Was passiert, sollte Russland in absehbarer Zeit mal wieder den Eurovision Song Contest gewinnen und, wie es derzeit die Regel ist, im Folgejahr austragen wollen? Könnten Teilnehmerinnen wie der österreichische Drag Act Conchita Wurst in Moskau oder Sankt Petersburg unbehelligt auftreten oder würde sie bei der Einreise wegen Verstoßes gegen das Gesetz zur Unterbindung “homosexueller Propaganda” verhaftet? Könnten die anreisenden, mehrheitlich schwulen (und lesbischen) Fans im Euroclub gefahrlos flirten oder müssten sie angesichts der durch die staatlichen Maßnahmen aufgestachelten, homophoben Stimmung im Lande befürchten, Opfer von Übergriffen zu werden? Bereits Ende Oktober sagte Frank-Dieter Freiling, Hauptabteilungsleiter Internationale Angelegenheiten des ZDF und Vorsitzender der Reference Group, dem Eurovisions-Lenkungsausschuss der EBU, im Gespräch mit NDR-Blogger Jan Feddersen: “Das Problem in Russland ist anders als in Aserbaidschan: Die staatlichen Sicherheitskräfte sind das eine – das andere ist aber, dass minderheitenfeindliche Teile der Bevölkerung nicht unter staatlicher Kontrolle sind. Die Jagd auf Minderheiten durch Teile der Zivilbevölkerung (…) wäre eine Bedrohung der Sicherheitslage mancher ESC-Teilnehmer.” Die EBU hat daher, wie auch der Stern gestern berichtete, einen Brandbrief an die beiden russischen TV-Sender Kanal 1 und RTR geschrieben.
Wäre in Russland wohl nicht erwünscht: der dänische Vertreter von 2007
“Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, weil einige große Delegationen massive Sicherheitsbedenken haben, darunter auch Deutschland,” zitiert der Stern den NDR-Unterhaltungschef und deutschen ESC-Verantwortlichen Thomas Schreiber. Dem Magazin zufolge soll Schweden gedroht haben, nicht an einem Wettbewerb in Moskau teilzunehmen, wenn die Bedenken nicht ausgeräumt würden. Schreiber hatte bereits 2012 im Zusammenhang mit den Diskussionen um die problematische Menschenrechts- und Sicherheitslage in Aserbaidschan eine Teilnahme Deutschlands an einem ESC in Weißrussland ausgeschlossen. Auch Freiling hält eine Verlegung des Contests grundsätzlich für denkbar: “Für uns ist die Sicherheitsfrage nicht eine, die sich auf die Übertragungen beschränkt, sondern auf das Euro Village, die Hotels, also das Umfeld. Also in Arealen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Contest stehen. Wir können nicht ein ganzes Land stilllegen, aber der ESC ist mehr als die TV-Übertragungen.”
So ging die Staatsmacht 2009 gegen den Moskauer CSD vor – am Tag des ESC-Finales
Nun muss man sich angesichts der bisherigen windelweichen Linie der EBU keinen all zu großen Illusionen hingeben: ähnlich wie das IOC im Falle der olympischen Winterspiele in Sotschi werden sich auch die Eurovisionsmacher mit einer Erklärung Putins zufriedengeben, dass das Anti-Propaganda-Gesetz auf Teilnehmer und Fans des Eurovision Song Contests im Falle einer Austragung des Events in Russland keine Anwendung findet und man schwulenfeindliche Schlägertrupps aus der Halle fernhalten will. Dennoch ist der Schritt der EBU, schon mal vorsorglich – bekanntlich findet der ESC 2014 im als außerordentlich liberal bekannten Dänemark statt, es besteht also gar keine Dringlichkeit – das Thema zu problematisieren und sogar mit Konsequenzen zu drohen, im positiven Sinne bemerkenswert, zeigt die bislang doch so überängstlich dem imaginär Unpolitischen verhaftete Sendergemeinschaft damit erstmals so etwas wie Arsch in der Hose und tritt für Werte ein. Sehr gut!
Angenommen, Russland gewinnt den nächsten Song Contest.
- Dann bin ich dafür, dass Deutschland nicht teilnimmt. (52%, 58 Votes)
- Dann bleibe ich auf jeden Fall zuhause. Schauen und verfolgen werde ich’s trotzdem. (26%, 29 Votes)
- Das überlege ich mir dann. (16%, 18 Votes)
- Dann fahre ich auf jeden Fall wieder nach Moskau. Ich lass mir das nicht mies machen. (5%, 6 Votes)
- Dann werde ich die Show auch nicht im Fernsehen anschauen. (0%, 0 Votes)
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