Zwei Schritte vor, einen zurück. Nachdem der albanische Sender RTSH in den beiden letzten Jahren beim traditionellen Festivali i Kënges die Anzahl der Teilnehmenden auf 20 heruntergefahren, dafür aber einen Nachwuchswettbewerb und eine Nacht der Duette mit ins Programm genommen hatte, kehrte man diesmal wieder weitestgehend zum alten Verfahren zurück. Es gab zwei Semifinale mit insgesamt 32 etablierten Künstler:innen, von denen eine siebenköpfige Jury jeweils die Hälfte ins FiK-Finale am ersten Weihnachtsfeiertag selektierte. Um die Neuerungen nicht wieder ganz in der Versenkung verschwinden zu lassen, durften an beiden Abenden jeweils noch drei hoffnungsvolle junge Talente an den Start, von denen eine eigens etablierte, zweite Jury jeweils eines in den aussichtslosen Kampf um das Ticket nach Düsseldorf schickte. Die 49. Ausgabe des skipetarischen Liederfestivals zeigte sich von technischen Unpässlichkeiten geplagt: zwar bevölkerte während aller drei Shows das übliche, große Orchester die Bühne. Die Musik jedoch kam komplett vom Band, weil wohl irgendjemand irgendwelche Kabel falsch zusammengesteckt hatte und nun kein Ton der Live-Musiker:innen über die Antennen ging. Und die spärlichen Projektionen auf der LED-Wand verbreiteten den Vibe einer Grobverpixelung der legendären Heizlüfter-Deko des Münchener ESCs von 1983.
https://www.youtube.com/playlist?list=PLp4XMOxj72vu4zwdGbFvPYzU1E34IpbiA
Die Playlist mit den Beiträgen des ersten FiK-Semis, mit Ausnahme der von irgendwelchen völlig weichbirnigen Contentwichsern gesperrten Songs.
Zu den im ersten Semi Ausgeschiedenen zählte neben einem in seiner komplett amateurhaften Unprofessionalität schon wieder liebenswerter Eurodisco-Unfall des sehr unbeholfen agierenden Pärchens Ernis Çili und Onanta Spahiu auch der Rocksänger Evans Rama, der mit ‘Sonte’ einen eigentlich sehr geilen Genremix aus harten Gitarrenriffs und technoiden Beats am Start hatte, zu welchem sich vier gemischtgeschlechtliche Tänzer:innen ausgesprochen lasziv über die Bühne schoben und wälzten. Nur Streichfett-Rama stand wie zur Salzsäule erstarrt bewegungslos mitten in dem Getümmel, so als ginge ihn das Ganze nichts an: das wirkte nicht, wie erhofft, cool, sondern arrogant. Mein persönliches Highlight lieferte allerdings der nun zum dritten (und letzten) Mal in Folge antretende nordmazedonische Uniprofessor Agim Poshka ab, der damit zu so etwas wie einer kleinen Kultfigur des FiK heranreifte. Zu seinem aufgetriedeltem Schunkelschlager ‘Bota com.vetmi’ (sinngemäß: ‘www.Einsamkeit.com’) sprangen hinter ihm vier fröhliche Frauen in aufreizender Unterwäsche lässig umher und verbreiteten dabei so viel augenzwinkernden Spaß, dass einfach klar war: was immer der Mann da macht – bierernst darf man das nicht nehmen. Gerade so wie den Eurovision Song Contest.
https://youtu.be/TeRvcr-An9Y
Dem sitzt der Schalk im Nacken: Agim Poshka.
Das an Heiligabend ausgetragene zweite Semi erwies sich als das dezent gruseligere der beiden, auch aufgrund der sehr merkwürdigen Jury-Entscheidungen. So ernannten die verrückten Fünf im Nachwuchswettbewerb ausgerechnet das offenbar aus einer auf Ketamin geschriebenen Rockoper stammende, düster-verworrene Stück ‘Dritë’ (‘Licht’) von Albi Xhepa und Semi Jaupaj zum Siegersong, obgleich der von weltentrückten Blicken, unvermittelten Tempi- und Lautstärkewechseln sowie unmotiviertem Röhren bestimmte Auftritt der Beiden zartere Seelen dazu veranlasst haben muss, hinter dem Sofa Schutz zu suchen. Auch der Finaleinzug von Denis Hasa gab Rätsel auf. Nämlich: hatte er in der zweiten Strophe tatsächlich einfach die Hälfte seines Textes vergessen? Oder sollte das wirklich so? Und warum krisch die eine Chordame mit der niedlichen Zahnlücke diese völlig unpassenden Operntöne? Ein weiteres wenig nachvollziehbares Votum der Jury bestand darin, der extrem dünnstimmigen Goldi Halili und ihrem federleichten Uptempofluff ‘Në Krahët e tua’ (‘In deinen Armen’) einen Finalplatz zuzuschustern. Andererseits: danke dafür! Denn dort trug Goldi statt eines ordentlichen Kleides eine Art Badehandtuch. Und das saß so entblößungsgefährlich knapp, dass sie die komplette Zeit hochnervös damit beschäftigt war, es am Wegrutschen zu hindern. Herrlich!
https://www.youtube.com/playlist?list=PLp4XMOxj72vv2hkOEssPZoxvE_X3RyafL
Die Playlist mit den Beiträgen des zweiten FiK-Semis, mit Ausnahme der von irgendwelchen völlig weichbirnigen Contentwichsern gesperrten Songs.
Übrigens legte die Jury dort dann sowohl dem Nachwuchspärchen als auch Goldi generöse null Punkte unter den Weihnachtsbaum. Ganze zwei mehr gab es für Marsida Saraçi, immerhin 13 Zähler und damit einen Mittelfeldplatz für die fantastisch ondulierte Besa Kokëdhima, die beide mit herausragend exekutierten Uptemponummern zu überzeugen wussten. Also, zumindest geschmackssichere Zuschauer:innen in ganz Europa, wenn schon nicht die mitten im Publikum sitzenden heimischen Juror:innen, die zur Durchgabe ihrer Voten ein einzelnes, von ständigen Tonausfällen heimgesuchtes Funkmikro von Hand zu Hand durch die Sitzreihen des Kongresspalastes zu Tirana reichen mussten. Während die Senderegie zu Transparenzzwecken eine notdürftig kaschierte Exceltabelle einblendete, in welcher ein bedauernswerter Mitarbeiter die kaum zu verstehenden Punkte einzutragen und aufzuaddieren suchte. Zuvor noch gaben in der längeren Wertungspause neben den Stargästen Juliana Pasha und Manga sogar noch sämtliche drei Moderator:innen alles, um singend und tanzend die Zeit bis zur Ergebnisermittlung zu überbrücken. Einmal Fernsehen machen wie die Großen!
Gleich platzt die Halsschlagader: Aurela setzte vor allem auf Lautstärke. Und das konnte man nicht nur hören, sondern auch sehen.
Auf Rang zwei, das aus rein anekdotischem Interesse hier am Rande, landete eine unfassbar lahme Ballade von Alban Skënderaj und Miriam Çani: die ist den Meisten sicher nicht mehr bekannt als Teil der extrem kurzlebigen deutschen Popstars-Castingband Preluders! Es gewann eine furchteinflößende Domina mit einem laut geschrieenen, dezent orientalisch anmutenden Klagelied mit ‘Kënga’ (‘Lied’) im Titel. Dessen Interpretin Aurela Gaçe, ihres Zeichens bereits zweimalige Gewinnerin des FiK während der Vor-Eurovisions-Phase vor 2004, feierte nach einer zehnjährigen, in den USA verbrachten Karrierepause gerade ihr Comeback in der Heimat. Angeblich wollte sie die Einladung zum FiK zunächst sogar ausschlagen, weil es an der “Zeit für neue Künstler:innen” sei. Dann überlegte sie es sich jedoch anders. Nach ihrem Sieg stieg sie erneut in den Flieger, um in Los Angeles eine bis zur völligen Unkenntlichkeit neu abgemischte, englischsprachige Fassung namens ‘Feel the Passion’ einzuspielen. Bei der man allerdings aufgrund ihrer verwaschenen Aussprache selbst in der Studioversion vom (völlig egalen) Text kaum etwas verstand: “I dab my Lips with your Morning Stool”? “I hold my Nipple in the open Sky”? “Trust me there, my Disney Land’? Was sang diese Frau da nur?
Pech für Kriegerbraut Aurela: in Düsseldorf loste sie Startplatz 3 im Semifinale aus – der Todesslot.
Jeglicher in der albanischen Originalversion eventuell noch in Spurenelementen vorhandene Charme ging damit endgültig baden, und dass Frau Gaçe im Semifinale zu Düsseldorf zwar nicht weniger lautstark, aber deutlich heiserer und vor lauter Anstrengung hörbar schweratmend ins Mikrofon röhrte, besiegelte die erste albanische Nichtqualifikation seit vier Jahren.
Vorentscheid AL 2011
Festivali i Këngës 49. Samstag, 25. Dezember 2010, aus dem Kongresspalast in Tirana, Albanien. 18 Teilnehmer:innen. Moderation: Jonida Maliqi, Mirela Naska, Josif Gjipali.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
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01 | Françesk Radi | Kemi dasëm’o | 013 | 08 |
02 | Hersi Matmuja | Me cilin rri ti Dashuri | 007 | 11 |
03 | Goldi Halili | Në Krahët e tua | 000 | 17 |
04 | Marsida Saraçi | Vetëm s’jemi në Botë | 002 | 16 |
05 | Besa Kokedhima | E Bukura dhe Bisha | 013 | 08 |
06 | Alban Skenderaj + Miriam Cani | Ende ka Shpresë | 066 | 02 |
07 | Enkeleda Arifi | Një Dashuri | 036 | 05 |
08 | Aurela Gaçe | Kënga ime | 082 | 01 |
09 | Maria Prifti | Pasuri e Pasurive | 005 | 14 |
10 | Saimir Braho | Shtegtar i Jetës time | 048 | 03 |
11 | Dorian Nini | Mirë se vini në Shqipëri | 029 | 07 |
12 | Selami Kolonja | Ëndërr Kosove | 006 | 12 |
13 | Xhejsi Jorgaqi | Rastësi | 044 | 04 |
14 | Albi Xhepa + Semi Jaupaj | Dritë | 000 | 17 |
15 | Dorina Garuci | Mirëmbrëma ëngjëlli im | 034 | 06 |
16 | Kamela Islami | Jetova për të dy | 012 | 10 |
17 | Orges Toçe | Mari | 003 | 15 |
18 | Denis Hasa | Mbi Xhaketën time | 006 | 12 |
Letzte Aktualisierung: 07.09.2022
Mal abwarten.… .….wie sich die ESC-Version anhören wird. Kann gut sein, dass sie nicht mehr viel mit dem Original gemein haben wird. Die eine Version ist für das FiK-Publikum gemacht worden, die andere hoffentlich für das internationalere ESC-Publikum.
Video gibt es hier: http://www.youtube.com/watch?v=3r5cWoZFIw0
Danke für den Link, aber das Video kann ich nicht einbinden, also hier nicht zeigen. Das hat übrigens genau der Typ reingestellt (und das Einbetten deaktiviert), der das sonst überall sperren lässt. Anscheinend einer von der albanischen Musikmafia.
.…und das ist auch nur zu verständlich, denn man muss die Perlen, die absoluten Verkaufsschlager vor den bösen Schmarotzern schützen. Was einem da entgeht an Topfscherben, Glasperlen, Eseln…oder wie ist die Währung in Albanien? Also ich find’s der absolute Hammer.…was sich da hinter der Tussi an der Wand abspielt. Ach, darum geht’s gar nicht? Schade, fand ich schön bunt. Würde es den Verantwortlichen empfehlen, das Lied so zu lassen wie es ist im Original. Dürfte auf dem Balkan gut ankommen (weil die für so was irgendwie Verständnis haben – warum ist dem Mitteleuropäer ein Rätsel)und dem einen oder anderen westeuropäischen Jurymitglied Bedeutungsschwangerkeit und Anspruch vorgaukeln (gerade, weil sie’s nicht verstehen), womit dort auch noch was abfiele. Englisch würde diesen Lug und Trug…ähm, schlichteren Inhalt nur zerstören. Aber es ist ja Albanien – Sprache ist noch das Wenigste, was sie ändern werden. Mal sehen, ob sie Aurela ebenfalls durch alle Friseursalons Tiranas hetzen wie.…die vom letzten Jahr halt.
‘…oder wie ist die Währung in Albanien?’ Lek Passt auch irgendwie, oder? Der Satz, den man denen an den Kopf werfen möchte, fängt jedenfalls mit einem recht ähnlichen Wort an…
was habt ihr denn? Wie in jedem Jahr wird in Albanien wirklich solides Material geboten. Nur schade, dass das dann oft später nach Englisch transferiert wird. Meist verliert es dadurch ziemlich. Ja, ich gebe zu, ich habe eine Vorliebe für schreiende Frauen – wenn sie so gut schreien wie Aurela. Etwas sperrig zunächst, daher wahrscheinlich in realiter kein Siegertitel, da viele es ja nur einmal hören werden, aber in meiner persönlichen Wertung einer von 3 Titeln, die ich ‘richtig gut’ finde (neben Polen und Belgien).
Überzeugt mich nicht Ich war in den vergangenen Jahren immer begeistert von den albanischen Beiträgen. Aber das geht für mich irgendwie beim einen Ohr rein und beim anderen wieder raus. Nichts für mich, schade…
hmpf na wenn die das live stimmlich stemmen kann, solls mir recht sein – dann könnte es mir sogar gefallen. man kann aber auch alles falsch machen und dann wirds richtig peinlich. irgendwo zwischen diesen beiden extremen wird das ganze dann letztlich landen (und der vorredner hat auch recht: wiedererkennungseffekt=0
abba gut isses imma noch Ich hatte so meine Befürchtungen mit der Verlagerung ins Englische, weil meiner Meinung nach gerade albanische Titel da meist enorm verlieren. Hält sich aber diesmal in Grenzen. Frau Gace überzeugt mich immer noch. Singen kann sie wirklich gut, und der Song ist vielleicht etwas sperrig, hat aber was.
Dass das Lied durch die Übertragung ins Englische nicht so viel verliert, liegt sicherlich daran, dass man das Englische als Solches auch nicht erkennt. Und von wegen ‘furchteinflößende Domina’. Diese Frisur, diese Augen… they’re freaking me out! *zitter*
Nicht schlecht.… Ich finde die neue Version nicht schlecht – keine Ahnung, ob es für das Finale reicht, aber der Song hebt sich wohltuend von den glatten Beiträgen der Konkurrenz ab.
Sie haben’s getan. Sie haben’s wirklich getan.… Aber wundert uns das? Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin kein Kämpfer dafür, dass in Landessprache gesungen werden soll. Aber hier wäre der Charakter des Liedes besser rübergekommen. Das Lied verlangt fast sogar was Balkanesisches. Nichtsdestotrotz siedele ich es im Feld aller Beiträge im grauen Mittelfeld an. Hätte aber etwas besser sein können.