Großes Drama mal wieder im Vorfeld des 52. Festivali i Këngës, der jährlichen albanischen Leistungsschau des heimischen Musikschaffens und Vorentscheids zum Eurovision Song Contest. Nur zehn Tage vor der Show sagte das ursprünglich von RTSH als Ko-Moderatorin angefragte kosovarische Model Diellza Kolgeci ab, weil nach einem Wechsel in der Festivalleitung aus finanziellen Gründen plötzlich das Budget für Kost und Logis für ihren persönlichen Assistenten fehlte. Ihr divaeskes Verhalten provozierte eine satirische Antwort des Hauptmoderators Enkel Demi, der sich in einem auf dem Sender ausgestrahlten Clip in gespielter Bestürzung über ihren Rückzug mokierte und gleichzeitig drei willige Nachfolgerinnen präsentierte. Die brüskierte Diellza antwortete via Tageszeitung, es ginge ihr nicht ums Geld: hätte man sie nur rechtzeitig genug informiert, so hätte sie aufgrund ihrer “breiten Connections mit Leichtigkeit 10.000 Hotelzimmer” für lau buchen können. Da RTSH dies jedoch verabsäumte, sei sie nicht bereit, ihre “Werte” (gemeint war wohl: ihren Marktwert) wegen einer einzigen Sendung zu “kompromittieren”. Und so ging das wie immer dreitägige FiK schließlich ohne sie über die Bühne.
Die Playlist mit allen verfügbaren Beiträgen des FiK 52.
Lediglich 16 Wettbewerbsbeiträge fanden sich heuer, deutlich weniger als das sonst Übliche. Es gab im Vorfeld auch nur 40 Einsendungen, so wenige wie noch nie, trotz verlängerter Abgabefrist: eine Folge des enttäuschenden Vorjahresergebnisses? Um dennoch die aus Quotengründen fest eingeplanten drei Abende in Folge bestreiten zu können, ließ RTSH alle 16 für das Finale zu, teilte sie aber dennoch auf zwei (wertungsfreie) Semis auf, die man mit Klassikern aus der FiK-Geschichte, vorgetragen von den aktuellen Teilnehmer:innen im Duett mit Ehemaligen, auf die erforderliche Sendelänge streckte. Wodurch die Wettbewerbstitel gleich noch etwas glanzloser wirkten. Trashige Discosounds fehlten vollständig: kein Wunder bei einer – diesmal wieder nur aus Einheimischen bestehenden – Jury mit einem geschätzten Durchschnittsalter von weit über hundert Jahren. Das führte zu amüsant-ärgerlichen Szenen bei der Punktevergabe, als sich die Herren Komponisten beim Vorlesen ihrer “Pik” vom Zettel vollständig verhedderten und man fürchten musste, dass sie vor lauter Aufregung den Löffel abgäben, bevor das Endergebnis feststand. Ab dem dritten Mümmelgreis übernahmen dann vorsichtshalber die Moderator:innen die Ergebnisansage, damit es voran ging.
Waidwunder Blick: Klodian weckt Beschützerinstinkte.
Die sechs alten Männer und lediglich eine Musikprofessorin (eine verbindliche Frauenquote muss auf dem weiterhin arg patriarchalen Balkan wohl ebenso als Werk des Teufels gelten wie in der in diesen Fragen ebenso rückständigen CDU) setzten meinen persönlichen Lieblingssong, ‘Me ty’ (‘Mit dir’) von Klodian Kaçani, mit deutlichem Abstand auf Rang zwei. Der schmuck anzuschauende junge Herr im Frack mit dem etwas unglücklichen Vornamen musste zwar anfangs ein bisschen nach dem richtigen Ton suchen und gegen das gigantische Live-Orchester ansingen, bot jedoch eine temporeiche, dramatische Klavierballade dar, die mich in ihrer Operettenhaftigkeit normalerweise nicht anspräche, sich im FiK-Umfeld aber als einziger Song mit einer echten Hookline wohltuend heraushob. Apropos Orchester: so froh ich bin, dass es dieses beim ESC nicht mehr gibt, so sehr muss ich den albanischen Klangkörper loben, dessen präzise und eindrücklich gespielten Soundwälle aus Streichern gerade den Rocksongs eine erstaunliche Tiefe verliehen. Auch der Backgroundchor, der einige der auftretenden Interpret:innen locker an die Wand sang, verdient eine lobende Erwähnung.
Keine Chance für den Luchs: nach dem Semifinal-Aus im Vorjahr musste ein Rocksong heuer durchfallen.
Ebenso wie die Rockgruppe Lynx: wie man im Präsentationsclip sehen konnte, eine Handvoll kerniger langhaariger Bombenleger, von denen allerdings nur der Leadsänger (nette Rockröhre) und der Gitarrist auf die Bühne durften. Die restlichen Parts ließ sich das RTSH-Orchester nicht nehmen. Immerhin hatte deren Trommler bei ‘Princesha’ ordentlich Spaß, verfügte der Song doch über einen ganz schönen Schub. Natürlich landeten Lynx mit erbärmlichen sechs Punkten auf dem vorletzten Platz. Aus der Kategorie “Ehemalige Eurovisionsteilnehmer” durften wir den seit seinem noch etwas schüchternen Erstauftritt im Jahre 2006 zu einem ansehnlichen Kerl herangereiften Luiz Ejlli begrüßen, dessen leider ziemliche dröge, wenn auch sauber und verhalten dramatisch gesungene sowie mit wunderschön schwelgerischen Geigen unterlegte Ballade ‘Kthehu’ wohl vor allem für ihr völlig abruptes Ende in Erinnerung bleibt. Anders als der direkt nach ihm auftretende Kollege Frederik Ndoci (2007), dessen fünftplatzierte Ballade ich vor lauter optischem Entsetzen über sein unpassendes schmales Bärtchen überhörte, was allerdings auch nicht schwer fiel, so langweilig, wie diese daherkam. Auch Emmelie de Forest (DK 2013) fällt in diese Kategorie – sie trat als Pausenact auf, wo sie wenig glaubwürdig zum Playback mimte und noch weniger glaubwürdig kundtat, sie lebe seit ihrem Eurovisionssieg ihren Traum.
Das Ende kommt etwas überraschend: Luiz Ejlli hört einfach auf und geht.
‘Zemërimi i një Nate’ (‘Der Zorn einer Nacht’) hieß schließlich der siegreiche Beitrag und albanische Eurovisionsbeitrag 2014 und fasste das Geschehen beim 52. Festivali i Këngës ganz gut zusammen. Eine Art musikalischer Kessel Buntes, den die bei ihrer Akklamation rührend mit den Freudentränen kämpfende Interpretin Herciana Matmuja, auch bekannt als Hersi, da präsentierte: auf ein dramatisches James-Bond-Intro mit Rockgitarren folgten überraschend Trompeten und Geigen, dann kippte der Song unvermittelt in eine relativ klassische Klavierballade um. Hersi, ganz in edlem Schwarz und mit, ahem, interessantem Pagenschnitt, sang mit gedämpfter Inbrunst und angemessen verärgertem Gesicht. Bei den besonders intensiven, sehr offensichtlich als Jury-Bait mit eingebauten hohen Schlusstönen konnte man eine komplette Wassermelone in ihrem Mund versenken. Das wäre alles ganz prima, hätte man nicht eine entscheidende Zutat vergessen: eine Hookline nämlich. Strophen und Refrain ließen sich kaum auseinander halten, das Ganze verschwamm zu einem eher anstrengenden, ziel- und sinnlosen Irgendwas. Immerhin: selbst in der albanischen Originalfassung überschritt die Nummer die eurovisionären Zeitvorgaben um lediglich eine knappe halbe Minute.
Von allem ein bisschen was: das albanische Song-Allerlei.
Leider strich man bei der im März 2014 veröffentlichten, von Anfang an fest eingeplanten und akkurat in ‘One Night’s Anger’ übersetzten englischsprachigen Version exakt die falsche halbe Minute. Mit dem dreißigsekündigen, mit großer Streicherbesetzung und harten Rockgitarren live gespielten Prolog zum eigentlichen, dreiminütigen Lied fiel der beste Part des Beitrags ersatzlos weg, der den Zuhörer:innen schon mal die Ohren öffnete und die Neugier auf den folgenden Titel weckte. Der plätscherte nun anderthalb Minuten unentschieden und strukturlos vor sich hin; doch bis dann endlich wieder die Rockgitarren hinzukamen und der Song an Fahrt gewann, war es schon zu spät und das Publikum eingeschlafen. Viel schlimmer aber: mit dem Wechsel von albanisch auf englisch, in dem sich Hersi hörbar nicht zu Hause fühlte, ging der ursprüngliche (begrenzte) Charme des Liedes vollständig flöten. Frau Matmuja quäkte und nuschelte, als habe sie heiße Knödel verschluckt, und zum Flow des Songs passte der englische Text auch kein bisschen. So sehr ich ja Verfechter der freien Sprachwahl bin, weil ich glaube, dass diese die Kreativität fördert: manchmal wünschte ich mir doch, bestimmten Ländern die Verwendung ihrer Muttersprache zwingend vorschreiben zu können.
In Kopenhagen reichte es dann wieder nicht zur Finalqualifikation. Tja.
Hat Herciana Matmuja Chancen aufs ESC-Finale 2014?
- Frag mich das, sobald der Remix vorliegt – das wird ja ein anderer Song sein. (48%, 22 Votes)
- Frag mich das, sobald ein paar mehr Konkurrenten feststehen. (22%, 10 Votes)
- Nicht mit diesem Durcheinander von Song. (20%, 9 Votes)
- Absolut! Tolle Sängerin, schönes Lied! (11%, 5 Votes)
Total Voters: 46
Vorentscheid AL 2014
Festivali i Këngës 52. Samstag, 28. Dezember 2013, aus dem Kongresspalast in Tirana, Albanien. 16 Teilnehmer:innen. Moderation: Enkel Demi, Klea Huta.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Platz |
---|---|---|---|---|
01 | Hersiana Matmuja | Zemërimi i një Nate | 069 | 01 |
02 | Besiana Mehmeti + Shkodran Tolaj | Jam larg | 012 | 13 |
03 | Luiz Ejlli | Kthehu | 020 | 10 |
04 | Frederik Ndoci | Një Ditë shprese | 033 | 05 |
05 | Na | Jehona | 025 | 07 |
06 | Klodian Kaçani | Me ty | 045 | 02 |
07 | Lindi & Verena | Natë e parë | 037 | 04 |
08 | Blerina Braka | Mikja ime | 016 | 12 |
09 | Xhejsi Jorgaqi | Ëndërrat janë ëndërra | 000 | 16 |
10 | Xhejn + Enxhi Kumrija | Kur qielli qan | 028 | 06 |
11 | Lynx | Princesha | 006 | 15 |
12 | Marjeta Billo | Ti mungon | 018 | 11 |
13 | Saimir Braho | Grua | 040 | 03 |
14 | Rezarta Smaja | Në Zemër | 025 | 07 |
15 | Edmond Mancaku + Entala Zhula | Vetëm për ty | 010 | 14 |
16 | Renis Gjoka | Mjegulla | 022 | 09 |
Letzte Aktualisierung: 08.09.2022
Das ist ein Pro-Argument für die Drei-Minuten-Grenze. Was war ich froh, als das Lied vorbei war! Und ich war noch so begeistert im letzten Jahr, als Albanien großes Kino nach Schweden schickte, das sogar von den hier so sehr gehassten Juroren beim ESC besser bewertet wurde als vom Publikum.
Und das soll wirklich das Beste gewesen sein?
[…] wenigen Minuten ist die von Anfang an fest eingeplante englischsprachige Fassung des albanischen Beitrags ‘Zemërimi i një Nate’ von Herciana Matmuja, akkurat in ‘One […]