Die Schweizer:innen sind schon verdammt coole Säue! Pünktlich mit der offiziellen Starterlaubnis der EBU zum 01.09.2011 eröffneten sie die Eurovisionssaison 2012. Und das mit Grandezza! Wie bereits im Vorjahr richtete das Schweizer Fernsehen eine eigene Internetplattform ein, auf der jede:r – aber auch wirklich jede:r! – eigene Songs und Videoclips hochladen und sich für das eidgenössische Ticket nach Baku bewerben durfte. Selbstverständlich wurde dieses Kreativventil vom ersten Tag an von viertel- bis semiprofessionellen Musikant:innen aus aller Welt fleißig genutzt, um ihre von den heimischen Plattenfirmen völlig zu Recht abgelehnten Songgurken doch noch unter die Öffentlichkeit zu bringen.
Trotz des Aufrufs am Ende: da lästere ich lieber, statt zu spenden.
Doch auch echte Amateur:innen blamierten sich bereitwillig zu unserer aller Schadenfreude – es war wie DSDS, nur ohne den schrecklichen Bohlen! Ob aus Irland, Serbien, Belgien oder gar dem Vereinigten Königreich (Maria Lawson flog dort bereits 2005 in einer der ersten Runden der Castingshow X‑Factor raus, in deren deutschem Ableger der äußerst gutaussehende Ex-Rapper Das Bo gerade seinen Restruhm als Juror ausverkauft): die Beiträge trudelten aus ganz Europa ein. Jede Menge trashtastischer Handtaschenhouse war im Angebot, ob vom Belgier Mael, der rumänischen Dragqueen Silviu Iancu oder, besonders skurril, vom heimischen Tommy Fresh. Der rappte zu seinem unfasslichen Kirmestechno, der in dieser Form selbst in Neunzigern peinlich gewesen wäre, vor idyllischer Burgwaldkulisse.
Das gibt Haue von Lemmy – darauf verwette ich meinen Arsch!
Den Vogel schoß aber die nach eigenem Bekunden “erste schweizerische Motörhead-Tribute-Band” Nö Mercy ab, die mit ‘Bet your Ass on it’ einen selbstgeschriebenen Hardrocksong einreichte, akustisch und optisch allerdings genau das tat, was ihre Bandbeschreibung versprach. Und auch, wenn sich bereits fünf Tage nach dem Start so viel herrlicher Trash angesammelt hatte, nahm das deutschsprachige Schweizer Fernsehen noch bis Ende September 2011 Beiträge entgegen. Die dann ab Mitte Oktober 2011 zur Internet-Vorabstimmung durch die Fans standen, natürlich nicht ohne den mäßigenden Einfluss einer Senderjury.
12 Punkte für’s Makeup: Ultra Naté
Je mehr sich dieser Einsendeschluss näherte, desto mehr *hüstel* große Namen kamen hinzu. Prominenteste Bewerberin dürfte wohl die US-amerikanische House-Heldin Ultra Naté gewesen sein, die 1997 mit der auch heute bei CSDs noch gerne gespielten Hymne ‘Free’ einen echten Welthit landen konnte. Nach einigen kleineren Folge-Erfolgen in Großbritannien wurde es in den letzten Jahren stiller um sie. Nun meldete sie sich via Schweiz mit ‘My Love’ zurück, einem hübschen Dance-Smasher, der als Hinhörer das auch schon von Madonna für ‘Hung up’ gesampelte Motiv aus Abbas ‘Gimme Gimme Gimme (A Man after Midnight)’ nutzte. Toll!
Der Männergesangsverein: eine Institution, den Gesang zu nutzen, um dem Weib zu entfliehen und den Wein zu finden.
Einen weiteren alten Bekannten fanden wir in Peter Andersen, der als DQ mit dem Eurodanceklopper ‘Drama Queen’ 2007 für Dänemark beim Grand Prix teilnahm – dem bis dato einzigen guten Beitrag unseres nördlichen Nachbarlandes im neuen Jahrtausend. Er hatte es bereits letztes Jahr mit einer weiteren großartigen Dance-Nummer in der Schweiz probiert, kam aber nicht ins Finale. Doch so schnell gibt eine kampferprobte Drag Queen nicht auf: unter seinem bürgerlichen Namen schickte er diesmal die Ballade ‘Second Chance’ ins Rennen. Welche ihm die Schweizer:innen – so viel kann ich schon mal vorweg nehmen – allerdings nicht gönnten.
Stefan Raab lässt grüßen: ein paar Glitzerklamotten machen noch keinen ESC-Beitrag.
Wie es aussieht, wenn Girlgroups wie Asthmatic Kitten oder die Sugarbabes sich nach einer fünfzehnjährigen Babypause wieder vereinigen und sich trotz Schwangerschaftsstreifen in ihre alten Kostüme zwängen, demonstrierte uns die Schottin Karla Bernadi. Auf der Insel fand sie wohl keine Plattenfirma, die das haben wollte. Aber für Kontinentaleuropa reichte es, so wohl das Kalkül. ‘Never miss a Beat’ war aber tatsächlich keine all zu schlechte Elektropopnummer. Ich wäre unbedingt dafür gewesen, dass die Schweiz das schickt – unter der Bedingung, dass Karla und ihre Mädels in den Bühnenklamotten aus dem Video auftreten und auch diese Choreografie tanzen!
Und ewig lockt die Neue Welt: Hans-Otto.
Die Fans von Schweizer Mundart wurden diesmal eher spärlich bedient. Immerhin gab es mit ‘Mountains high’ einen neuerlichen Beitrag aus dem Dunstkreis von Fräkmündt – wenngleich es sich dankenswerterweise nicht um Celtic Rock, sondern um einen leicht kruden Mix aus verschiedenen Dance-Stilen, mundartlichen Strophen und englischem Refrain handelt. Ein weiterer Song, für den man vermutlich Eidgenoss:in sein musste, um ihn goutieren zu können: ‘Schalala- d’s Guatmoensche Lied’ des Männerchors Steili Kressä. Ob ihre Gutmenschen-Parodie lustig oder reaktionär war, vermag ich nicht zu beurteilen: ich verstehe kein Wort von dem, was sie singen! Ähnlich schweizspezifisch: die wohlerzogen wirkende helvetische Atzenvariante Homies mit ‘Partysafari’ oder der Auswanderersong ‘In the USA’ von Hans Otto von Allmen.
Das Karriereende: Same Difference.
Dem Fass die Krone ins Gesicht schlug aber, neben dem Cowboystiefel-Fetischvideo zum astreinen, wenngleich schlimm geknödelten ‘Country Livin” einer Formation namens Road, der Kroate Marijo Jurenic. ‘Stop now’ hieß sein Titel, und da mochte man ihm umgehend zustimmen. Vermutlich im Heizungskeller mit einem Mono-Kassettenrekorder Baujahr 1987 aufgenommen, war die Soundqualität aber nicht das drängendste Problem. Eher schon die völlige Unmusikalität des Sängers. Auf die letzte Minute kurz vor dem Einsendeschluss kam dann natürlich noch mal ein ganzer Schwung von Beiträgen rein: Lustiges, Hoffnungsloses, aber auch Spitzenware!
Der menschgewordene Flummi: Mave O’Rick.
Oder gleich eine Kombination davon, wie bei den britischen X‑Factor-Zwillingen Same Difference, die mit ihrer fabelhaften Bubblegum-Popnummer ‘Music’ hier wohl so etwas wie den letzten verzweifelten Versuch unternahmen, die im Heimatland bereits tote Karriere im Fahrwasser von Jedward nochmal wiederzubeleben. Es folgte der unvermeidliche deutsche Eurovisionstroll Mave O’Rick, der seit Jahren in solchen Foren überall schlimme Beiträge abwarf, wo man ihn nur ließ. ‘My Beat’ war eine nur auf größeren Mengen Speed goutierbare HiNRG-Tanznummer für Duracell-Discohäschen. Und wo wir schon bei den schädlichen Folgen von zu vielen Drogen sind: als Warnung vor übertriebenem Kiffen durfte das sinnlose, nüchtern betrachtet unlustige ‘Wind-Lied’ von Uku-BangBang fungieren.
Von dem, was die Jungs da hatten, möchte ich lieber nichts: Uku BangBang.
Pittoresk: vier als Romanz antretende südafrikanische Anzugmodels versprachen uns vor einer malerischen schweizerischen Bergwiesenidylle, Rom an nur einem Tage zu erbauen. Glaub ich nicht. Leersingen vielleicht, das würd ich ihnen eher zutrauen! Extrem tragisch auch das Mopsgesicht Markus Müller und seine bedauernswerte Tochter Anastasia. Ihr ‘Face to Face’ war das Update zu Udo Jürgens’ ‘Liebe ohne Leiden’ – nur in ultragrottig und fremdschämpeinlich. Mein Beileid an das arme Kind, das hernach sicherlich täglich in der Schule gemobbt wurde. Und Vorsicht: englischen Muttersprachlern könnte bereits bei den ersten zwei Textzeile das Gehirn explodieren!
Herr Siegel, waren Sie das? Die Romanz-Buben versuchten es zweigleisig.
Die gleiche Gefahr drohte auch beim Anschauen des Videos zu ‘Step by Step’ der, wenn ich das richtig verstanden habe, in Aserbaidschan produzierten Russin Evera Djali passieren: visueller Overload! Da es sich um die Schweiz handelt, gestaltete sich die Prä-Vorauswahl natürlich komplizierter als ein Experiment in Teilchenbeschleunigung, denn die französisch- und italienischsprachigen Teile des Landes wählten in getrennten Verfahren. Und während im deutschsprachigen Teil Helvetiens 221 Einsendungen zusammenkamen, waren es in der Romandie gerade mal 29, davon mindestens vier Doubletten: SinPlus, Loïc Schumacher sowie die bereits erwähnte südafrikanische Boygroup Romanz und der Belgier Mael reichten ihre Songs bei beiden Sendern ein.
Komm zurück, Andrea Jürgens, alles ist vergeben!
Ansonsten fand sich in der frankoschweizer Auswahl noch die kleine Schwester von Angelica Aggrobitch, nämlich die 36jährige, mittlerweile in Genf lebende Lynda Craft. Ihr Künstlerinnenportrait las sich ähnlich märchenhaft hochtrabend wie die Prinzessinnenprosa-PR, welche die belarussische Agurbash 2005 verbreiten ließ. Und auch die Art und Weise, wie sie sich zu ihrer Kylie-light-Discomucke im fadenscheinigen Leibchen auf dem Fauteuil und an der Clubstange räkelte und dazu mit nicht minder fadenscheinigem Stimmchen ‘Dance for me’ hauchte, legte nahe, dass die Osteuropäerin in Wahrheit einfach nur mittlerweile zu alt fürs Animiergewerbe war und sich deshalb gerade noch rechtzeitig einen reichen Schweizer angelte, der ihr nun die Musikkarriere finanzierte. Meinen Glückwunsch!
Versuchte es 2012 auch beim russischen Vorentscheid, ebenfalls vergeblich: Lara Lynda Craft.
Meine Güte, Biljana Obradovic Bixy wirft alles… naja, vieles … okay, manches in die Waagschale, um von ihrem Song abzulenken 😀 Und hoffentlich reicht Fred Weston noch was ein 😀 😀
Hmm… Evelyne Kessler’s YOU kommt mir kompositorisch in den Strophen mitunter irgendwie bekannt vor, ich kann nur nicht sagen, von welchem Song… Aber sehr schön die idyllischen Hochspannungsleitungen im Hintergrund in ihrem Video 😀
Bubi-Sänger à la Bieber & Co. kann ich sowas von überhaupt nicht ab. Allein wie dösig die immer in die Kamera gucken macht mich würgen. Aber irgendwie gefällt mir ‘Near me’ von Loic Schumacher – verdammt!!! 😡 Gibt’s hier ’nen Arzt?
Puh! Gute Güte, da werd ich ja sogar meinem ehernen Prinzip ein bisschen untreu, nichts anzuschauen, bevor nicht alle Beiträge feststehen. Den Jungen da im Video mit der Katarrhe hab ich mir angeschaut, aber nur, weil Ollis Kommentar mich so neugierig gemacht hat 🙂 Aber den werden wir nicht in Baku sehen, da bin ich sicher, von daher alles im grünen Bereich – aber was ich eigentlich sagen wollte: Ist außer mir noch irgendwem in den Strophen eine Ähnlichkeit mit den Strophen des widerlichsten Beitrags dieses Jahres (Dänequark) aufgefallen? (und bevor die anwesenden Dänen anfangen zu schimpfen: Ich liebe sowohl Land als auch Leute, aber für einen Großteil ihrer Eurovisionsbeiträge gehören sie eingesperrt!)
SILVIU IANCU HEY DU BLOEDMANN, SILVIU IANCU IST EIN ST. GALLER UND ER IST KEIN DRAG OUEEN… SCHON MAL WAS VON GOTHIC LOOK GEHOERT????
Alles ist gut! Wer schreit, hat Unrecht. 😀 Er kommt gebürtig aus Muränien, steht sogar auf seiner Homepage. Dass er jetzt St. Galler ist, steht dazu ja nicht im Widerspruch. Geht ja beides. Und ‘Gothic Look’, was immer das sein mag, ist ja auch eine Verkleidung = Drag. Ist doch auch beides völlig okay. Also entspann Dich, bitte. Seine zwei Songs find ich übrigens ganz nett. Auch wenn ich glaube, dass er damit in Rumänien bessere Chancen hätte, ins Finale zu kommen, als in der Schweiz. Aber ich drück ihm die Daumen.
Ich *liebe* solche selbstproduzierten Videoclips zu Engelbert-Humperdinck-Sound vor heimischer Gartenkulisse! Aber das geilste ist die hamstermäßig über beide Wangen grinsende Panflötistin im Weinberg bei 2:29 Min. – so herzhaft hab ich schon lange nicht mehr gelacht! Ein Knüller! Und natürlich hoffe auch ich inständig, dass der gute Fred Weston da noch eins drauflegt!
Bis es soweit ist, erfreuen wir uns halt an Fred Weston’s Interpretation von ‘My Way’: http://youtube.com/watch?v=ZBCBowJBa6s 😀
Albana Azizi: I love it Das Video: Ein Tag im Leben einer privilegierten Arbeitslosen. Der Song: Durchzug zwischen den Ohren.
Estella Benedetti & Michael Giger: Stand behind me Verlange ich zuviel, wenn ich erwarte, dass die in einem Musikvideo gezeigten Interpreten doch bitteschön das Lied singen, dass man hört und nicht offenkundig irgendein anderes?
Mael: Tolerance Verlange ich zuviel, wenn ich erwarte, dass der in einem Musikvideo gezeigte Interpret doch bitteschön das Lied singt, dass man hört und nicht offenkundig irgendein anderes?
Marijo Jurenic: Stop Now Mein lieber Mann, ganz große Kunst, ohne Scheiß. Es muss Kunst sein (oder sowas Ähnliches), denn sowas hatte ich wirklich noch nie, niemals vorher, erlebt. Dass ich mir bei wirklich ausnahmslos jeder einzelnen gespielten Note und vor allem bei ausnahmslos jedem einzelnen, naja, gesungenen Ton wünschte, der Interpret möge den Titel seines Songs sofort umsetzen, gab es in diesem Extrem wirklich noch nie. Ich muss was trinken…
saxmax: Because You Live saxmax: ‘Wer hat man Video so zerstört?’ T.I.L.I.I.: ‘Wer hat meine Ohren so zerstört?’
the message: nie meh gseh Na, was denn nun: die Botschaft oder das Durchkneten? Seltsam… Und außerdem: Verlange ich zuviel, wenn ich erwarte, dass… Ach, was soll’s…
Tragischer als die Hochspannungsleitungen finde ich ja, dass die wunderbare, dramatische Spannung, die in den Strophen des Lieds aufgebaut wird, plötzlich in einen Kitsch-Refrain kippen muss. Bin mir selten so verarscht vorgekommen. 🙄 Aber die ersten 30 Sekunden des Liedes liebe ich. 😉
Albana Azizi – I love it Dein lied ist echt klasse Albana… Ein echter orwum!!! Wünsche dir gaaaanz viel erfolg.. du bist die beste! 😀
Albana Azizi – I love it Albana ist eine der besten!!! Sie hat eine Ausgebildete Stimme! Konsi Bern sage ich nur. Gooo Albana 🙂
Es gibt Neues von Fred Weston! Er hat ein ganzes Album auf den Markt geworfen! Hier Kostproben:
http://www.youtube.com/watch?v=CLyGuVur1oc
Ein Must-Have!
Große Güte, Fred – ein riesiges Phallussymbol gleich bei 0:22…