Vier­ter Super­sams­tag: The Party’s over now

Welch ein Blut­bad am gest­ri­gen Super­sams­tag! Im letz­ten Semi­fi­na­le des schwe­di­schen Melo­di­fes­ti­valen fie­len gleich zwei Iko­nen glor­rei­cher ver­gan­ge­ner Tage der man­geln­den Sen­ti­men­ta­li­tät heu­ti­ger Voter und Juro­ren zum Opfer: der einst­mals euro­pa­weit erfolg­rei­che Sieb­zi­ger­jah­re-Schla­ger­star Syl­via Vret­hammar (‘Evi­va Espa­ña’) mit ihrer ‘Tri­via­li­tet’ sowie die Neun­zi­ger­jah­re-Euro­trash-Hel­den Army of Lovers (‘Cru­ci­fied’), die sich in Ori­gi­nal­be­set­zung wie­der zusam­men­ge­fun­den hat­ten. Sie lie­fer­ten mit ‘Rockin’ the Ride’ exakt das ab, was ihnen in alten, bes­se­ren Zei­ten die Lie­be einer gan­zen Armee an Fans sicher­te: eine simp­le Ohr­wurm­me­lo­die, straigh­te Dance­beats, einen von all zu viel inhalt­li­cher Tie­fe befrei­ten, repe­ti­ti­ven Text und eine hoch­gra­dig cam­pe Show mit sehr viel blan­ker Haut. Ob ihr scho­ckie­ren­der sechs­ter Platz dem Umstand geschul­det ist, dass Pierre Bar­daa, der bis auf eine swa­row­skist­ein­be­setz­te, haut­far­be­ne Inkon­ti­nenz­win­del und ein Paar sil­ber­ne Nip­pel­ster­ne nackt über die Büh­ne stol­zier­te, auch nicht mehr der Frischs­te ist – oder doch eher der Unbe­liebt­heit von La Camil­la, der eine Affä­re mit König Carl Gus­taf nach­ge­sagt wird, im Volk?


So camp wie ein Zelt­la­ger: Army of Lovers

Ihr unsanf­tes Aus­schei­den, gera­de noch im bis­lang ja immer als libe­ral gel­ten­den Schwe­den, bebil­dert in trau­ri­ger Wei­se den Durch­marsch des neu­en Pie­tis­mus auch beim ehe­ma­li­gen Trash­fes­ti­val Grand Prix. Gera­de, wenn man bedenkt, wer in die­ser Run­de wei­ter­kam: ein ras­peln­der, ernst drein­bli­cken­der Mann am bren­nen­den Kla­vier (Ralph Gyl­len­hammar, dem das jedoch allein schon wegen sei­nes fan­tas­ti­schen Fern­fah­rer­por­no­schnau­zers gegönnt sei) sowie das prä­pu­ber­tä­re Milch­büb­chen Ulrik Mun­ther, der mit ‘Tell the World I’m here’ eine schla­ge­ri­sier­te Vari­an­te von Para­di­se Oskars Ret­tet-die-Erde-Lager­feu­er­lied­chens ‘Da da dam’ dar­bot. Nur, dass Ulrik es im Gegen­satz zum schel­mi­schen Oskar kei­nes­falls iro­nisch mein­te. Erns­te Zei­ten ste­hen uns bevor, scheint es.


Wol­le kau­fe schö­ne Tep­pich? Ten­fold Rabbit

Beim Eesti Laul schlach­te­ten die Tele­vo­ter unter­des­sen die Jurys. Stimm­te man im ers­ten Semi letz­te Woche noch in vier von fünf Fäl­len über­ein, so kas­sier­te das Publi­kum dies­mal vier der fünf Jury­fa­vo­ri­ten: Voll­klat­sche!. Zu den Durch­ge­fal­le­nen gehör­ten über­ra­schend die Indie-Hel­den Ten­fold Rab­bit (‘Balan­ce of Water & Stone’), zu den über­ra­schend Wei­ter­ge­kom­me­nen der tra­gi­sche ewi­ge Lau­list Rolf Roos­a­lu mit einem beson­ders schmier­lap­pi­gen Senio­ren­schla­ger. Sowie, nicht ganz so über­ra­schend, das der­zeit im Lan­de extrem popu­lä­re Rap-Pro­jekt Põh­ja-Tal­linn, des­sen hym­nen­haf­tes ‘Meil on aega veel’ eigent­lich von dem char­man­ten Kin­der­kir­chen­gos­pel­chor lebt, wel­cher in der Ori­gi­nal­fas­sung den Refrain bei­steu­ert. Die­sen Part über­nahm ges­tern Abend eine sicht­lich und hör­bar völ­lig über­for­der­te, erwach­se­ne Blon­di­ne, zu Boden gerappt von vier pein­li­chen wei­ßen Sprech­ge­sangs­künst­lern und Eminem.


Das ist doch Emi­nem, der Blon­de, oder?

Den über­ra­schends­ten Bei­trag lie­fer­te indes die als Pau­sen­act gebuch­te Get­ter Jaa­ni. Wer erin­nert sich nicht ger­ne an die zau­ber­haf­te klei­ne Popel­fe von 2011, die uns mit dem flot­ten ‘Rocke­fel­ler Street’ und einer knall­bun­ten, fröh­li­chen Büh­nen­show unter­hielt? Nun, sie hat ihren musi­ka­li­schen Stil mitt­ler­wei­le leicht modi­fi­ziert und lie­fer­te – lei­der außer­halb der Kon­kur­renz – ein düs­te­res, brett­har­tes Stück Metal ab, gegen das der bis­he­ri­ge Eesti-Laul-Auf­re­ger Win­ny Puhh wie eine Kin­der­ge­burts­tags­trup­pe wirkt. Respekt, Frau Jaa­ni! Hin­ter den sie­ben Ber­gen bei den Sie­ben­bür­gen schräg­te es unter­des­sen die ehe­ma­li­ge mol­da­wi­sche Euro­vi­si­ons­teil­neh­me­rin Nata­lie Bar­bu im ers­ten Semi der rumä­ni­schen Vor­ent­schei­dung. Kein Verlust!


Wie­der­erkannt? Doch, das ist sie, die put­zi­ge Getter!

Ins Fina­le schaff­te es hin­ge­gen mein Trash-Favo­rit Cezar. Der im schwar­zen Mad-Mäx­chen-Out­fit aus­staf­fier­te und zur Tar­nung von einer Hand­voll Milch­stra­ßen­mäd­chen umtanz­te Tenor fis­tel­te sich durch einen boh­le­nes­ken Acht­zi­ger­jah­re-Euro­dance-Song und weck­te so unfrei­wil­lig schau­rig-schö­ne Erin­ne­run­gen an das bul­ga­ri­sche Krass­mir-Desas­ter von 2009. Ja, ich weiß, habe ich schon mal prä­sen­tiert, aber das ist so schreck­lich schön, das kann man gar nicht oft genug sehen! Was bin ich froh, dass wir die ehe­ma­li­gen Ost­block­län­der beim Euro­vi­si­on Song Con­test dabei haben: wenigs­tens auf die ist in Sachen Euro­trash noch Ver­lass! Und so ist die Hoff­nung auf den ein oder ande­ren Son­g­un­fall auf der Grand-Prix-Büh­ne doch noch nicht ganz verloren…


You’ll be ama­zed, ‘cau­se I have the Power to chan­ge my Ways

10 Comments

  • Ich muß geste­hen ich war von dem skur­ri­len Auf­tritt vom Army of Lovers äußerst über­rascht. Der fast nack­te Bar­da + der völ­lig zuge­wu­cher­te Bard zusam­men mit der äußerst matro­nen­haft wir­ken­den La Camil­la, was ist nur aus unse­ren Ido­len der 80er gewor­den … Den Titel fand ich auch eher gewöhn­lich nichts fürs Ohr allen­falls fürs Auge wegen den Tän­zern. Aber was solls wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten^^

  • Tja, so super war der Super­sams­tag denn nun lei­der nicht. Das kam natür­lich nicht unerwartet.

    Gera­de bei den Schwe­den habe ich selbst­ver­ständ­lich damit gerech­net, dass sie wie­der sehr komisch ent­schei­den. Des­we­gen (und weil die im Vor­feld zu sehen­den Schnip­sel eh nicht viel Inter­es­san­tes boten) habe ich mir das auch nicht live ange­tan. Aber dass es wirk­lich so pas­siert, dass exakt die 4 schlech­tes­ten Songs wei­ter­kom­men, der Aller­furcht­bars­te (Bed on fire; wenn der das par­odis­tisch mein­te, so à la Hel­ge Schnei­der, könn­te ich es bes­ser ertra­gen, aber das neh­me ich ihm nicht ab) sogar direkt ins Fina­le, wäh­rend die ein­zi­gen Licht­bli­cke (Lucia Pine­ra und vor allem Tere­se Fre­den­wall; nein, ich mei­ne natür­lich NICHT Army of lovers) aus­sor­tiert wur­den, ent­setzt mich schon. Bezüg­lich Ulrik Mun­ther und Para­di­se Oskar lie­ge ich mit dem Haus­herrn exakt auf einer Linie.
    Ungarn lief ja ganz gut, aller­dings macht es mir lang­sam Angst, dass die­ser Kal­lay-Saun­ders stän­dig so ganz weit oben ran­giert. Aber immer­hin sind noch gute Leu­te im Ren­nen (mein Favo­rit ist wei­ter­hin Keresz­tes Ildi­kó, eine Art Kreu­zung zwi­schen Patri­cia Kaas und Gian­na Nannini).
    Auch in Rumä­ni­en ver­lief es noch glimpf­lich, hät­te aber bes­ser kom­men kön­nen. Mei­ne 3 Favo­ri­ten waren anfangs ein­deu­tig Elec­tric Fence, Lum­i­ni­ta Ang­hel und Nata­lia Bar­bu (in die­ser Rei­hen­fol­ge). Nach dem Live-Auf­tritt fand ich aber Edict (Bud­dy bud­dy) min­des­tens eben­so gut. Die­se wie auch Nata­lia kamen dann lei­der nicht wei­ter. Dage­gen so ein Schrott wie Casa Pres­ei (un Ref­ren), das zu mei­nem abso­lu­ten Unver­ständ­nis die Publi­kums­wah­len haus­hoch anführ­te. Wie kann denn so was pas­sie­ren? Mehr Ver­ständ­nis habe ich bei dem Kas­tra­ten­ge­sang, der mir zwar per­sön­lich über­haupt nicht gefällt, aber ich muss ein­räu­men, dass der Mensch in sei­nem Métier schon schwer gut ist. Im Gegen­satz zu Kras­si­mir singt Cezar abso­lut sau­ber (zumin­dest in den hohen Lagen, der Anfang in tie­fe­ren Regis­tern kommt nicht so gut).
    Fazit: es hät­te schlim­mer kom­men kön­nen – außer natür­lich in Schwe­den, aber da über­rascht mich sowie­so nichts mehr.

  • Nach­trag: Nicht mal mehr auf die Esten kann man sich ver­las­sen. Von den dar­ge­bo­te­nen Bei­trä­gen waren sie zear immer noch die best­ten und abwechs­lungs­reichs­ten. Lei­der war die Abstim­mung dann furcht­bar. Ich kann über­haupt nicht ver­ste­hen, dass die groß­ar­ti­ge Liis Lem­sa­lu nach ihrem Super-Auf­tritt (gut, der Text des Songs ist nicht so tief­schür­fend, aber das macht doch nichts) eben­so abge­sägt wur­de wie Marie Vai­gla, wäh­rend ein so erbärm­lich gesun­ge­ner Bei­trag wie Meil on aega veel wei­ter­kam! Ein­zig Bir­git Öige­meel ist von mei­nen Faves noch ver­blie­ben. Wie soll das denn weitergehen?

  • Die frü­he­ren Groß­ta­ten der Army Of Lovers in allen Ehren – aber das war nix ges­tern Abend. Der Song war schwach, und wenn die Camil­la es nicht mal fer­tig bringt zum Gesang, den eine Back­ground-Sän­ge­rin freund­li­cher­wei­se zur Ver­fü­gung gestellt hat, die Lip­pen syn­chron zu bewe­gen, ist das schon sehr arm, Trash hin oder her. Über­zeugt hat mich dage­gen Ralf Gyl­len­hammar – musi­ka­lisch zwar (wie bei ver­mut­lich den meis­ten ESC-Fans) über­haupt nicht mei­ne Bau­stel­le bot er die rich­ti­ge Por­ti­on Bom­bast, Pathos und Hin­ga­be – und jun­ge Bübel­chen (wie die mun­the­re Ulri­ke) wer­den wir in Mal­mö sicher noch genug sehen, da ist doch so ein alter Hau­de­gen mit Por­no-Schnau­zer kein Weltuntergang. 😉

  • Das mit dem lip­pen­un­syn­chro­nen Gesang von La Camil­la war, soweit ich das ver­stan­den habe, Teil des Acts. Gewis­ser­ma­ßen eine Par­odie auf das beim MF erlaub­te Teil­play­back. Das war aber ver­mut­lich zu metai­ro­nisch, um ver­stan­den zu werden.
    Und schlech­ter als z.B, “Ride the Bul­let” war “Rockin’ the Ride” jetzt auch nicht!

  • Wenn Est­land sich nur wegen ihrer momen­ta­nen Popu­la­ri­tät für die­se komi­sche Rap-Kom­bo ent­schei­det, pro­gnos­ti­zie­re ich ein “über­ra­schen­des” Aus im Semi­fi­na­le… die Gangstar­ap­per von Who See? wer­den denen schon zei­gen wo’s lang geht. 😉

  • Alle Ach­tung für Get­ter. Hät­te nach dem recht belang­lo­sen (wenn auch viel­leicht put­zi­gen) “Rocke­fel­ler Street” nicht erwar­tet, dass sie auch rich­ti­ge, ech­te Musik kann. Aber das hat sie nun klar bewie­sen. Respekt.

  • Das ist echt ein Ding! Nicht nur das LaCa­mil­la unfrei­wil­lig selig gespro­chen wur­de son­dern auch wie! Nicht die fei­ne schwe­di­sche Art – aber die war ja nie die Sache der AoL’s ;o)

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