.drs3.ch/www/de/drs3/themen/musik/215409.esc-favoriten.html DRS3 sucht drei Finalisten für die schweizer Endausscheidung, und unter obiger URL stehen 10 (wenn man so will) Halbfinalisten momentan zur Wahl – es darf gevotet werden. Fräkmündt ist dabei und belegt momentan – ich fasse es nicht – den ZEHNTEN Platz. Ich will ja echt nicht stänkern, aber wenn ich mir die drei Erstplatzierten so anhöre, empfinde ich das schon als Omen für ein weiteres Halbfinal-Aus für die geschätzten Nachbarn… Vorne liegt derzeit Dominique Borriello mit «Il Ritmo Dentro Di Noi» – so langweilig, dass ich es mir nicht zu Ende anhören kann. Auf Platz zwei folgt Simongad mit «I Will Stand (For The Nation)» – kann ich überhaupt nichts mit anfangen. I will stand for the nation, I will stand for love? Das ist weder Fisch noch Fleisch. Auf Platz drei Duke mit «Waiting For Ya» – na schön, Geschmackssache, aber ich kann mit Rap nichts anfangen und kann (oder will?) mir das beim ESC irgendwie nicht vorstellen. Anyway, bis Freitag kann da wohl noch gevotet werden. Ich hoffe, dass Fräkmündt über SF das schweizer Finale erreichen werden – und dass die Zuschauer dann weise entscheiden…
Es wird noch mal spannend bei DRS3. Zwar liegen Fräkmündt weiterhin auf einem für mich unverständlichen zehnten Platz, aber The Colors and Illira mit «Home» sind nah an den dritten Platz herangerückt. Illira hat ein hübsches Stimmchen, singt – so heißt es jedenfalls – in schweizer Mundart und in ihrer Muttersprache (albanisch). Leider trotzdem eine langweilige Ballade, an die man sich direkt nach dem Hören schon nicht mehr erinnert. Weiterhin ruhen meine Hoffnungen für unsere Nachbarn auf SF. Sicherheitshalber habe ich mich da mal angemeldet und meine vier Stimmen komplett Fräkmündt gegeben – sorry, Fred Weston. 😉
So, eine erste (Vor-)Entscheidung ist gefallen: DRS3 schickt Dominique Borriello («Il Ritmo Dentro Di Noi», Duke mit «Waiting For Ya» und The Colors and Illira mit «Home» ins nationale Finale. GÄÄÄÄÄÄÄHHHHHHHHNNNNN!!!! Das beste daran ist noch, dass das schwachfügige ‘I will stand for the nation, I will stand for love’ am Ende noch rausgekickt wurde… Aber nach ESC-Finale riecht das ganz und gar nicht, finde ich…
Würg… Wenn man sich so anschaut, welche Ansammlung von Langeweile und Banalität es in die Endausscheidung geschafft hat, möchte man doch gerne in der Schweiz die Demokratie abschaffen… Jetzt kann sich ja nicht mal mehr der Hausherr darüber aufregen, dass Jurys Wichser seien 😉 Die italienische Trompetentante ist ja immerhin ganz originell, hat aber selbstverständlich keine Chance.
Fräkmündt nicht dabei – Chance vertan…