Ich gebe zu, als ich diese Meldung eben las, musste ich erst mal auf den Kalender schauen. Nein, es ist nicht der 1. April; nein, es handelt sich nicht um einen Fanorak-Scherz. Es scheint tatsächlich wahr zu sein: die mittlerweile 87jährige Grand-Prix-Legende Lys Assia, Siegerin des allerersten Song Contests von 1956, bewirbt sich in diesem Jahr erneut um das Ticket für die Schweiz. Mit einem Song von (imaginärer Trommelwirbel): Ralph Siegel! Nein, ich habe mir das nicht ausgedacht! Die Premierensiegerin und der seit Jahrzehnten kompositorisch daueraktive “Mr. Grand Prix”: mit diesem feuchten Traum der “Früher war alles besser”-Fraktion dürfte wohl der ultimative Rekord in Sachen Rückwärtsgewandtheit aufgestellt sein. Mehr geht einfach nicht! Musikalisch klingt der retrospektive Lebensabschlussgruß ‘C’etait ma Vie’ wie frisch aus 1956 entführt – wenngleich die Stimme der noch immer rüstigen Sängerin, welche die große Geste nach wie vor routiniert beherrscht, mittlerweile etwas brüchiger daherkommt. Bösartige Eurovisionsnattern anderer Blogs weisen angesichts des hohen Alters des Eurovisionsurgesteins bereits besorgt darauf hin, dass es noch acht Monate bis zum Event von Baku sind…
Die schweizerische Antwort auf Eartha Kitt: Lys Assia.
Die Grand Dame des Grand Prix fürchtete allerdings selbst um ihre Chancen beim schweizerischen Vorentscheid, wie sie kurze Zeit später vermeldete. Grund: in der Vorrunde des deutschsprachigen Fernsehens SF zur gesamthelvetischen Großen Entscheidungsshow am 10. Dezember 2011 erfolgte das Voting ausschließlich über das Internet. Das schlösse viele Menschen ihres Alters – und damit ihre Hauptzielgruppe – aus. Denn, so Lys: “Wer hat schon Internet”? Zudem beklagte sie, dass man sich zum Abstimmen mit Namen registrieren musste, was das Prozedere erschwere. Aber da kann ich Lys beruhigen, denn es sind Stimmen aus ganz Europa erlaubt. Und der Ralph, der hat dieses Internet. Und das Telefonbuch von München. Da stehen ganz viele Namen drin, auf die man sich registrieren kann! Außerdem hatte auch die schweizerische Jury noch ein Wort mitzureden. Und die ließ unser Grand-Prix-Urgestein natürlich nicht hängen. So bestätigte das Schweizer Fernsehen Anfang November 2011 denn auch, dass Lys Assia die Vorauswahl überlebt habe und sicher im Finale in Kreuzlingen sei.
Hier verrät uns Lys, warum sie 1958 mit dem fantastischen ‘Georgio’ knapp nicht gewann: man hielt sie wegen der Zeile “Polenta, Polenta, Polenta, Polenta” für eine bullenstaatfeindliche Linksterroristin!
Letzte Aktualisierung: 01.06.2023